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Wie bin ich bloß auf die Idee gekommen, sie würde nichts merken?, dachte Carter. Jetzt hatte es keinen Zweck mehr, noch länger damit hinter dem Berg zu halten. »Erinnerst du dich an das Päckchen, das ich von Joe Russo bekommen habe?«

»Natürlich. Du hast mir alles über seine große Entdeckung erzählt.«

»Nun, in ein paar Tagen kann er dir das alles selbst erzählen. Er kommt nach New York.«

»Das ist großartig. Ich freue mich darauf, ihn kennenzulernen.« Sie tat, als sei die Gefahr vorüber, nahm ihr Sandwich in die Hand und biss großzügig davon ab.

Carter stürzte mutig voran. »Das sollte kein Problem sein«, sagte er. »Er braucht ohnehin einen Platz zum Schlafen, während er hier ist.«

Ihr Kiefer verharrte mitten in der Kaubewegung.

»Und ich habe ihm gesagt, dass er solange bei uns wohnen kann.«

Sie schluckte. »Wo? Falls es dir noch nicht aufgefallen ist, wir haben kein Gästezimmer.«

»Er ist nicht wählerisch. Das Sofa im Wohnzimmer reicht völlig.«

»Das Sofa ist nicht einmal bequem genug, um darauf zu sitzen.«

»Er hat schon schlimmer geschlafen. Auf Sizilien haben wir zwischen Skorpionen auf Felsen geschlafen.«

Beth stieß einen Seufzer aus, und Carter wusste, dass sie sich allmählich mit der Idee anfreundete. »Wie lange wird er bleiben? Eine Woche oder zwei?«

»Ich weiß es wirklich nicht«, sagte Carter. »Vielleicht auch länger. Hängt davon ab, wie lange wir für die Arbeit brauchen.«

»Welche Arbeit?«

»Habe ich das nicht erwähnt? Er bringt das Fossil mit nach New York. Wir werden zusammen daran arbeiten, hier.«

»Er bringt dieses Riesenfossil, von dem du mir erzählt hast …«

»Mehr als eine Tonne!«

»… hierher nach Manhattan? Nur damit ihr zusammen daran arbeiten könnt, wie in alten Zeiten?«

»Genau das hat er gesagt. Fast wortwörtlich.«

Carter wusste, dass er eine Menge von ihr verlangte. Beth legte großen Wert auf ihre Privatsphäre, vor allem in letzter Zeit, seit sie versuchten, das mit dem Baby hinzubekommen. Aber er wusste auch, dass sie niemals etwas tun würde, was seine Arbeit behindern könnte. Einer der zahllosen Gründe, warum er sie liebte.

»Sonst noch etwas, von dem ich wissen sollte?«, fragte sie schließlich.

»Na ja, er hat etwa die Ausmaße einer Dampflok. Und er raucht wie ein Schlot, aber ich werde ihm sagen, dass er das in der Wohnung bleiben lassen soll. Und er hat nie Geld.«

»Er ist mir bereits jetzt sympathisch.«

Carter lachte und schlang den Arm um ihre Schultern. »Warst du nicht diejenige, die unbedingt das Tapsen kleiner Füße in der Wohnung hören wollte?«

»Kleiner Füße«, erwiderte sie. »Das entscheidende Wort war klein

»Oh«, sagte Carter, »tut mir leid. Und wenn ich ihn bitte, auf Zehenspitzen zu gehen?«

9. Kapitel

Den ganzen Tag schon war er auf Widerstand gestoßen und wurde von Leuten gestört, die sich in seine Angelegenheiten mischten. Warum, fragte sich Ezra, konnte man ihn nicht einfach in Ruhe lassen, ihm aus dem Weg gehen und ihn die Arbeit tun lassen, zu der er, er allein, berufen war?

Angefangen hatte es in Dr. Neumanns Praxis, wo er, kaum dass er Platz genommen hatte, den verräterischen Briefkopf von Dr. Herschel Stern entdeckt hatte. Das Schreiben seines Psychiaters in Jerusalem lag oben auf einem Papierstapel auf dem Schoß der Ärztin. Sie hatte also tatsächlich Kontakt zu ihm aufgenommen. Er wusste, was jetzt kommen würde, ehe sie das Wort Jerusalemsyndrom auch nur ausgesprochen hatte.

»Ich bin sicher, dass Sie den Begriff schon einmal gehört haben«, sagte sie. »Ich glaube, Dr. Stern hat mit Ihnen darüber gesprochen?«

»Kann sein.«

Sie drängte weiter. »Es ist ein Leiden, das bestimmte Menschen befällt, Evangelikale zum Beispiel, religiöse Laien oder Stipendiaten wie Sie selbst, die das Heilige Land besuchen und davon überwältigt werden. Sie sind so gefesselt davon, so bewegt, so verändert durch die Erfahrung, dass sie gewissermaßen Wahnvorstellungen entwickeln. In den extremsten Fällen sind sie zum Beispiel davon überzeugt, der Messias zu sein.«

»Ja, dieses Syndrom ist mir bekannt«, erwiderte Ezra, »und nein, ich leide nicht darunter. Vertrauen Sie mir, ich weiß, dass ich weder der Messias noch Moses oder der Todesengel bin.«

»Ich habe das nur als Einleitung erwähnt«, sagte Dr. Neumann. »Es können noch weitere Arten von Störungen auftreten.« Ezra fiel auf, dass sie das vorletzte Wort mit derselben Vorsicht aussprach wie kurz zuvor das Wort »Wahnvorstellungen«. »Der Nahe Osten ist in dieser Hinsicht eine sehr ergiebige und fruchtbare Gegend, und Dr. Stern hat mir geschrieben und ein wenig über Ihre Arbeit in Israel berichtet. Ich muss sagen, es ist kein Wunder, dass Sie eine gewisse Anspannung empfinden.«

»Hat der gute Doktor Sie auch über die Schwierigkeiten informiert, in die ich geraten bin? Mit den Behörden?« Ezra hatte kein besonderes Verlangen, ihr davon zu erzählen, aber er konnte auch ebenso gut herausfinden, wie viel sie wusste.

Dr. Neumann machte eine Pause, als sei sie sich nicht sicher, wie viel von ihrem Wissen sie jetzt schon preisgeben sollte.

»Der Felsendom?«, soufflierte er ihr.

»Ja«, gab sie schließlich zu.

Aha, also hatte er ihr das ebenfalls erzählt.

Der Felsendom, das Heiligtum der Moslems, war auf den Ruinen des zweiten Tempels errichtet worden. Das war von zentraler Bedeutung. Ezra hatte die Schriftrollen gelesen, und er wusste, was sie sagten. Niemand sonst hatte es je begriffen, niemand hatte je zuvor alles zusammengefügt. Er wusste, dass er, wenn er ungehindert in dem Fundament unterhalb der Kuppel graben könnte, die heiligste Reliquie des ganzen Universums finden würde. Und in der Tat hätte er es beinahe geschafft. Er hatte den unterirdischen Tunnel gefunden und die Tontafeln gesehen, mit denen die Öffnung versiegelt war. Im Inneren der Kammer hatte er das Geräusch aller Winde dieser Welt gehört.

Das grollende Ächzen eines lebendigen atmenden Gottes.

Das Geräusch der Schöpfung selbst.

Doch genau in diesem Augenblick, ehe er noch näher herankam, hatten die israelischen Sicherheitskräfte ihn an den Fußknöcheln gepackt und herausgezerrt.

Es war ein Geräusch, das ihm manchmal immer noch in den Ohren klang.

»Ich mache mir Sorgen, dass Ihre Arbeit hier in New York eng verknüpft ist mit Ihrer Arbeit in Israel. Einige der Dinge, die Sie sagten, während Sie inhaftiert waren« – an dieser Stelle hielt sie inne, um ihre Lesebrille aufzusetzen und einen Blick auf ihre Notizen zu werfen –, »klingen überaus beeindruckend und beunruhigend. ›Ich habe mit Engeln kommuniziert.‹ ›Die Schöpfung kann entschlüsselt werden.‹ ›Ich kann Ihnen das Antlitz Gottes zeigen.‹« Sie nahm ihre Brille ab und sah ihn an. »Sie sind ein intelligenter Mann, Ezra, ich brauche Sie also kaum auf den Charakter dieser Aussagen hinzuweisen. Die Selbstverherrlichung, der epochale Inhalt und Kontext, der messianische Eifer. Was fangen wir mit diesen Gedanken und Gefühlen an? Und was noch wichtiger ist: Empfinden Sie immer noch so?«

Was sollte er darauf antworten? Er könnte entweder lügen, und Dr. Neumann blieb weiterhin sein psychiatrischer Wachhund. Als solcher könnte sie allen Behörden, die sich möglicherweise nach ihm erkundigten, garantieren, dass seine Wahnvorstellungen unter Kontrolle seien und dass er, Ezra, keine Bedrohung mehr für irgendjemanden darstellte. Ganz gewiss nicht für den souveränen Staat Israel. Oder er könnte ihr die Wahrheit erzählen, ihr anvertrauen, was die gestohlene Schriftrolle ihm nach und nach offenbarte – und riskieren, dass er in einer Institution landete, in der die einzige Papierrolle, die er je wieder zu Gesicht bekäme, eine Klopapierrolle wäre.

Die Entscheidung fiel ihm nicht besonders schwer.

»Der Ortswechsel hat mir gutgetan«, sagte er. »Hier, in meinen alten Zimmern in New York City, fühle ich mich wesentlich entspannter. Ich empfinde nichts mehr von dieser Manie, die ich im Nahen Osten gespürt habe.«

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