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»Wann wollen wir uns treffen? Um zu reden?«

»Ich habe heute zum Lunch Zeit«, sagte Carter. »Und wenn Sie Lust hätten, nach Downtown in den Fakultätsclub der NYU zu kommen, würde ich Sie gerne einladen.«

Nein, dachte Ezra, das klang entsetzlich. Außerdem hatte Kimberly vor, sich heute von Onkel Maury auf eine Einkaufstour fahren zu lassen, so dass ihm nichts anderes übrigbliebe, als ein Taxi zu nehmen. Ob er damit wohl die Auflage vom Gericht verletzte, ständig erreichbar zu sein?

»Wie wäre es«, sagte Ezra, plötzlich ganz beflügelt, »wenn Sie hierherkämen? Ich könnte einen Lunch zubereiten lassen, und wir könnten uns absolut ungestört unterhalten.«

Es gab eine Pause, dann sagte Carter: »Also gut, danke. Wo wohnen Sie?«

Ezra gab ihm die Adresse und legte auf. Anschließend stand er stocksteif da und dachte nach. Was hatte Carter schließlich doch noch dazu gebracht, die Nummer zu wählen, die er auf einen Fetzen Papier gekritzelt hatte? Er hatte die Hoffnung schon fast aufgegeben. Und jetzt war der Anruf gekommen. Was sagt man dazu! Dinge, die womöglich größer waren, als selbst er, Ezra, es sich vorstellen konnte, waren erneut in Bewegung gesetzt worden. Wenn es tatsächlich einen größeren Plan gab, hatte er vielleicht gerade einen kurzen Blick darauf erhascht.

Dem Anlass zu Ehren duschte Ezra, rasierte sich und zog einen frischen schwarzen Rollkragenpullover an. Als Carter eine Stunde später eintraf, wartete er bereits im Foyer auf ihn, um ihn zu begrüßen. Carter, das merkte er, war einen Moment lang überrascht von der prunkvoll ausgestatteten Wohnung. Die Skulpturen von Rodin, die gewölbten Decken, der Ausblick aus dem Penthouse. Ezra war natürlich daran gewöhnt.

»Danke, dass Sie gekommen sind«, sagte er, nahm ihm die Lederjacke ab und reichte sie Gertrude, die wie eine Mutterglucke um sie herumschwirrte. »Folgen Sie mir«, sagte er und führte seinen Gast über den polierten Marmorfußboden. »Wir werden im Esszimmer speisen. Dort haben wir vollkommene Ruhe.« Doch dann hörte er Kimberlys Stimme, die gerade auf sie zukam, und er blieb stehen. Sollte sie nicht schon längst zum Shoppen sein?

»Ich werde heute bei ein paar Galerien vorbeischauen«, sagte sie gerade, »aber damit bin ich bis zum späten Nachmittag fertig. Merken Sie mich für halb sechs vor.«

Einen Moment später kam sie in Sicht, als sie gerade ihr Handy zuklappte. Als sie Ezra und Carter sah, blickte sie von einem zum anderen, als versuchte sie herauszufinden, was an dem Bild nicht stimmte. Diamantohrringe glitzerten diskret unter ihrem kastanienbraunen Haar.

»Du hast Besuch von einem Freund?«, sagte sie mit kaum verhohlener Überraschung zu Ezra. »Ich bin Kimberly Metzger«, sagte sie zu Carter und streckte ihm eine perfekt manikürte Hand entgegen.

»Carter Cox.«

»Sie sind nicht zufällig«, fragte sie und senkte die Stimme, »sein Bewährungshelfer, oder?«

So sehr er sie auch hasste, Ezra war beeindruckt. Sie schaffte es in Rekordzeit, ihn schlechtzumachen.

»Vom Gericht?«, fuhr sie fort, ehe Carter sich eine Antwort einfallen lassen konnte. »Oder aus Dr. Neumanns Praxis?«

»Nein, nichts dergleichen«, sagte Carter leicht befremdet. »Ich unterrichte an der NYU. Ezra und ich haben einige Dinge zu besprechen. Über seine … Forschung.«

Sie nickte und sagte: »Oh, seine Forschung«, während sie ihr Telefon in die schwarze Handtasche von Chanel gleiten ließ. »Das ist bestimmt sehr wichtig.« Sie drückte auf den Knopf für den Lift und schenkte ihnen keinerlei Beachtung mehr.

Ezra führte seinen Gast durch mehrere riesige und verschwenderisch ausgestattete Räume. Carter entdeckte ein Porträt eines flämischen Malers, von dem er hätte schwören können, dass er es einmal in der Raleigh Galerie gesehen hatte. Obwohl Ezra kein Wort sagte, merkte Carter, dass er innerlich kochte. Da seine Mutter unmöglich noch so jung und hübsch sein konnte, musste es sich bei ihr um seine Stiefmutter handeln. Die böse Stiefmutter, der Art nach zu urteilen, wie sie miteinander umgingen.

Im Esszimmer war der Tisch, an dem mit Leichtigkeit zwanzig Personen Platz fanden, für zwei gedeckt. Gefaltete Leinenservietten, Kristallkelche, glänzendes Silber. Zwei Gedecke mit kunstvoll pochiertem Lachs auf wildem Reis waren bereits serviert. Carter und Ezra nahmen an einem Ende des Tisches Platz, Ezra am Kopf der Tafel und Carter direkt rechts neben ihm, von wo aus er durch eine Reihe von Terrassentüren auf eine großzügige Veranda mit kleinen Bäumen und Büschen blickte.

Carter war hungrig, und das Essen war ebenso gut zubereitet wie angerichtet. Ezra hingegen stocherte nur hier und da auf seinem Teller herum. Es schien, als wartete er nur auf den Moment, bis sein Gast auf den Grund ihres Treffens zu sprechen käme. Ein-oder zweimal erhaschte Carter einen Blick auf die Haushälterin, die ihren Kopf aus der Küchentür steckte und ihn sofort wieder zurückzog, als wollte sie sich nur vergewissern, dass die beiden Jungs auch allein zurechtkämen.

Nach einer halbherzigen Unterhaltung über die Möglichkeit eines Streiks beim öffentlichen Nahverkehr fragte Carter, ob der Bauplatz gegenüber des St. Vincent’s Hospitals tatsächlich ein Projekt von Ezras Vaters sei.

»Das sind sie alle«, erwiderte Ezra wegwerfend.

Okay, dachte Carter, hier war er in ein Fettnäpfchen getappt. Jetzt wagte er nicht mehr, nachzufragen, auf was seine Stiefmutter sich bezogen hatte, als sie ihn gefragt hatte, ob er Ezras Bewährungshelfer sei. Wer war dieser Kerl wirklich? Irgendein Krimineller?

»Also, wann erzählen Sie mir endlich, warum Sie angerufen haben?«, fragte Ezra, als er sich nicht länger bezähmen konnte. »War es Ihre eigene Idee, oder hat jemand sie darauf gebracht? Ihr italienischer Freund zum Beispiel?«

Carter war beeindruckt. Der Typ mochte seltsam sein, aber seine Vermutungen trafen stets den Nagel auf den Kopf. »Ja, es war Russo. Heute Morgen im Krankenhaus.«

»Was hat er gesagt?«

Carter hasste es, auch nur daran zu denken. Bei seinem Besuch hatte er erwähnt, dass er einen Mann getroffen habe, der genau wie Joe glaubte, das Fossil sei zum Leben erwacht. Daraufhin hatte Joe sich den Filzstift geschnappt und Rede mit ihm! auf die kleine Tafel gekritzelt. »Er möchte, dass ich mit Ihnen rede, um herauszufinden, was Sie wissen.«

»Das ist alles?«, fragte Ezra.

»Er kann noch nicht sprechen, seine Lungen und Stimmbänder wurden beim Feuer arg in Mitleidenschaft gezogen. Er kann nur ein paar Worte auf einmal mitteilen.«

»Ich möchte selbst mit ihm sprechen, sobald das möglich ist. Werden Sie es mich wissen lassen, wenn es so weit ist?«

Carter nickte, obwohl er im Stillen dachte, dass Ezra der letzte Mensch war, dem er das mitteilen würde.

»Eines Tages muss ich mich mit ihm hinsetzen und meine Theorien in aller Ausführlichkeit mit ihm diskutieren.«

»Theorien? Worüber?«

Ezra spielte mit ein paar Reiskörnern auf seinem Teller herum, als würde er überlegen, wie er das, was er zu sagen hatte, am besten formulierte. »Ihr Freund ist durch eine schreckliche Erfahrung aufgeschlossen dafür geworden. Aber ich bin mir nicht wirklich sicher, wie es bei Ihnen damit steht. Sie sind das, was ich einen Mann der Wissenschaft nennen würde«, sagte er und blickte immer noch nicht auf, »und meiner Erfahrung nach bedeutet das, dass Sie ziemlich voreingenommen sind.«

Carter reagierte verärgert. »Das ist meiner Erfahrung nach gewiss nicht richtig. Wenn Sie mich fragen, sind Wissenschaftler die aufgeschlossensten, wissbegierigsten Menschen auf der Welt.«

»Das stimmt nur, solange ihre Fragen sie zu den Antworten führen, die sie von Anfang an erwartet hatten«, erwiderte Ezra. »Nur solange sie das finden, wonach sie an den üblichen Stellen gesucht und genau das Erwartete gefunden haben.«

Carter wollte nicht den Eindruck erwecken, er sei übermäßig defensiv, und bedachte diese Erwiderung. Tatsächlich, da war etwas Wahres dran. Waren seine Entdeckungen in der Knochengrube ursprünglich nicht von den meisten seiner Kollegen außer Acht gelassen worden? Hatten er und andere nicht erbitterten Widerstand gegen den Gedanken erfahren, dass es sich bei den modernen Vögeln um die direkten Nachfahren der Dinosaurier handelte? Musste die Theorie der Geochronologie, der er selbst anhing, nicht immer noch einen schweren Kampf austragen, um akzeptiert zu werden? »Okay«, räumte er schließlich ein, »ich weiß, worauf Sie hinauswollen, und ich gebe zu, dass ich selbst einigen Widerstand gegen neue Ideen zu spüren bekommen habe.«

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