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»Platz da!«, sagte der Arzt und schob Ezra zur Seite. Der Notfallwagen rollte ratternd ins Zimmer.

»Zum Teufel«, rief der Arzt aus und blies sich auf die verbrannten Fingerspitzen.

»Töte es«, wimmerte Kimberly zwischen zwei heißen keuchenden Atemzügen. »Ich halte es nicht länger aus.«

»Eis! Wir müssen sie in ein Eisbad legen!«

Die Krankenschwestern wuselten hektisch durcheinander.

Schockiert hockte Ezra sich neben sie auf den Boden, sein Gewicht ruhte auf den Händen, als sie plötzlich in Zuckungen ausbrach. Sie presste die Hände auf ihren Leib und grub die Finger in die eigene Haut, als versuchte sie, sich das Baby selbst herauszureißen. Sie hob die Knie bis zur Brust hoch, und ein Blutstrom ergoss sich unvermittelt über den Boden.

Dem Arzt wurde eine Spritze gereicht, doch seine Hände zitterten so heftig, dass er sie nicht entgegennehmen konnte. »Ich … kann es nicht tun!«

Eine Schwester schnappte sich die Spritze und versuchte es selbst. Dieses Mal verschwand die Nadel im Arm, brach jedoch ab, als Kimberly sich unter Schmerzen wand.

»Wir brauchen einen Druckverband – sofort!«, schrie die Schwester.

Kimberlys Bauch schien anzuschwellen, wie ein Luftballon, den man plötzlich noch einmal kräftig aufgepumpt hatte. »Bringt mich um!«, schrie sie im Todeskampf, »tötet mich

Sie warf den Kopf zurück, und sie stieß einen Schrei voller Angst und Verzweiflung aus, einen Schrei, der Ezra durch Mark und Bein ging … und in den jemand einzufallen schien. Er könnte schwören, dass er noch eine Stimme gehört hatte, ein gedämpftes Wehklagen in ihrer Gebärmutter.

Selbst der Arzt und die Schwester hielten schockiert inne. Sie hatten es ebenfalls vernommen.

Und dann lag Kimberly vollkommen still, ihr Körper auf dem mit Blut bedeckten Boden erschlaffte, die Augen schlossen sich und der Mund klappte auf. Die Spitzen ihrer Haare knisterten wie Draht unter Spannung, um schließlich ebenfalls Ruhe zu geben.

»Völliges Organversagen«, sagte der Arzt benommen und mit monotoner Stimme.

Ezra wusste, dass sie es nicht schaffen würden, sie zurückzuholen, egal, wie sehr sie sich abmühten.

Nach dem, was sie durchgemacht hatte, hatte er den Verdacht, dass sie es ohnehin vorziehen würde, tot zu bleiben.

33. Kapitel

Für Russo gab es am Tag nicht viel, worauf er sich freuen konnte. Da waren die kurzen Morphinschübe, die er sich selbst verabreichen konnte, indem er den schwarzen Knopf drückte, der neben seiner verbrannten Hand auf dem Bett lag, genau neben dem roten Rufknopf. Da waren die Träume, in denen er sich verlieren konnte, davon, wie er in dem Vorort von Rom aufgewachsen war und mit den Freunden seiner Kindheit die uralten Ruinen erforscht hatte. Und da war die zärtliche Fürsorge einer hübschen jungen Schwester namens Monica.

Heute hatte sie ihm während des Verbandswechsels alles über die Verabredung vom vorigen Abend erzählt. Als sie die antiseptische Salbe aufgetragen hatte, hatte sie ihn mit den neuesten Schlagzeilen versorgt. Er sah ihr gerne in die Augen. Sie waren dunkel und strahlten, und sie zeigten kein Entsetzen bei seinem Anblick. Vielleicht, weil sie schon so viele Brandopfer gesehen hatte. »Dr. Baptiste hat mir gesagt, dass es bei Ihnen nächste Woche mit den Hauttransplantationen losgeht«, erzählte sie ihm jetzt.

»Ach ja?«, murmelte Russo durch seine immer noch schwarzen Lippen.

»Das ist gut«, sagte Monica und hob behutsam seinen linken Unterarm an, um frische Salbe aufzutupfen.

Der Schmerz war immer noch ungeheuer, und Russo drückte den schwarzen Knopf für eine weitere Dosis Morphin.

Monica bemerkte es und sagte: »Tut mir leid, ich weiß, dass es wahnsinnig wehtun muss.«

Russo hätte ihr gerne widersprochen, aber er konnte nicht. Vorsichtig legte Monica seinen Arm wieder zurück. »Das war’s für heute.«

Er hätte sich gefreut, wenn sie noch bleiben könnte. Wenn sie einfach nur ein wenig neben seinem Bett sitzen und ihm von ihrem Tag erzählen würde, von ihren Freunden, von was immer sie wollte. Aber er wusste, dass sie noch andere Patienten hatte, um die sie sich kümmern musste.

Das Morphin würde ihn ohnehin schon bald in seine Träume entführen. Wenn er Glück hatte, würden es gute Träume sein. Wenn nicht, würden es Albträume sein, von knisternden Flammen, von Stürzen aus großen Höhen in bodenlose Tiefen. Leider gab es keine Möglichkeit, vorher zu wissen, was für ein Traum es sein würde.

»Sie möchten, dass ich Sie damit zudecke, richtig?«, fragte Monica und hielt eine Ecke des Plastik-Sauerstoffzelts in der Hand.

»Da ich Sie ohnehin nicht mehr ansehen kann«, wisperte Russo, »ja.«

Monica lachte. »Durch das Plastik sehe ich besser aus«, sagte sie und senkte die Folien, bis sie beinahe seine Schultern und Brust berührten. Sie behinderten zwar seinen Blick, aber er wusste, dass ihm nicht viel entging. Wie lange konnte man die Rückseite einer Tür und die billige Reproduktion eines van Goghs anstarren? Die kühle frische Luft erleichterte ihm das Atmen, und das leise Surren des Sauerstofftanks wirkte beruhigend, wie das Heranrollen der Wellen am Meeresstrand.

Er war sich nicht sicher, wie viel Zeit verstrichen war, als er hörte, wie die Tür zu seinem Zimmer geöffnet und wieder geschlossen wurde. Waren es fünf Minuten? Eine halbe Stunde? Durch die dicke Folie sah er eine Gestalt vor dem van Gogh stehen. Es war nicht Monica, so viel war sicher, und es war auch nicht Dr. Baptiste. Die Gestalt war hochgewachsen und ganz in Schwarz gekleidet.

Ihm stockte der Atem.

Es war ein Mann, sehr blass, mit blonden, nein leuchtend goldenen Haaren.

Ich bin gekommen, um dir zu danken, hörte Russo, wobei er nicht sicher war, ob der Mann tatsächlich gesprochen hatte oder ob die Worte einfach nur irgendwie in seinen Kopf gelangt waren.

Russo streckte die Finger auf dem kühlen Bettlaken aus und suchte nach dem roten Knopf, mit dem er die Schwester rufen konnte. Aber er war nicht dort. Monica musste ihn verlegt haben, als sie seine Verbände gewechselt hatte.

Ich wünschte, ich könnte es dir vergelten.

Du könntest mir die Schmerzen nehmen, dachte Russo und fragte sich, ob seine Gedanken wohl ebenfalls den Empfänger erreichten. Zugleich überlegte er, ob das alles womöglich nur ein ungewöhnlich lebhafter Morphintraum war.

Die Gestalt kam näher, und durch das Plastik des Sauerstoffzelts erkannte Russo, dass sie eine kleine bernsteinfarbene Sonnenbrille trug. Das lange Haar war gleich goldenen Flügeln aus der Stirn gestrichen. Die Gestalt zog einen Stuhl neben das Bett und setzte sich.

Russos Herz erfüllte sich mit Grauen. Das musste Arius sein, der gefallene Engel, wie Ezra ihn beschrieben hatte. Die Gestalt aus Licht, die in jener entsetzlichen Nacht dem Felsblock entstiegen war.

Du weißt, wer ich bin.

Erneut tasteten Russos Finger blindlings nach dem Rufknopf, doch stattdessen erwischten sie den Morphinknopf. Er gab sich selbst eine weitere Dosis. Wenn das ein Traum war, brauchte er vielleicht nur noch tiefer einzutauchen, um ihm zu entkommen.

Aber bin ich der Einzige?

»Ich hoffe es«, sagte Russo. Unter dem Sauerstoff klangen die Worte gedämpft.

Arius stutzte, als überlegte er, wie er das zu verstehen hatte. Dann hallten die Worte Erinnerst du dich, was ich dir einmal sagte? in Russos Kopf wider.

Arius streckte den Arm aus und berührte Russos Hand, mit der er nach dem Rufknopf suchte. Mit etwas, das sich anfühlte wie eine Kralle, kratzte er einen Streifen der verbliebenen schmerzempfindlichen Haut ab. Russo stöhnte, aber auch dieses Geräusch wurde von dem Plastik und dem ständigen Murmeln des Sauerstofftanks gedämpft.

Leiden ist ein Geschenk Gottes.

Russo streckte die Hand, die nur noch aus Schmerz zu bestehen schien, zum Nachttisch neben dem Bett aus. Arius verfolgte seine Anstrengungen, und als Russo Mühe hatte, die Schublade zu öffnen, übernahm er es zuvorkommend für ihn.

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