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Zu Hause stellte Ezra erfreut fest, dass alle fort waren; selbst Gertrude war zum Einkaufen oder so. Er eilte den Korridor entlang, schloss die Tür hinter sich ab und machte sich umgehend daran, seine Zimmer umzuräumen. Außer, dass er ein paar Dinge vom Nachttisch räumte, um mehr Platz für seine Lektüre zu haben, beließ er das Schlafzimmer in seinem ursprünglichen Zustand.

Der angrenzende Raum war früher sein Spielzimmer gewesen, und er hatte beschlossen, dass er hier die eigentliche Arbeit erledigen würde. Zuerst räumte er das Bücherregal aus, in dem immer noch die meisten Bücher aus der Schule und dem College standen, alles vom Fänger im Roggen bis zur Norton Anthologie. Anschließend zerrte er das leere Regal hinüber zum Fenster. Wenn seine Quellensammlung aus Israel ankäme, würde er sie dort einsortieren.

An der Stelle, wo vorher das Bücherregal gestanden hatte, baute er den Zeichentisch auf. Zum Glück war das nicht viel Arbeit, er musste nur die Beine befestigen, die Platte im richtigen Winkel einstellen und die Lampe anklemmen. Tisch und Stuhl standen jetzt so weit wie möglich vom Fenster und damit vom Tageslicht entfernt, und das war gut so. Sonnenlicht konnte an Materialien wie denen, mit denen er arbeiten würde, eine Menge Schaden anrichten.

Schließlich brauchte er noch etwas, auf dem er seine Werkzeuge und Arbeitsmaterialien ablegen konnte. Sein Blick fiel auf eine alte Holzkiste neben dem Schrank, in der er früher seine Spielsachen aufbewahrt hatte. Er bückte sich, um sie zu öffnen, und war nicht weiter überrascht, als er seine alten Modellflugzeuge und Comics darin entdeckte. Sogar die Bongos waren noch dort, mit denen er seine Eltern fast in den Wahnsinn getrieben hatte. Er klappte den Deckel wieder zu, zerrte die Kiste hinüber zum Zeichentisch und legte die Tüten mit den Pinseln, dem Alkohol und den Handschuhen darauf. Dann trat er einen Schritt zurück und begutachtete sein Werk.

Nicht übel, dachte er. Überaus brauchbar sogar.

Jetzt stand ihm nichts mehr im Weg. Er konnte wieder mit der Arbeit beginnen.

Er betrat den begehbaren Schrank und griff in das oberste Regal, hinter die zusätzlichen Decken. Seine Finger ertasteten die Papprolle, die er dort versteckt hatte, und zogen sie hervor. Obwohl der Inhalt der Rolle nur wenig wog und nur in Gramm, nicht einmal in Kilogramm messbar war, fühlte es sich an, als hielte er etwas von unvorstellbarem Gewicht in den Händen. Es fühlte sich an, als hätte er den Gipfel des Berges Sinai erklommen und umklammere jetzt die Steintafeln, die einst Moses höchstpersönlich anvertraut worden waren.

Und so viel er wusste, tat er genau das.

7. Kapitel

Obwohl Carters Anruf erst in einer Stunde fällig war, wollte Giuseppe Russo kein Risiko eingehen. Er würde neben dem Telefon warten. Sich hinauszuwagen war im Moment ohnehin keine besonders verlockende Aussicht. In Rom dämmerte es, und aus den schmalen Fenstern seines Büros im obersten Stockwerk des Biologiegebäudes konnte er bereits die riesige Wand aus düsteren grimmigen Wolken sehen, die gegen die Olivenbäume zu stoßen schien und über die alten Ruinen auf dem Monte Palatino hinwegfegte. Seit Tagen braute sich über der Adria ein Sturm zusammen, und jetzt schien er bereit zu sein, seine Urgewalten freizulassen.

Russo setzte sich auf den klapprigen Schreibtischstuhl, was angesichts seiner Größe und der Zerbrechlichkeit des alten Eichenstuhls kein ganz leichtes Unterfangen war, und zündete sich eine weitere Nazionali an. Gott, war er müde. Nur mit Mühe schleppte er sich nachmittags zu seinen Vorlesungen und abends nach Hause. Er konnte sich nicht einmal daran erinnern, wann er das letzte Mal anständig geschlafen hatte. Nein, das stimmte nicht. Er konnte sich sehr wohl daran erinnern. Es war die Nacht, bevor er das Fossil in der Höhle zu Gesicht bekommen hatte. Das Fossil, das sich jetzt im Hof unter ihm befand. Einerseits glaubte er, dass er sich mit diesem Fund einen Namen machen würde, doch andererseits wünschte er, er hätte niemals auch nur davon gehört. Und diese Seite wurde mit jedem Tag stärker.

Er blies eine Rauchwolke gegen die verblichenen Samtvorhänge. Ein paar voreilige Regentropfen schlugen gegen die Fensterscheibe. Er verstand es einfach nicht. Er war an einem Dutzend Ausgrabungsstätten gewesen, hatte Tausende von Fossilien und Knochenfragmenten in der Hand gehabt, viele von ihnen menschlichen Ursprungs. Aber nie zuvor hatte er so etwas empfunden wie im Moment. Ein nagendes Unbehagen, ein fast greifbares Gefühl des Grauens. Seit seine Finger in der Grotte am Lago d’Averno die nassen Klauen berührt hatten, falls es sich tatsächlich um solche handelte, war sein Geist in Aufruhr und seine Stimmung gesunken. Nachts warf er sich unruhig im Bett von einer Seite auf die andere, und wenn er schließlich einschlief, plagten ihn Albträume. Mehrmals war er schlafgewandelt, etwas, das er seit seiner Kindheit nicht mehr getan hatte. Einmal war er aufgewacht und hatte, zusammengerollt wie ein Hund, unter dem Tisch gelegen.

Und hatte ein Küchenmesser fest umklammert gehalten.

Er drückte die Zigarette im Aschenbecher auf dem Tisch aus und schloss eine Sekunde lang die Augen. Er musste sich überlegen, wie er Carter den Fall darlegen sollte und ihn dazu überreden konnte, ihn bei diesem gewaltigen, aber sonderbaren Unterfangen zu unterstützen. Der zunehmende Wind rüttelte an den Glasscheiben in den bleigefassten Fenstern, und die roten Samtvorhänge raschelten in der Zugluft. Wie ein losgemachtes Boot begannen seine Gedanken abzudriften. Die Heizung in der Ecke zischte und erzeugte mehr Lärm als Wärme, doch unter diesen Geräuschen glaubte er noch etwas anderes zu hören. Ein weit entferntes, unregelmäßiges Klopfen. Das Geräusch von Metall, das auf Stein schlug. Er versuchte es zu ignorieren, aber der Ton war so beharrlich, dass er niemals imstande sein würde, zur Ruhe zu kommen oder sich zu konzentrieren, solange er nicht herausgefunden hatte, was es war, und dem ein Ende bereitete. Wo, fragte er sich, steckte bloß Augusto, der Pförtner, und warum kümmerte er sich nicht darum?

Erschöpft und gereizt ging Russo zur Treppe und lauschte erneut. Das Geräusch kam eindeutig von unten. Die Treppe bestand aus abgewetztem Marmor und schwang sich in einem eleganten Bogen nach unten. Sie erinnerte daran, dass das Gebäude, das jetzt Teil der Universität war, vor mehreren Jahrhunderten als Privatpalast für einen Abkömmling der Medici erbaut worden war. In diesem Moment, als sich die Dämmerung des Samstagabends über die Stadt senkte, lag es verwaist da. Nur ein paar Deckenlichter brannten noch. Es war Russos Aufgabe, sie auszuschalten, ehe er ging. Es sei denn, Augusto wäre noch hier.

Russo hasste es, sich so weit vom Telefon zu entfernen, aber jetzt ertönte das metallische Klopfen erneut, und er musste sich vergewissern, dass es nichts Ernstes war. Eine Hand an dem feingearbeiteten eisernen Handlauf, hastete er die Treppe hinunter in das riesige Vestibül im Erdgeschoss. Weit und breit keine Spur von Augusto oder einem anderen Menschen. Die großen bogenförmigen Türen, die zum Innenhof führten, waren unverschlossen und knarrten im feuchten Wind.

Das Klopfen ertönte erneut. Es kam vom Hof.

Russo knöpfte seine Strickjacke zu, wobei er feststellte, dass etwas Zigarettenasche an der Vorderseite klebte, und stieß eine der schweren Türen weiter auf.

Wie eine Glucke schien der massive schwarze Steinblock in der Mitte des Hofes zu hocken. Er ruhte auf einem halben Dutzend Stahlböcken, eine riesige blaue Plastikplane hing darüber und flatterte und peitschte im Wind. Eines der Seile, mit denen die Plane festgezurrt war, hatte sich gelöst und schlug wie wild hin und her, wobei der Metallkarabiner immer wieder gegen den Felsbrocken knallte.

Zumindest dieses Rätsel war gelöst.

Russo wusste, dass er das Seil nicht so lose lassen durfte, es könnte den Felsen beschädigen.

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