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Es konnte kein Spiel sein und auch keine Intrige.

Irgendetwas musste da vor sich gehen. Ein schreckliches Drama offenbarte sich, und Carter befürchtete, dass er, ob er wollte oder nicht, dazu bestimmt war, eine Hauptrolle darin zu spielen.

32. Kapitel

Ezras Mut hatte neuen Auftrieb erhalten. Endlich waren seine Befürchtungen durch Beweise untermauert worden. Für einen Mann, der wusste, dass der Wahnsinn stets um die Ecke lauerte, war es seltsam tröstlich, herauszufinden, dass selbst die unmöglichsten Gedanken, die er erwogen hatte, vielleicht doch möglich waren.

Er war nicht verrückt. Allerdings schien das Universum es irritierenderweise zu sein.

Er schaute aus dem hinteren Wagenfenster und grübelte über das nach, was er gerade in Permuts Labor erfahren hatte. Die Schriftrolle bestand aus dem lebendigen Gewebe eines Lebewesens unbestimmter Herkunft. Beim Fragment des Fossils handelte es sich um Knochen derselben unidentifizierten Quelle.

Aber war diese Kreatur das, wofür er sie hielt? Und wer – oder was – hätte sie bei lebendigem Leib häuten können?

»Kimberly geht’s immer noch mies«, sagte Maury auf dem Vordersitz und unterbrach seine Gedanken. »Und sie finden auf Teufel komm raus nicht heraus, was sie eigentlich hat.«

Das überraschte Ezra nicht. Wenn seine Vermutung stimmte, dass es etwas mit ihrem Last-Minute-Partygast zu tun hatte, dann würden sie nie darauf kommen.

»Dein Dad ist gerade bei ihr.«

Davon war Ezra ausgegangen, und das war der Grund, warum er ihr jetzt einen Besuch abstatten wollte. Es war eine Gelegenheit, sich mit ihm zu versöhnen. Außerdem gehörte es sich einfach, ermahnte er sich, unter diesen Umständen.

Das Krankenhaus war ohnehin schon exklusiv, doch der Flügel mit Kimberlys Suite lag noch einmal besonders abgeschieden. Hier waren die Flure mit teurem Teppichboden belegt, die Wände mit farbenfrohen Drucken dekoriert, und die Türen bestanden aus poliertem Mahagoni. Für Ezra sah es eher nach einem kleinen europäischen Hotel aus als nach einem Krankenhaus, was zweifelsohne auch beabsichtigt war. Sein Vater saß im Vorraum, als Ezra eintraf, und schaltete gerade sein Handy aus.

»Ich habe Maury gesagt, dass er nicht auf uns zu warten braucht«, sagte er zu Ezra, »aber natürlich musste er wieder mit mir streiten.« Er warf das Telefon auf das Sofapolster.

»Wie geht es Kimberly?«

»Vor einer halben Stunde hatte sie einen hysterischen Anfall, hat sich alle Schläuche herausgerissen und angefangen zu delirieren.«

»Worüber?«

»Worüber?« Verwirrt blickte sein Vater ihn an. »Sie redete wirr, nichts davon ergab einen Sinn.«

»Erzähl es mir trotzdem.«

»Über Vögel und Feuer. Sie wurde von Vögeln angegriffen, deren Flügel aus Feuer bestanden. Zufrieden?«

Ezra merkte sich die Information, um sie am nächsten Tag an Carter und Russo weiterzugeben. Wer wusste schon, ob irgendein Hinweis sich als wichtig erweisen würde?

Eine Krankenschwester in weißer Uniform mit marineblauen Paspeln, die eher nautisch als medizinisch wirken sollte, kam aus dem Patientenzimmer. Sie trug ein Tablett mit einer Spritze und anderem Krimskrams. »Sie ist jetzt stark sediert und wird bis zur Operation morgen früh durchschlafen.« Sie lächelte Sam und Ezra zu und verschwand.

»Was für eine Operation?«, fragte Ezra seinen Vater. »Haben sie herausgefunden, was ihr fehlt?«

»Nicht ganz.« Sein Vater hatte sein Anzugjackett auf das Sofa gelegt, und ließ sich jetzt, nur in Hemdsärmeln, hineinsinken. Auf der Brusttasche war natürlich sein Monogramm eingestickt, und die Manschettenknöpfe glitzerten. »Eine Blutvergiftung. Organversagen. Das Einzige, was wir mit Sicherheit wissen, ist, dass sie schwanger ist.«

Ezra war nicht völlig überrascht, und sein Vater bemerkte es. »Du wusstest es?«, fragte er.

»Ich wusste, dass sie meine Zimmer als Kinderzimmer einrichten wollte.«

»Dazu wäre es nie gekommen.«

Einen Moment lang schöpfte Ezra Mut. War es am Ende doch möglich, dass sein Vater nie vorgehabt hatte, ihn durch ein neueres und jüngeres Modell zu ersetzen? Doch dann begriff er, was es wirklich bedeutete.

»Ich habe mich schon vor Jahren sterilisieren lassen«, räumte sein Vater ein. »Als du noch ein Teenager warst.«

Schweigen breitete sich aus. Sam begriff, wie es auf Ezra wirken musste, aber es war zu spät, um die Worte zurückzunehmen. Ezra musste mit dem Schlag fertig werden. »Am Anfang habe ich ihr nichts gesagt«, erklärte sein Vater, »warum auch? Und später, als ich feststellte, was sie sich wünschte, sollte sie nicht erfahren, dass ich es ihr nicht geben kann.«

Es dürfte so ziemlich das Einzige sein, das er ihr nicht geben konnte, dachte Ezra.

»Ich wollte sie nicht verlieren«, sagte Sam, und in diesem Moment begriff Ezra zum ersten Mal, dass sein Vater Kimberly tatsächlich und aufrichtig liebte. Er war nicht einfach nur ein alter Mann, der in ein hinreißendes junges Ding vernarrt war, wie Ezra und wahrscheinlich der Rest der Welt gedacht hatten. Die Tatsache, dass sie jetzt schwanger war, musste ein schwerer Schlag für ihn sein.

»Es ist mir völlig egal, wer … dafür verantwortlich ist«, sagte Sam, als er Ezras Gedanken erriet. »Jetzt spielt es ohnehin keine Rolle mehr.«

Ezra dachte an die blauen Flecken, die er auf ihrem Körper gesehen hatte, und war froh, jetzt mit Bestimmtheit zu wissen, dass sein Vater nichts damit zu tun hatte.

»Die ganze Sache ist völlig aus dem Ruder gelaufen«, fuhr Sam fort. »Die einzige Möglichkeit, ihr Leben zu retten, ist eine Abtreibung gleich morgen früh. Danach, so sagte man mir, wird sie nie wieder Kinder bekommen können.«

»Nach diesem brauche ich auch keine mehr«, sagte Kimberly, die schwankend in der Tür zu ihrem Zimmer aufgetaucht war. Sie trug ein langes blassrosa Nachthemd, und die Infusionsschläuche, die am Rollständer befestigt waren, steckten immer noch in ihrem Arm.

Doch was Ezra am meisten schockierte, war ihr Bauch. Selbst unter dem Nachthemd konnte er die Schwellung ihres Unterbauchs erkennen. Noch einen Tag zuvor war nichts zu sehen gewesen, und jetzt sah sie aus, als könnte sie jeden Moment ein Kind gebären. Wann war das geschehen? Wie konnte das geschehen?

»Warum bist du nicht im Bett?«, fragte Sam und stand vom Sofa auf. Falls er ebenso schockiert war wie Ezra, so merkte sein Sohn nichts davon. Aber wie hatte sie es bei den ganzen Beruhigungsmitteln, die sie bekommen hatte, überhaupt geschafft, aufzustehen?

»Ich muss zu ihm«, sagte sie und schob eine feuchte Haarsträhne zurück, die in ihrem Gesicht klebte. »Er ist der Einzige, der dafür sorgen kann, dass es aufhört.«

»Dass was aufhört?«, fragte Sam und ging zu ihr. »Ezra, ruf die Krankenschwester.«

»Das Feuer.«

»Hier ist kein Feuer«, sagte Sam und ergriff behutsam ihren Arm. Doch noch während Ezra zusah, zog sein Vater die Finger zurück und schüttelte sie in der Luft, als hätte er sich verbrannt.

Kimberly lachte irre. »Ich habe es dir gesagt.«

Ezra wollte zur Tür gehen, um eine Schwester zu rufen, aber er blieb wie gelähmt stehen. Kimberlys Blick flackerte auf, als sei in ihrem Inneren ein Feuer entfacht worden, das langsam zu einer lodernden Flamme anwuchs.

»Was zum Teufel …« Sams Worte verloren sich, während er zurückwich und auf die Flurtür zuschwankte.

Stöhnend krümmte Kimberly sich zusammen und umklammerte ihren Bauch. »Mach, dass es aufhört«, murmelte sie durch zusammengebissene Zähne.

Ezra packte sie, ehe sie vornüberkippte, und ihre Blicke trafen sich. Es war, als blickte er in den Krater eines Vulkans, kurz vor dem Ausbruch.

»Schwester! Doktor! Wir haben einen Notfall!« Sein Vater war draußen im Flur und schrie sich die Lunge aus dem Leib.

»Bring es um«, sagte Kimberly. Ihr Atem war so heiß, dass Ezra spürte, wie er sein Gesicht verbrannte, dann brach sie zusammen. Der Ständer mit den Infusionsschläuchen krachte zu Boden. Ezra drehte sie um. Ihre Haut war heiß wie ein Bügeleisen. Als er in ihre Augen sah, könnte er schwören, dass dort noch jemand war, Etwas, das ihn aus Kimberlys glühend gelben Augen heraus ansah.

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