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»Ist das die erste Probe, die du geöffnet hast?«, fragte er.

»Äh, ja, eindeutig. Ich meine, ich habe gerade an etwas anderem gearbeitet, aber ich habe diese Tüten ständig aus dem Augenwinkel gesehen, und na ja, du weißt ja, wie das ist … wie soll man als Paläontologe die Finger von so verlockendem Material lassen können?«

»Ja«, sagte Carter trocken. »Ich weiß, wie das ist.« Er wusste auch, wie es war, so verzweifelt zu sein, so sehr auf den Durchbruch bei der Arbeit zu hoffen, der einem irgendwo eine Festanstellung bescheren würde. Aber das war keine Entschuldigung. »Ich glaube, es ist das Beste, wenn du mir die Anfangsarbeit überlässt. Dafür werde ich schließlich bezahlt.«

»Absolut«, bestätigte Mitchell und schaltete die Lampe aus.

»Wenn ich Unterstützung brauche, lasse ich es dich wissen.«

»Cool. Kein Problem«, sagte Mitchell, schob die Probe zurück in den Umschlag und reichte ihn Carter.

Carter wandte sich ab und ging zu seiner eigenen Ecke im Labor. Was für eine Schwachsinnsaktion! Er hatte bereits beschlossen, niemandem davon zu erzählen, weder innerhalb noch außerhalb des Fachbereichs, als Mitchell sagte: »Hey, Carter …«

»Ja?«

»Tut mir leid, falls ich eine Grenze überschritten habe. Da kommt doch nichts nach, oder?«

Carter schüttelte den Kopf. »Nein.«

Er konnte Mitchells erleichterten Seufzer beinahe hören.

»Carter?«

»Ja.«

»Eins noch.«

Carter fragte sich, ob er überhaupt zum Arbeiten kommen würde, solange Mitchell im Labor war.

»Macht es dir etwas aus, wenn ich die Musik wieder anmache? Ich kann mich dann besser konzentrieren.«

»Mach ruhig«, sagte Carter. Wenigstens würde Mitchell nicht versuchen, mit ihm zu reden, solange der Ghettoblaster plärrte.

In der Raleigh Galerie in der Siebenundfünfzigsten East schlenderten die Käufer durch den Hauptsaal. Es handelte sich um ein paar Europäer, zwei von ihnen mit einem Titel, ein paar asiatische Wirtschaftsbosse und eine Handvoll ausgewählte Plutokraten. Derjenige, den Beth im Auge behielt, war selbst nicht einmal besonders reich. Aber er war Kurator des Getty-Museums in L. A. Die anderen entschieden sich möglicherweise, etwas zu kaufen, das konnte man nie wissen, aber der Vertreter des Museums mit seinem gewaltigen jährlichen Budget war geradezu verpflichtet, etwas davon auszugeben. Und die Werke, die in der Galerie zum Verkauf standen, gehörten genau zu jenen Stücken, die das Getty normalerweise gerne erwarb. Obwohl es ein paar gute Ölgemälde gab, vor allem den Salvator Rosa, handelte es sich zumeist um Zeichnungen der Alten Meister, einschließlich mehrerer Tizians. Es bedurfte schon echten Sachverstands, um zu begreifen, wie erlesen und wertvoll sie waren.

»Was hat es mit diesem hier auf sich?«, fragte ein jüngerer Typ und deutete mit einem Kopfnicken auf eine Studie von Tizian, die den Kopf eines Mannes mit geschlossenen Augen darstellte, eingehüllt wie für eine Beerdigung. Beth drehte sich zu dem Besucher um. Er hatte ein rundliches Gesicht, das vollkommene Ahnungslosigkeit ausstrahlte, und einen blonden Bürstenhaarschnitt. Das musste einer von den Typen sein, die mit einem intakten Vermögen aus Silicon Valley entwischt waren. Davon gab es immer noch welche.

»Das ist ein später Tizian.«

»Italiener, stimmt’s?«

»Ja, richtig.« Sie sah seine Augen vor Stolz aufleuchten. »Aus der Gegend um Venedig.«

»Ist der Kerl auf dem Bild tot?«

»Nein, er betet. Es zeigt den Kaiser Karl V., der bei Tizian ein Gemälde des Jüngsten Gerichts in Auftrag gab. Aus eigenem Antrieb fügte Tizian den Kaiser und seine Familie in das Bild mit ein. Dies hier ist eine Studie dafür.«

»Es ist nett«, verkündete der Bürstenkopf. »Wie teuer soll das sein?«

Obwohl sie den Preis auswendig wusste, öffnete Beth ihre Ledermappe und tat, als würde sie nachsehen. Sie spürte seinen Blick auf sich ruhen, als sie mit dem Finger die Ausstellungsliste entlangfuhr. »Der geforderte Preis beträgt 250 000 Dollar.«

Der Bürstenkopf blinzelte nicht einmal.

»Das Jüngste Gericht«, fuhr sie fort, »ist eines von Tizians bekanntesten und ergreifendsten Werken. Wenn Sie wünschen, kann ich den Eigentümer der Galerie herbitten, damit er Ihnen mehr darüber erzählt, und über diese Zeichnung im Besonderen.«

»Nein«, erwiderte er und sah sie erneut an. »Ich würde lieber mit Ihnen reden.«

Welch eine Überraschung.

»Mein Name ist Bradley Hoyt«, sagte er und streckte ihr die Hand entgegen.

»Beth Cox«, erwiderte sie und schüttelte die Hand.

»Es gefällt mir sehr, Beth, aber ich würde nie etwas kaufen, ehe meine eigenen Leute nicht einen Blick darauf geworfen haben.«

»Das verstehe ich vollkommen«, sagte sie und zog ihre Hand zurück. »Wir können jederzeit eine private Schau arrangieren. Oder, wenn Ihnen das lieber ist, können wir das Stück auch zu Ihren Experten bringen lassen.«

»Nee, das ist schon okay. Die können ruhig zu Ihnen kommen. Sind Sie die ganze Zeit hier?«

Sie lächelte. »Meistens, leider.«

»Wo sind Sie, wenn Sie nicht hier sind?«

Jetzt war der richtige Zeitpunkt, um die Sache im Keim zu ersticken. »Zu Hause. Bei meinem Mann.«

»Ja, ich habe den Ring gesehen. Aber wenn Sie sich wegen eines so großen Kaufs mit einem Kunden treffen müssen, können Sie doch für ein paar Stunden weg, um ihn zu beraten, stimmt’s?«

»Wir können die Galerie jederzeit öffnen.«

»Ich dachte eher an so etwas wie Lunch im Stanhope. Oder ein Dinner.«

»Tut mir leid, aber mir wäre nicht wohl dabei, so ein wertvolles Stück auf eigene Faust aus der Galerie mitzunehmen.«

»Das brauchen Sie auch nicht. Ich habe die Bilder bereits gesehen.«

Beth schloss ihre Ledermappe. »Wenn Sie mich bitte entschuldigen würden, Mr Hoyt. Es war sehr nett, Sie kennenzulernen, aber ich fürchte, es gibt noch jemanden, der Interesse an diesem Gemälde hat.«

Sie wandte sich ab und ging hinüber zum Kurator des Getty-Museums. Er beobachtete sie über den Rand seiner Halbbrille und sagte mit leiser Stimme: »Sie dürfen diese Gericht-Studie nicht an diesen Kretin verkaufen – das wäre ein Verbrechen.«

Beth unterdrückte ein Lachen.

»Sie haben es doch nicht getan, oder?«, fragte er.

»Nein, noch nicht. Kann ich es vielleicht stattdessen dem Getty verkaufen?«

Er nahm seine Brille ab und schob sie in die Brusttasche seiner Anzugjacke. »Lassen Sie uns darüber reden.«

»Ja«, sagte sie erleichtert, »reden wir. Solange Sie können.«

4. Kapitel

Kimberlys erster Gedanke beim Aufwachen war: Das war ein Erfolg. Die Dinnerparty für den Bürgermeister war ein Erfolg gewesen.

Ihr zweiter Gedanke war Ezra. Er war aus Israel zurückgekommen, hatte sein Zeug in die Zimmer geschafft, in denen er aufgewachsen war, und sie hatte keinen Schimmer, wie lange er vorhatte hierzubleiben. Je kürzer sein Aufenthalt, desto besser, aber sie konnte es sich nicht leisten, ihre Gefühle allzu offen zu zeigen. Soweit sie wusste, war die Beziehung zwischen Ezra und seinem Vater seit Jahren angespannt, aber er war immer noch Sams einziger Sohn. Und da Blut nun einmal dicker als Wasser war, musste sie vorsichtig zu Werke gehen.

Sam kam aus seinem begehbaren Kleiderschrank und zog den Knoten seiner Krawatte zu, die gelbe Seidenkrawatte von Sulka, die sie ihm letzte Woche gekauft hatte. Für seine Verhältnisse sah Sam gut aus. Maßgeschneiderter blauer Anzug, glänzende burgunderrote Schuhe, ein ordentlich gefaltetes, zur Krawatte passendes Einstecktuch. Sie hatte getan, was sie konnte, aber mehr konnte selbst sie mit ihren Künsten nicht erreichen. Er war immer noch klein, glatzköpfig und fast dreißig Jahre älter als sie. Jedes Mal, wenn er sie berührte, wurde sie daran erinnert, dass seine Wurstfinger ebenfalls kurz waren.

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