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Er versuchte zu atmen. Der Geruch seiner eigenen schwelenden Kleidung und Haut stieg ihm in die Nase.

Schwankend erhob sich die Gestalt.

Mitchell?, dachte er. Nein, das war nichts, was er je zuvor gesehen hätte …

Sie schien sich auszudehnen, gleich einem Adler, der seine Schwingen ausbreitete.

War er tot? War dies sein … Hirte?

Die Gestalt leuchtete wie eine Lichtsäule, und sie bewegte sich. Auf ihn zu.

Russo blinzelte, aber nichts schien zu geschehen. Waren seine Lider verschwunden? Seine Augen schmerzten, Teile seines Körpers brutzelten immer noch wie ein Steak, das man gerade vom Grill genommen hatte. Seine Hände lagen nutzlos an den Seiten.

Die Gestalt kam näher. Russo bemühte sich, die brennende Luft einzuatmen. Kämpfte darum, wach zu bleiben. Am Leben.

Er starrte hinauf in den schwarzen Nebel.

Die Gestalt schwebte über ihn und musterte ihn. Beschnüffelte ihn.

Sie war so hell, so glühend heiß, dass Russo sie kaum ansehen konnte, doch ebenso wenig ertrug er die Vorstellung, den Blick abzuwenden.

Denn es war das Schönste, das er je gesehen hatte.

Ein Gesicht aus purem Licht. Ein menschliches Gesicht, aber kein Mensch. Perfekt, wunderschön und furchteinflößend. Das Letzte, das er je erblicken würde.

Du leidest.

Es waren keine wirklichen Worte, sondern eher ein Gedanke, den Russo wahrnahm, als sei er in seinen Kopf gepflanzt worden.

Die Gestalt streckte die Hand aus. Eine Hand, keine Klaue, aus purem Licht, berührte seinen Kopf. Es war, als würde ein Eiszapfen über seinen versengten Schädel streichen.

Leiden ist ein Geschenk Gottes.

Wieder empfing er diesen Gedanken wie durch Telepathie.

Die Gestalt erhob sich und begann sich zu entfernen. Russo hatte entsetzliche Angst, sie könnte bleiben, aber zur gleichen Zeit fürchtete er, sie könnte gehen und ihn in diesem Inferno zurücklassen.

Schimmernd schwebte sie auf die Stahltüren zu, sie wogte und drehte und schlängelte sich … ein strahlendes Licht von der Größe eines Mannes.

Und dann überwältigte ihn die Höllenqual. Als hätte er seine Kräfte für einen letzten Angriff aufgespart, schwoll der Schmerz in ihm an, und Russo kippte auf den Betonfußboden, zu verbrannt, um auch nur zu schreien.

Zweiter Teil

15. Kapitel

Ironischerweise hatte Carter erst am Sonntagnachmittag, als es Zeit wurde zu packen und in den Mahlstrom der Stadt zurückzukehren, das Gefühl, sich allmählich auf dem Land zu entspannen.

Joe hatte das ganze Wochenende über nicht angerufen, aber auf der anderen Seite hatte Carter sich auch nicht gemeldet. Am Samstag hatte er sich ein paar Stunden in die detaillierte Beschreibung des Lasers vertieft, bis Beth schließlich darauf bestanden hatte, dass er das Handbuch beiseitelegte und mit ihr einen Spaziergang durch den Wald machte. Abbie und Ben schienen ihren Streit, den sie auf der Fahrt hierher ausgetragen hatten, beigelegt zu haben und luden sie zum Apfelpflücken auf eine nahegelegene Apfelplantage ein. Jetzt hatten sie einen Zentner frische Äpfel, und Carter fragte sich, was um Himmels willen sie damit anfangen sollten.

Nicht einmal Joe wäre in der Lage, mehr als ein Dutzend davon zu vertilgen.

Auf dem Rückweg in die Stadt duftete es im Wagen nach Äpfeln und dem Kürbiskuchen, den Abbie und Beth am Morgen gebacken hatten. Ben schaltete das Radio ein, um die Verkehrsmeldungen zu hören. »Solange ich nichts anderes höre«, sagte Ben, »halte ich mich an den Saw Mill River Parkway.«

Doch zuerst mussten sie eine ganze Reihe von Werbespots über sich ergehen lassen, anschließend den Wetterbericht und mehrere Minuten idiotischen Geplänkels zwischen den beiden überkandidelten und nervtötenden Moderatoren Gary und Gil. Carter achtete nicht auf ihre Betrachtungen über Elvira, die großzügig ausgestattete Herrin der Dunkelheit – »Ich meine, sind diese Brüste wirklich echt? Sie sind seit dreißig Jahren genau an der gleichen Stelle!« Aber dann spitzte er doch die Ohren, als Gil sagte: »Und was ist das für eine verrückte Geschichte mit den New Yorker Kirchenglocken letzte Nacht?«

»Das ist unheimlich, was?«, klinkte Gary sich ein.

»Für alle, die immer noch zu verkatert von der Halloweenparty sind, um sich daran zu erinnern, was gestern Abend um genau sechzehn Minuten nach zehn passiert ist: Jede Kirchenglocke in Manhattan …«

»… und wir meinen jede Glocke in jeder Kirche«, mischte sich Gary erneut ein.

»… hat wie verrückt zu läuten angefangen.«

»Wie eine Art Warnsignal bei einem Luftangriff«, sagte Gary.

»Sie kommen! Sie kommen!«, rief Gil.

»Aber nichts kam, stimmt’s?«

»Das will ich doch hoffen.«

»Aber eins sag ich dir, wenn das eine Art Halloweenstreich war …«

»Was sollte es sonst gewesen sein?«, fragte Gil.

»… dann haben die Jungs einen erstklassigen Job gemacht, um das alles zu koordinieren. Wie um alles in der Welt schafft man es, jede Kirchenglocke, von der altmodischen Sorte, die immer noch ganz oben in ihrem Turm hängt, bis zu den elektronisch gesteuerten Glockenspielen in Kirchen wie der St. Patrick’s Cathedral, gleichzeitig zum Läuten zu bringen?«

»Und warum ausgerechnet um sechzehn Minuten nach zehn?«, fragte Gil sich laut. »Ich für meinen Teil hätte ja bis Mitternacht gewartet, wenn ich so etwas geplant hätte.«

»Ich kann jedenfalls sagen, wenn die Leute, die hinter diesem Halloweentrick stecken, uns jetzt zuhören, ruft uns an unter 1–800-GIL-GARY, und erzählt uns, wie ihr das durchgezogen habt. Echt eine coole Sache!«

»Total irre.«

Ben drehte das Radio leiser. »Wetten, dass da dieser Magier dahintersteckt, dieser David Blaine? Der, der schon einmal in einem Eisblock am Times Square gestanden hat?«

»Aber wenn er nicht sagt, dass er es war«, erwiderte Carter, »was für einen Zweck sollte das Ganze dann haben?«

»Vielleicht wartet er nur eine Weile, damit es um so geheimnisvoller wirkt?«

»In dieser Stadt ist das am Dienstag doch schon Schnee von gestern«, warf Abbie ein. »Er sollte sich besser schnell zu erkennen geben.«

Nach dem Verkehrsbericht ließ Ben das Radio an. Aus der ganzen Stadt riefen Leute an und schalteten sich in die Diskussion um die läutenden Glocken ein. Ein paar von ihnen unterstützten die Theorie vom Halloweenstreich, aber die meisten Anrufer plädierten zu Carters Bestürzung für eine übernatürliche, oder, um es anders zu formulieren, eine irrationale Ursache. Ein Typ behauptete, der »Geist des Houdini hat das bewerkstelligt, um zu beweisen, dass es ein Leben nach dem Tod gibt«, doch die meisten bevorzugten eher traditionelle religiöse Erklärungen. Ein Mitglied der Zeugen Jehovas rief an, um zu erklären, es handele sich um ein Zeichen der bevorstehenden Apokalypse. Ein Pfarrer aus Harlem meldete sich und schlug vor, dass es vielleicht ein Warnsignal für New York sei, »das Sodom und Gomorrha unseres Landes«, um die Stadt von ihrem verderbten Weg abzubringen. Und ein Theologieprofessor von der Columbia-Universität erklärte, dass das Läuten der Kirchenglocken an Halloween ein altes Mittel sei, um Hexen abzuwehren.

»Früher dachte man«, so fuhr der Professor fort, »dass, wenn die Kirchenglocke läutete, während eine Hexe darüber hinwegflog, der Klang der Glocke sie erledigen würde wie eine Rakete.«

»Wir müssen also nichts weiter tun«, unterbrach der Moderator Gil ihn, »als in den Straßen nach abgestürzten Hexen Ausschau zu halten?«

»Nun, das können Sie natürlich gerne machen«, erwiderte der Professor, »aber ich an Ihrer Stelle würde nicht allzu viel Zeit damit verschwenden.«

»Ich glaube immer noch, dass dieser David Blaine dahintersteckt«, sagte Ben. »Hat jemand was dagegen, wenn ich den Sender wechsle? Mehr von Gary und Gils Affentheater ertrage ich nicht.«

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