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Am Eingang zur Galerie blieb er stehen, noch im Schatten des Treppenaufgangs verborgen. Beth hatte ihm den Rücken zugewandt, und der Kunde stand neben ihr. Sie trug ihre übliche Arbeitskleidung, einen engen schwarzen Hosenanzug mit weißer Seidenbluse. Ein schwarzes Band hielt ihr Haar in einem kurzen Pferdeschwanz zusammen. Sie nannte es ihren Smoking und sagte, sie trüge ihn aus dem gleichen Grund wie die Männer: um mit dem Hintergrund zu verschmelzen. Der Typ neben ihr hingegen würde mit gar nichts verschmelzen. Er war groß und kräftig, mit kurzem borstigem Haar, und trug einen langen Regenmantel aus einem glänzenden, metallisch schimmernden Stoff.

Während Beth auf verschiedene Aspekte der Zeichnungen hinwies, die vor ihnen auf dem breiten Tisch ausgebreitet waren, musste Carter feststellen, dass der Mann wesentlich mehr Zeit damit verbrachte, Beth zu beobachten anstelle der Zeichnungen. Vielleicht hatte Raleigh es aus diesem Grund so eingerichtet, dass Beth sich um diesen speziellen Kunden kümmern sollte, und dann auch noch in der relativen Ungestörtheit der oberen Galerie. Möglicherweise zählte er darauf, dass ein wenig Erotik helfen könnte, heute ein Geschäft für die Galerie abzuschließen.

»Der große Wert von Zeichnungen«, sagte Beth gerade, »besonders, wenn es sich um Studien und Skizzen handelt, liegt darin, dass man die Hand des Künstlers völlig frei bei der Arbeit sieht. Er arbeitet schnell, improvisiert, probiert aus.«

Der Mann streckte die Hand aus und berührte ihr Gesicht, um ihr, wie Carter annahm, eine Haarsträhne aus der Stirn zu streichen.

Beth verstummte und wirkte einen Moment lang verwirrt.

»Das Haar war im Weg. Ich konnte Ihre Augen nicht mehr sehen.«

»Äh, danke. Aber vielleicht sollten wir uns besser auf die Zeichnungen konzentrieren.«

Carter nahm das als sein Stichwort, weitere Aufmunterungen brauchte er bestimmt nicht. Er räusperte sich geräuschvoll und betrat die Galerie. »Ich hoffe, ich unterbreche keine Verhandlungen«, verkündete er.

»Was für eine Überraschung«, sagte Beth mit Erleichterung in der Stimme.

Carter legte einen Arm um sie und küsste sie auf die Wange, dann wandte er sich mit ausgestreckter Hand an den Kunden.

»Carter Cox, Beths Gatte.«

»Bradley Hoyt«, sagte der Mann und schüttelte ihm die Hand.

»Mr Hoyt möchte sich eine Sammlung Alter Meister zulegen«, erklärte Beth.

»Und Beth sorgt dafür, dass ich nur das richtige Zeug kaufe.«

»Eine bessere Ratgeberin bekommen Sie nicht«, sagte Carter und drückte ihre Schulter. »Aber warum Alte Meister?«, sagte Carter. Jetzt, bei genauerer Betrachtung, nahm er den eigenartigen grau-grünen Schimmer des Regenmantels wahr.

»All meine Freunde kaufen dieses riesige Zeugs, neuen Kram, aber die Preise schießen im Moment in den Himmel. Ich meine, ich könnte es mir ohne Probleme leisten, dieses Spiel mitzuspielen, aber es gefällt mir nicht, in Dinge zu investieren, bei denen das Wachstumspotential gegen null geht. Ich kaufe lieber Zeug, das immer noch Profit bringen kann.«

»Und das«, fragte Carter und warf einen kurzen Blick auf die Zeichnungen vor ihnen, »gilt für diese Zeichnungen?«

»Das hat Beth mir jedenfalls erklärt«, sagte der Mann. Ein breites Lächeln entblößte perfekte weiße große Zähne. »Außerdem ist es eine klassische Form von Investition.«

Plötzlich begriff Carter, aus welchem Material der Mantel bestand. »Ist das eine Art Eidechsenhaut?«

»Nah dran. Es ist Krokodilleder.«

»Der ganze Mantel?« Carter hatte schon Krokoleder gesehen, bei Uhrenarmbändern oder Brieftaschen. Aber ein Regenmantel, der dem Mann fast bis zu den Knöcheln reichte?

»Jupp. Echtes Krokodil aus Sumatra.«

»So etwas habe ich noch nie gesehen«, sagte Carter.

»Und bei dem, was er gekostet hat, werden Sie es vermutlich auch nie wieder zu sehen bekommen.« Sein Blick flog hinüber zu Beth, vermutlich, um sich zu vergewissern, dass dieser erneute Hinweis auf seinen Reichtum auch richtig angekommen war.

Aber Beth bemerkte es nicht einmal. Sie verbrachte den größten Teil ihres Arbeitstages mit Menschen, die mehr Geld hatten, als sie ausgeben konnten, und Carter wusste, dass diese Vorstellung schon längst ihren Reiz für sie verloren hatte.

»Und, was treiben Sie so?«, wandte Bradley sich an Carter.

»Ich unterrichte.«

»High School?«

»Nein, Grundschule.«

Verwirrt sah Beth ihn an.

»Welche Klasse?«, fragte Bradley.

»Die erste. Ich finde, Kinder in diesem Alter haben noch so ein ungeheures Wachstumspotential.«

Jetzt hatte sie begriffen, und sie war nicht gerade angetan davon. »Mr Hoyt«, mischte sie sich ein, »ich denke, wir haben uns jetzt alles angesehen, was diese Galerie im Moment zu bieten hat. Vielleicht sollten Sie die Dinge noch einmal überdenken und wiederkommen, sobald Sie eine engere Wahl getroffen haben.« Mit diesen Worten reichte sie ihm einen Hochglanzkatalog vom Tisch.

Hoyt nahm den Katalog, rollte ihn zusammen und schob ihn in die Seitentasche seines Mantels.

»Es war nett, Sie kennenzulernen«, sagte Carter.

»Danke gleichfalls«, erwiderte Bradley.

»Ich werde die Zeichnungen jetzt wieder wegräumen«, sagte Beth. »Vielen Dank, dass Sie vorbeigeschaut haben, Mr Hoyt.«

Endlich kapierte Hoyt. Er drehte sich um und ging, wobei seine Absätze laut auf dem Parkettfußboden klapperten. Er hatte Stiefel an, stellte Carter fest, als er die Treppe hinunterstieg. Wahrscheinlich handgefertigt, aus dem Leder einer seltenen und vom Aussterben bedrohten Tierart.

Beth sammelte die Zeichnungen ein und verstaute sie sorgfältig in den Mappen. Als sie sicher war, dass sie allein waren, drehte sie sich zu Carter um und sagte: »Erste Klasse?«

»Desinformation, um den Feind in die Irre zu führen.«

»Ist er ein Feind?«

»Könnte sein. Ich habe gesehen, wie er dich angeschaut hat.«

»Ich bitte dich«, sagte sie lächelnd. »Wenn du dir wegen so etwas Sorgen machst, dürftest du den ganzen Tag nur Desinformationen von dir geben.«

Er lachte, legte jedoch seinen Arm um sie.

»Du weißt doch, dass wir hier überall Videokameras haben?«, fragte sie.

»Mir egal«, erwiderte er und küsste sie. Als er den Kuss zu sehr in die Länge dehnte, wurde Beth verlegen und stieß ihn von sich.

»Aber mir macht es etwas aus«, sagte sie. »Ich muss diesen Menschen jeden Tag unter die Augen treten.«

»Dann lass uns zum Lunch gehen. Ich zahle.«

»Rumpelmayer’s?«

»Central Park, am See. Draußen ist es wunderschön.«

Auf dem Weg zum Park machten sie bei einem Feinkostladen halt und holten sich Sandwiches und etwas zu trinken. Doch ihre Lieblingsbank mit Blick auf den kleinen See im Central Park South war bereits besetzt, ebenso wie alle anderen Bänke. »Ich war anscheinend nicht der Einzige mit dieser Idee«, sagte Carter.

Sie fanden einen flachen Felsen, auf dem sie sitzen konnten, gleich neben dem Fußweg, und packten ihre Mahlzeit dort aus. Während Carter den Verschluss von Beths Flasche aufschraubte, sagte sie: »Du hast mir gar nicht erzählt, was du heute hier in der Gegend vorhast.«

»Dich zum Lunch treffen.« Er reichte ihr die offene Flasche.

»Wirklich?«, fragte Beth, doch sie lächelte skeptisch. Sie nahm einen Schluck von dem Eistee und stellte die Flasche anschließend vorsichtig auf den Stein. »Der Spaziergang zum Park, das kleine Picknick …«

»Ja?«

»Das ist alles nur eine spontane Demonstration deiner Zuneigung?«

»Absolut.«

Sie biss von ihrem Sandwich ab, kaute langsam, legte das Brot zurück in die Verpackung und sagte: »Okay, ich kann die Spannung nicht länger ertragen. Wie schlimm ist es?«

»Was?«

»Das Problem, von dem du mir erzählen willst.«

Carter tat entrüstet. »Kann ein Mann seine Frau nicht einfach mit einem romantischen Mittagessen an einem wunderschönen Herbsttag überraschen?«

»Nicht, wenn es ein Mann ist, der glaubt, er würde den Rubikon überschreiten, sobald er die vierzehnte Straße überquert. Du musst schon einen ziemlich guten Grund für diesen Ausflug haben, sonst hättest du ihn nicht gemacht.«

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