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»Ist Ezra schon aufgestanden?«, fragte er.

»Woher soll ich das wissen? Ich liege ja selbst noch im Bett.« Es kam schärfer heraus als beabsichtigt.

»Ich habe lediglich eine einfache Frage gestellt.«

Schlechte Laune, dachte sie im Stillen. Er hat schlechte Laune. Sie lächelte und warf die Bettdecke aus ägyptischer Baumwolle zurück. »Mach dir keine Sorgen um Ezra. Ich werde mich darum kümmern, dass er alles bekommt, was er braucht.«

»Was immer das auch sein mag.« Sam stand neben dem Bett und blickte auf sie herunter, genau, wie sie es vorausgesehen hatte. Ihre Haare, denen Franck stets ein perfektes Kastanienbraun verpasste, ergossen sich über die Kissen, und ihre Brüste wurden von dem schwarzen Spitzenhemd, in dem sie schlief, kaum bedeckt.

»Was hast du heute vor?«, fragte er.

»Ich habe mich noch nicht entschieden.« Was sie sehr wohl hatte. »Vielleicht treffe ich mich mit Janine zum Lunch.« Sie hatten für halb eins einen Tisch im Le Cirque reserviert.

Sam schnaubte; er mochte Janine nicht. Andererseits mochte er niemanden von ihren Freunden, die er bislang kennengelernt hatte. Gott allein wusste, was er sagen würde, wenn er einigen von denen begegnen würde, die sie ihm vorenthielt. Es war Zeit, den Tenor ihrer Unterhaltung zu ändern. Mit einer Hand berührte sie lässig die Vorderseite seiner Hose.

»Musst du jetzt schon los?«, schnurrte sie.

»In fünfundvierzig Minuten habe ich einen Ortstermin im Village.«

Aber allein der Klang seiner Stimme verriet ihr, dass sie bereits gewonnen hatte. »Du bist der Boss. Die anderen können warten.«

Er blieb stehen, während sie sich auf die Seite drehte und den Reißverschluss seiner Hose öffnete. Ihre Finger waren so geschickt wie die einer Spitzenklöpplerin. Als sie feststellte, dass er leicht auf den Hacken wippte und hörbar Luft holte, wusste sie, dass sie ihn hatte. Und wenn sie Glück hatte, wäre die Quälerei in drei Minuten vorbei.

Nachdem Sam gegangen war, rief Kimberly bei Janine an, um die Lunchverabredung zu bestätigen. Denn in einem hatte Sam recht: Janine war wirklich zerstreut. Anschließend ging sie in ihr Ankleidezimmer, schaltete den Fernseher ein und hörte einer der morgendlichen Nachrichtensendungen zu, während sie badete und langsam den letzten Rest Schlaf fortwusch. Nachdem Sam für den Rest des Tages verschwunden war, blieb nur noch Ezra im Haus, mit dem sie irgendwie fertigwerden musste. Als sie in ihrem Morgenmantel vor dem Spiegel saß und sich schminkte, fragte sie sich, was genau Sams Sprössling eigentlich in New York vorhatte, jetzt, wo er wieder zurück war. Die ganze Angelegenheit hatte etwas höchst Mysteriöses an sich. In der einen Minute war er völlig aus dem Rennen, stellte keine Gefahr dar und arbeitete an irgendeinem Institut in Israel, zu dem sein Vater, o Wunder, Beziehungen hatte. Und im nächsten Moment haute er aus dem gesamten Nahen Osten ab und kehrte mit dem erstbesten Flug zurück. Sie hatte zufällig mitgehört, als Sam seine Sekretärin am Telefon angeschrien hatte, sie solle auf der Stelle den Botschafter ans Telefon holen und für Ezra den nächsten Flug aus Tel Aviv raus buchen, egal wohin. Er schrie oft Leute an, aber seine Sekretärin normalerweise nicht.

Dabei hatte Kimberly große Pläne für die beiden Zimmer, die Ezra einst bewohnt hatte. Sie würden ein perfektes Kinderzimmer abgeben.

Nun, noch war nichts in Stein gemeißelt, sagte sie sich erneut. Die Dinge konnten sich immer noch in ihrem Sinne entwickeln.

Nachdem sie ihrem Gesicht den letzten Schliff verpasst hatte, wählte sie ein Outfit aus ihrem gut bestückten Kleiderschrank aus. Cremefarbene Bluse und hellgrauer Bleistiftrock, beides von Jean Gaultier, dazu ein Paar Schuhe mit moderaten Absätzen. Sie war ohnehin schon größer als Sam, so dass sie ihr Schuhwerk mit Bedacht wählte. Schließlich verließ sie das Schlafzimmer.

Von Ezra keine Spur, weder im Wohnzimmer noch im Salon, der Bibliothek oder dem Arbeitszimmer. Nicht einmal im Esszimmer, wo Gertrude, die ältliche Haushälterin, den silbernen Kandelaber auf seinen Platz auf den Tisch stellte.

»Haben Sie Ezra gesehen?«, fragte Kimberly.

»Er frühstückt. Er hat abgenommen.«

Kimberly hatte noch nie zuvor genug von ihm gesehen, um das beurteilen zu können, aber es war ihr ohnehin herzlich egal. »Danke.« Sie wandte sich bereits zum Gehen, doch dann hielt sie noch einmal inne, gerade lange genug, um zu sagen: »Vielleicht sollten Sie das Silber noch einmal polieren, ehe Sie es zurückstellen.«

Gertrude erstarrte, nicht mehr als eine Sekunde, und Kimberly dachte schon, sie würde etwas sagen, doch dann nahm sie schweigend den Kandelaber vom Tisch und verließ den Raum.

Mit ihr sind es zwei Leute, dachte Kimberly, die ich gerne hier raus hätte.

Sie entdeckte Ezra in der Frühstücksecke, wo er mit einem Bagel mit Frischkäse, Saft und Kaffee hockte. Es war ein sonniger Tag, und der Ausblick auf den East River weit unter ihnen und die Skyline von Queens dahinter erstreckte sich bis in die weite Ferne. Von hier oben konnte sie die Mietswohnung sehen, in der sie anfangs gewohnt hatte, als sie in New York angekommen war, die kleine Krone der Miss Milwaukee in der Reisetasche.

»Guten Morgen, Ezra«, sagte sie strahlend. »Gut geschlafen?«

»Ja, sehr gut.«

Er sah nicht so aus. Er hatte sich nicht rasiert, und unter den Augen hatten sich Tränensäcke gebildet. Für jemanden, der ein paar Jahre im Nahen Osten verbracht hatte, wo es, soweit sie wusste, heiß und sonnig war, wirkte seine Haut ungesund blass. Auf Kimberly machte er den Eindruck, als hätte er unter einem Stein gelebt.

»Hast du etwas dagegen, wenn ich dir Gesellschaft leiste?«

»Ganz und gar nicht«, erwiderte er, aber sein Gesichtsausdruck sagte etwas anderes.

Nicht, dass Kimberly besonders scharf auf diese Pflichtübung gewesen wäre. Aber wenn sie sich mit diesem … Sprössling gutstellen und herausfinden wollte, was eigentlich vor sich ging, konnte sie genauso gut jetzt damit anfangen.

»Hast du deinen Vater heute Morgen noch gesehen, bevor er gegangen ist?«

»Nur kurz. Er sagte, wir würden heute Abend reden.«

Kimberly setzte sich an den kleinen Glastisch, und als Gertrude hereinkam, fragte sie sie, wo die Köchin sei.

»Die Party gestern Abend dauerte so lange, also sagte ich ihr, dass sie erst mittags zu kommen bräuchte.«

»Dann werde ich wohl Sie bitten müssen, mir mein übliches Frühstück zu machen. Eine kleine Schale Müsli mit frischen Früchten und Joghurt sowie schwarzen Kaffee.«

»Möchtest du noch etwas, Ezra?«, fragte Gertrude demonstrativ. »Vielleicht ein paar Eier, so wie du sie gerne magst, mit zerkrümelter Matze?«

Kimberly war nicht dumm, sie wusste, dass es sich bei dieser Verzögerung um einen subtilen Akt des Ungehorsams handelte, aber sie war klug genug, für dieses Mal ihren Mund zu halten.

»Danke, Gertrude, aber ich möchte nichts mehr«, sagte Ezra. Endlich drehte Gertrude sich um, ihr langer schwarzer Rock wirbelte um ihre fetten Knöchel, und sie ging in die angrenzende Küche. Kimberly hörte sie herumfuhrwerken, und selbst das erboste sie.

»Ich bin so froh, dass du gestern Abend noch den Bürgermeister begrüßen konntest. Er ist so ein witziger Mann, wenn er sich mal bei Freunden entspannen kann. Aber wir werden noch mehr Dinnerpartys geben, und mit der Zeit wirst du ihn schon kennenlernen.«

Ezra nickte unverbindlich und nippte an seinem Kaffee.

»Also«, sagte Kimberly auf der Suche nach einem Anfang, »mit den ganzen Leuten gestern Abend hatten wir gar nicht die Gelegenheit, uns richtig zu unterhalten. Warum hast du dich entschieden, nach New York zurückzukehren?«

Ezra hob den Blick zum Fenster, und ein paar Sekunden lang sagte er gar nichts. »Meine Arbeit in Israel ist beendet.«

Da Kimberly keine klare Vorstellung davon hatte, worin diese Arbeit bestanden hatte, und sich auch nicht wirklich dafür interessierte, ging sie nicht näher darauf ein. »Und hast du jetzt vor, für immer hier zu bleiben … ich meine, in New York?«

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