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Natürlich hatte sein Onkel recht, obwohl Ezra keine Ahnung hatte, wie diese Bemühungen aussehen könnten. Wenn seine Mutter noch leben würde, wäre es kein Problem. Sie war auf alles stolz gewesen, was er getan hatte, sei es das Bild eines Pferdes, das er gemalt hatte, oder weil er bei einer Spielshow im Fernsehen die richtigen Antworten erraten hatte. Es war sein Vater, dem das, was er tat, niemals gut genug war. Es war sein Vater, der stets glaubte, sein Sohn sei ihm nicht gewachsen. Der nichts von dem verstand, was Ezra Spaß machte oder für das er sich interessierte. Alles, worauf Sam Metzger sich verstand, war, wie man Geld verdiente, indem man Bürogebäude, Parkhäuser und Einkaufszentren hochzog. Was er auch anfasste, verwandelte sich in Gold, während alles, was Ezra berührte, zu Staub zerfiel.

Aber die Schriftrolle würde alles ändern. Was Ezra hier tat, würde die ganze Welt aufhorchen und von ihm Notiz nehmen lassen. Und dann würde sein Vater ihn endlich wahrnehmen und zugeben müssen, dass Ezra etwas getan hatte, etwas von so großer Tragweite, wie selbst er, der große Sam Metzger, es nicht geschafft hatte. Wenn dieser Tag käme, würde es der süßeste in Ezras Leben sein.

Und er war nicht mehr weit entfernt.

Doch was sollte er ihm in der Zwischenzeit als Friedensangebot anbieten? Einen Kuchen backen? Ihnen einen Brief mit einer Entschuldigung auf das Kopfkissen legen? »Ich versuche nur, meine Arbeit zu machen«, sagte er schlicht.

»Gut. Tu das«, sagte Maury, stellte seinen Kaffeebecher auf den Fußboden und rappelte sich aus dem Sessel auf. Das morgendliche Sonnenlicht strömte durch die schmutzigen Fenster in die Wohnung. »Ich könnte jetzt ein paar Plunderstücke vertragen. Wie sieht’s mit dir aus?«

»Ich zahle«, sagte Ezra.

»Das überlass lieber mir«, sagte Maury. »Dich werden sie nicht einmal in den Laden lassen.«

13. Kapitel

»Ist es in Ordnung, wenn ich die Frage direkt an Professor Russo richte?«, fragte Katie, und Carter, der sich die Bühne des Hörsaals mit ihm teilte, sagte:

»Nur zu.«

Katie stand auf und stützte sich auf die Rückenlehne des Sitzes vor ihr. Joe und Carter standen links und rechts der Dia-Leinwand, auf dem die künstlerische Darstellung eines fliegenden Pterodactyls zu sehen war. »Professor Cox glaubt, dass Vögel die modernen Abkömmlinge der Dinosaurier sind«, sagte Katie, »und dass einige Dinosaurier, einschließlich des Fossils, das wir in der letzten Vorlesung gesehen haben, sogar Federn hatten. Ich weiß, dass es eine große Diskussion darüber gibt. Welche Position nehmen Sie dabei ein?«

Carter hätte sich denken können, dass Katie versuchen würde, ihn dranzukriegen. Sie war die klügste Studentin in diesem Kurs, aber sie stiftete gerne Unruhe, und Joes Anwesenheit verschaffte ihr die perfekte Gelegenheit dazu. Es war fast, als hätte sie erraten, dass dies eine der wenigen Fragen in der Paläontologie war, bei der sie nicht einer Meinung waren.

Joe stopfte die Hände in die Taschen seines Tweedjacketts und sah aus, als überlege er, wie er darauf antworten sollte. Ehrlich sein oder sich der Meinung seines Gastgebers beugen?

»Ja, Sie haben recht. Über diesen Punkt wird viel gestritten«, sagte er, um Zeit zu gewinnen. Als er seine Hände wieder aus den Taschen nahm, hatte er ein Streichholzheftchen in der einen und ein zerknautschtes Päckchen Nazionalis in der anderen Hand. Er klopfte eine Zigarette heraus und war gerade dabei sie anzünden, als ein paar Studenten lachten und Carter erklären musste:

»Joe, tut mir leid, aber hier drin darfst du nicht rauchen.«

Einen Moment lang wirkte Joe ratlos, als habe er nicht einmal mitbekommen, dass er überhaupt eine Zigarette anstecken wollte, dann schnipste er das Streichholz aus. »Ja, natürlich.«

»Ich habe gelesen, dass man in Madagaskar einige Fossilien gefunden hat«, warf Katie ein, »die eine Art Tier darstellen, das Federn an den Unterarmen besitzt, wie ein Vogel. Aber es weist auch Klauen auf, die wiederum eher an einen Dinosaurier denken lassen.«

»Ich weiß. Ich glaube allerdings, dass dort ein Fehler gemacht wurde. Ich vermute, dass bei der Grabung Teile verschiedener Tiere entdeckt wurden. Für mich«, sagte Joe und blickte entschuldigend zu Carter hinüber, »gibt es immer noch zu viele … wie sagt man … offene Fragen. Ich kann zum Beispiel bei Vögeln keinen Daumenansatz erkennen«, er hob seinen eigenen in die Höhe und wackelte damit, »wie wir es bei den Dinosauriern haben. Ich sehe die Ähnlichkeiten, ja, zwischen Vögeln und einer Linie der Dinosaurier …«

»Den Theropoden?«, machte Katie sich wichtig.

»Ja. Sie haben Ihrem Professor gut zugehört«, sagte Joe lächelnd, »doch selbst zu diesen Theropoden, den Fleischfressern, gibt es keine eindeutige Verbindung.« Er zuckte die Achseln. »Aber darum geht es schließlich in der Wissenschaft. Debatten, Diskussionen und Entdeckungen. Ich könnte mich irren und mein Freund Carter letztendlich recht behalten. Das ist möglich. Und da Sie in seinem Kurs sitzen und nicht in meinem, denke ich, dass Sie lieber mit seiner Sichtweise übereinstimmen sollten.«

Es gab vereinzeltes Gelächter im Hörsaal, und Carter wollte schon nach vorn treten und wieder für Ruhe sorgen, als ein anderer Student fragte: »Herrscht unter europäischen Forschern Konsens in diesen ganzen Fragen? Unterscheidet sich die europäische Sichtweise von der amerikanischen? Was zum Beispiel denkt die italienische Wissenschaftsgemeinde?«

»Sie wollen, dass ich für ganz Europa spreche, oder auch nur für Italien?«, fragte Joe mit großen Augen, und Carter sagte: »Mach ruhig. Soweit ich weiß, schneidet niemand mit, was du sagst. Die Bühne gehört dir.«

Joe ging mehr in die Mitte, und Carter zog sich in den Schatten im Hintergrund zurück, was genau der Platz war, an dem er heute sein wollte. In der Nacht hatte er schlecht geschlafen, und selbst jetzt kehrten seine Gedanken immer wieder zu den Ereignissen rund um die Anlieferung des Fossils zurück.

Als er endlich so weit gewesen war, seine eigenen Untersuchungen anzustellen, hatte Carter sich voller Energie in die Arbeit gestürzt. Er hatte die Ketten entfernt, die den Felsen auf der Plattform festhielten, und die breiten gelben Klebestreifen abgerissen, mit denen die Plastikplane befestigt war. Dann hatte er vorsichtig von oben nach unten die Plane selbst aufgeschnitten, so dass die Stücke sich vom Felsen lösten wie Blütenblätter, die sich weit öffneten und schließlich matt herunterhingen. Schließlich lagen die Plastikstreifen gleich einem Nest um den Stein herum. Der Felsen selbst war das reinste Wunder. Ein massiver unebener körniger Block, voller Furchen und Rillen, der überall glitzerte und aus einer Vielzahl unterschiedlichster Mineralien bestand. Geologie war noch nie Carters Stärke gewesen, aber selbst er konnte mit bloßem Auge erkennen, dass dieses besondere Exemplar ein sehr langes und ereignisreiches Leben hinter sich hatte. Jeder hätte es erkennen können.

»In Italien ist die Regierung sehr knauserig, was die Bewilligung von Geldern angeht, so dass wir nur sehr schlecht Zugang zu moderner Technik haben. Vielleicht ist das der Grund dafür, dass wir gerne nachdenken und mit Theorien arbeiten«, sagte Joe gerade. »Erst später versuchen wir, Beweise zu finden, die unsere Theorie belegen.«

Die Studenten lachten erneut, und eine weitere Frage wurde gestellt. Erleichtert stellte Carter fest, dass Joe sich für die Aufgabe erwärmte. Er wusste, dass sein Freund ein guter Dozent war, und vermutete, dass er bei seinen eigenen Studenten in Rom ziemlich beliebt war.

Aber an jenem ersten Abend im Labor hatte er wesentlich weniger Interesse und Begeisterung gezeigt, als Carter erwartet hätte. Vielleicht war die ganze Sache für ihn schlichtweg enttäuschend. Joe hatte sich zurückgehalten und nur gelegentlich einen Kommentar abgegeben oder eine Feststellung gemacht, während Carter auf dem Felsen herumgeklettert war wie ein Kind auf dem Baum. Einmal hatte er sich flach oben auf den Stein gelegt und versucht, sich vorzustellen, was in seinem Inneren versteinert worden war. Wie lag das Fossil? Welche Knochen waren noch erhalten? Was würden sie ihm möglicherweise über die Evolution und die prähistorische Welt verraten?

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