»Und meine Aktivitäten werden gerade«, fügte Ezra, »sehr genau beobachtet.«
Damit spielte er vermutlich auf den Bewährungshelfer an, den seine Stiefmutter erwähnt hatte. Was immer Ezra im Schilde führte, es war auf jeden Fall ein großes Ding. Carter sah sich im Arbeitszimmer um. Auf dem ganzen Boden lagen Bücher und Papiere verstreut. In dem Bemühen, einen brauchbaren Arbeitsplatz zu schaffen, hatte Ezra seine Werkzeuge auf eine alte Spielzeugkiste gelegt. Und so merkwürdig es auch war, Carter musste zugeben, dass er diesen Platz sofort erkannt hätte, genauso, wie er sofort gewusst hätte, was für eine Sorte Mensch ihn sich geschaffen hatte. Es erinnerte ihn an einige seiner eigenen improvisierten Büros und Forschungsecken. Trotz all des Geldes, das er offensichtlich hatte, gehörte Ezra Metzger zu jenen zielstrebigen Exzentrikern, die es gewöhnlich schafften, sich in ein universitäres Umfeld zu mogeln und dann für den Rest ihrer Tage in ihrer Nische in der Versenkung zu verschwinden. Dieser Typ war Carter absolut vertraut. Er hatte eine Schwäche für diese intellektuellen Sonderlinge – vielleicht, weil er wusste, wie gefährlich nahe er mit seinen eigenen Expeditionen und Lieblingstheorien daran war, selbst als einer zu enden.
»Angenommen, ich erkläre mich bereit, das zu tun, was Sie wollen«, sagte er, »und ich sage nicht, dass ich es kann – wie stellen Sie sich das vor? Meinen Sie, ich könnte einfach ins Labor marschieren und eine dieser Schriftrollen auspacken?«
»Nein, ich weiß, dass Sie das nicht können«, sagte Ezra beflissen, als spürte er, dass er kurz vor dem Sieg stand. »Alles, was Sie brauchen, ist eine winzige Probe, und die habe ich bereits für Sie ausgesucht.« Er hielt einen sandwichgroßen Plastikbeutel in der Hand, in dem sich ein Fragment der Schriftrolle befand. »Das sollte genügen, um damit zu arbeiten. Und ehrlich gesagt ist es alles, was ich erübrigen kann.«
Carter nahm die Tüte und hielt sie ins Licht. Der Streifen darin war etwa zwei Zentimeter lang und eineinhalb Zentimeter breit, aber er wusste, dass Ezra recht hatte. Für die Laboruntersuchungen war es völlig ausreichend – wenn er sie denn machen konnte. Er würde einige Überredungskünste anwenden müssen, um zu erklären, warum er, ein Paläontologe, ausgerechnet mit dieser Probe ankam und wofür er die Testergebnisse brauchte.
Aber er hatte zuvor schon merkwürdige Bitten geäußert.
Jetzt, wo er darüber nachdachte, fiel ihm ein, dass er nie die Ergebnisse der Probe angefordert hatte, die Joe und er von dem Fossil genommen hatten. In der ganzen Aufregung nach der Explosion, dem Tod von Bill Mitchell und Joes Krankenhausaufenthalt hatte er das völlig verdrängt. Inzwischen dachte er an das Fossil nur noch als etwas, das unwiederbringlich im Inferno des Labors verlorengegangen war. Das machte es wesentlich einfacher. Aber das stimmte ja gar nicht. Eine winzige, saubere Probe existierte immer noch. Es war nicht viel, aber er musste dankbar sein für alles, das ihm erhalten geblieben war. Und es würde ihm einen guten Grund verschaffen, überhaupt im Labor für Biomedizin aufzutauchen.
»Sie wissen, dass solche Laboruntersuchungen nicht umsonst sind«, sagte Carter. »Da wird ordentlich was zusammenkommen.«
»Was immer es kostet«, sagte Ezra und wischte das Problem beiseite, »ich werde dafür aufkommen.«
Nach allem, was er bisher gesehen hatte, glaubte Carter ohne weiteres, dass Ezra das Geld beschaffen konnte. Er wollte gerade den Plastikbeutel in seine Hemdtasche stecken, doch Ezra hielt ihn auf.
»Ihre Körperwärme«, warnte er.
»Wie soll ich es sonst transportieren?«
Ezra drehte sich um und griff nach einem Briefumschlag. »Tun Sie es hier hinein und halten Sie ihn in der Hand, oder stecken Sie ihn in die äußere Manteltasche.«
Bereitwillig schob Carter den Beutel in den Briefumschlag und verschloss ihn. Allein durch diese Handlung hatte er das Gefühl, ungewollt seine Komplizenschaft zu signalisieren. Er hatte eine Art Pakt mit Ezra geschlossen, den genauer zu hinterfragen er nicht allzu begierig war. Aber andererseits gab es gerade so viele Dinge in seinem Leben, die einer genaueren Betrachtung kaum standhalten würden. Vielleicht war er dumm, vielleicht auch nur hilfsbereit. Möglicherweise versuchte er lediglich zweifelsfrei zu beweisen, dass er nicht einer dieser engstirnigen Wissenschaftler war, über die Ezra sich ausgelassen hatte. Schön und gut, aber wem wollte er das beweisen – Ezra oder sich selbst?
24. Kapitel
Arius roch sie, noch ehe sie aus dem Gebäude trat. Der Duft von Hyazinthen wehte ihm entgegen und verdeckte kaum das feinere, aber noch verführerische Aroma darunter. Der Geruch von Schönheit und Jugend … und Verlangen. Sie war schlank, hatte üppiges braunes Haar und grüne Augen, und er fragte sich, ob der alte Mann, derjenige, der jetzt die Wagentür für sie öffnete, ebenso in ihrem Duft schwelgte. Wie könnte er nicht?
Während der Wagen langsam die Auffahrt umrundete, stand er in seinen neuen Kleidern neben einem verwelkenden Baum. Wie sollten sie auch wachsen können, wenn ihre Wurzeln unter diesem … Beton begraben waren? Er beobachtete.
Inzwischen wusste er, dass es eine große Stadt war, mit unzähligen Menschen darin.
Aber sein Netz hielt ihn in der Mitte, und es wuchs, wurde größer und komplexer. Er wusste, dass sein Netzwerk, wenn er aufmerksam lauschte, ihn schließlich mit allem versorgen würde, was er wissen musste … und mit allem, das nötig war, um die Fäden zu ihrem Anfang zurückzuverfolgen. Carter Cox, dessen Namen er von dem silberfarbenen Briefkasten abgelesen hatte, hatte ihn zu diesem Punkt geführt, und jetzt wusste er, dass es Zeit war, dem neuen Faden zu folgen.
Zeit, das Netz erneut zu erweitern.
Als er sich umdrehte und entfernte, kam er an ein paar jungen Männern vorbei, die sich angeregt unterhielten. Erfreut stellte er fest, dass sie nicht innehielten, um ihn anzustarren. Ihre Unterhaltung wurde nicht einmal langsamer. Eine Frau mit einem Kinderwagen blickte lächelnd in seine Richtung, dann wandte sie sich wieder brabbelnd ihrem Baby zu.
Jetzt war er … glaubwürdig.
Er hatte nicht lange gebraucht, um diese neue Welt einzuschätzen und zu begreifen, dass er gewisse Veränderungen vornehmen musste. Er hatte sich umgesehen und die anderen Männer auf der Straße gemustert. Rasch hatte er den Unterschied zwischen denen erkannt, die sich abkämpften, und den Erfolgreichen, zwischen den Ungewollten und jenen, die begehrt waren. Und er war schnell dahintergekommen, dass der rote Umhang – Mantel – falsch war. Es war ein Banner des Widernatürlichen. Er hatte auch die Handtasche dieser Kreatur genommen und Geld darin gefunden, und noch mehr. Die Tasche war gefüllt mit diesen Karten, kleinen Karten, die gerade in die Handfläche passten, jede mit einem anderen Namen darauf. Er hatte beobachtet, wie Menschen sie benutzten, um zu bekommen, was immer sie ersehnten.
Und er hatte schleunigst dasselbe getan.
Jetzt war sein Mantel schwarz, dazu geschmeidig, warm und lang genug, dass er beinahe seine Knöchel berührte. Die spitzen glänzenden Schuhe waren ebenfalls schwarz. Er trug einen Anzug, tiefblau wie der Himmel, kurz bevor die Sonne den Horizont erreichte, und ein weißes Hemd aus weißer weicher Seide mit offenem Kragen, der sich wie ein Band an seinen Hals schmiegte. Obwohl er die Handtasche, ein weiteres Zeichen unnatürlicher Künstlichkeit, längst weggeworfen hatte, ebenso wie die dunkle Brille – Sonnenbrille – die er darin gefunden hatte, hatte er diese durch eine mit andersgefärbten Gläsern ersetzt. Die neue Brille war rund, hatte einen Goldrahmen und bernsteinfarbene Gläser. Er wusste, dass seine Augen andernfalls verstörend wirken könnten, denn sie bestanden nicht aus einer einzigen Farbe. Vielmehr konnte er sie entsprechend seiner Stimmung und Umgebung verändern. Er wusste, dass die Menschen in ihnen das Licht sahen, das wie Blut durch seinen Körper strömte. Seine Augen konnten wie ein Wasserfall aus Sonnenlicht leuchten, aufblitzen wie ein Fluss aus Goldmünzen oder sieden wie eine Flut aus geschmolzener Lava.