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Doch noch ehe das Gespräch richtig begonnen hatte, hatte der Ausdruck auf Dr. Westons Gesicht Carter bereits verraten, dass es um mehr ging als um falsche Ernährung. Der Arzt breitete einen Haufen Papiere und Laborberichte auf seinem Schreibtisch aus und machte etwas peinlichen Smalltalk mit Beth über seine private Kunstsammlung. Danach kam er jedoch direkt auf das Problem zu sprechen.

»In all Ihren Tests und Laborberichten«, sagte er und wandte sich direkt an Beth, »haben wir nichts gefunden, das die Probleme bei der Empfängnis erklären könnte. Die körperliche Untersuchung erbrachte keine Obstruktionen oder Probleme gleich welcher Art, und auch bei Ihren Blut-und Hormonwerten sind keine kritischen Auffälligkeiten festzustellen. Sie haben eine leichte Neigung zu Anämie, aber das bekommen wir mit einem einfachen Eisenpräparat in den Griff.«

Carter stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. Zumindest bei Beth war alles in Ordnung. Und vielleicht, ganz vielleicht, hatte seine Intuition ihn ja getäuscht.

Dann wandte Dr. Weston sich an ihn, und er wusste, dass es nicht so war.

»In Ihrer Krankengeschichte, Carter, lese ich, dass Sie als Jugendlicher Mumps hatten?«

Mumps? »Ja, das stimmt.«

»Erinnern Sie sich noch, ob es ein schwerer Verlauf war?«

Auf der Stelle war Carter der Monat wieder gegenwärtig, den er mit heftigem Fieber zu Hause verbracht hatte. Er war in einem der hinteren Schlafräume unter Quarantäne gestellt worden, mit zugezogenen Vorhängen und einer Tasse kühlendem Tee neben dem Bett. »Ja, das war es. Ich konnte deswegen ein paar Wochen lang nicht zur Schule.«

Dr. Weston nickte. »Wissen Sie noch, welche Medikamente Sie bekommen haben?«

Carter entsann sich, massenweise Tabletten geschluckt zu haben, und selbst an ein paar Spritzen in den Po, aber er hatte keine Ahnung, was das gewesen war. »Da müssen Sie meine Mutter fragen, oder den Arzt, falls er noch praktiziert. Er stand damals schon kurz vor der Pensionierung.«

»Das brauchen wir wahrscheinlich gar nicht. Ich denke, es ist ziemlich klar, was passiert ist, besonders, wenn Ihr Arzt, wie Sie sagen, damals schon eine ganze Weile praktiziert hat. Dieser Vorfall hat sich in den frühen Achtzigern zugetragen, bevor wir über die Informationen verfügten, die wir heute haben.«

Beim letzten Teil, »Informationen, die wir heute haben«, begannen bei Carter die Alarmglocken zu schrillen.

»Aller Wahrscheinlichkeit nach hat er Ihnen ein starkes Antibiotikum verschrieben«, führte Dr. Weston aus, »das sich, wie wir inzwischen wissen, in manchen Fällen, wenn es zu Beginn der männlichen Pubertät verabreicht wird, ungünstig auf die spätere Potenz auswirken kann.«

Carter musste die ganzen Wörter erst richtig sortieren. Sagte der Arzt damit, dass er impotent war? Denn wenn es das war, was er dachte, dann …

»Ich meine damit nicht, dass Sie irgendwelche Schwierigkeiten bei der Erregbarkeit oder der Ejakulation haben«, fuhr Dr. Weston fort. »Keiner von Ihnen hat angedeutet, dass es in diesem Bereich Probleme geben könnte.«

Die Sache war also schon einmal geklärt.

»Aber leider ist eine Nebenwirkung von Mumps und den Maßnahmen, die ergriffen wurden, um es zu besiegen, bei manchen Männern spätere Sterilität.«

Carter saß still auf seinem Stuhl. Beth rührte sich genauso wenig.

»Wir haben Ihre Spermienprobe zweimal untersucht – Sie haben uns eine ganze Menge Arbeit beschert.« Weston brachte ein sparsames Lächeln heraus, das indes nicht viel half. »Leider kamen wir beide Male zum selben Ergebnis. Die Anzahl der Spermien bewegt sich im Bereich um ein Prozent, und die Beweglichkeit ist in ähnlichem Maße abgeschwächt.«

Carter war immer noch dabei, die Informationen zu verarbeiten. Er war … steril?

»Wollen Sie damit sagen, dass ich … kein Kind zeugen kann?«

Dr. Weston lehnte sich in seinem Sessel zurück, die Hände flach auf den Schreibtisch gelegt. »Biologisch betrachtet muss ich diese Frage bejahen. Aber ich brauche jemandem von Ihrem intellektuellen Kaliber nicht zu erklären, dass biologische Vaterschaft nicht das Wichtigste im Leben ist.«

Eine Sekunde lang konnte Carter ihm nicht folgen.

»Als Paar können Sie immer noch ein Kind haben, indem Sie zum Beispiel eine alternative Quelle für die Samen finden. Wir können ein anderes Mal darüber reden, wenn Sie möchten, sobald Sie Gelegenheit hatten, sich alles in Ruhe zu überlegen. Physiologisch ist Beth immer noch eine erstklassige Kandidatin, um Mutter zu werden.«

Carter spürte, wie sie ihre Hand langsam über die Stuhllehne schob und seine eigene ergriff. Ob seine Hand genauso eisig war wie ihre?

Sie konnten also ein Kind bekommen, oder zumindest Beth konnte eines gebären. Mit dem Sperma eines anderen Mannes? Eines Freundes? Eines Familienmitglieds? Eines anonymen Spenders? Meine Güte, dachte Carter, so viele phantastische Möglichkeiten, wie sollte er sich da bloß für eine entscheiden?

»Ich weiß, dass das keine gute Nachricht ist«, sagte Dr. Weston, »und Sie sollten sich so viel Zeit nehmen, wie Sie brauchen, um alle Optionen in Erwägung zu ziehen. Aber wenn ich Ihnen eines mit auf den Weg geben darf, dann dieses: Sie haben Optionen. Wenn Sie eine Familie haben möchten, dann können und werden Sie eine bekommen.«

Sicher, dachte Carter. Aber wessen Familie wäre es dann?

Er wusste, dass Dr. Westons abschließende Worte als Ermutigung gedacht waren, aber als er sich jetzt unter all den jungen Leuten in der Cafeteria umschaute, bekamen die Worte einen dumpfen Beiklang. Als er all die jungen Kerle anschaute, kam ihm ein unheimlicher und unwillkommener Gedanke: Jeder von ihnen könnte der Vater seines Kindes werden, jeder von ihnen könnte für seine Frau das tun, was er nicht fertigbrachte. Jeder von ihnen könnte ein Baby zeugen, könnte seine eigenen Gene an die nächste Generation weitergeben. Das war ja auch nicht weiter schwer, aber es war etwas, das er niemals zustande bringen würde. Er wusste, dass diese Gedanken falsch und selbstzerstörerisch waren, aber er konnte nichts dagegen machen. Er kam auch nicht gegen das Gefühl an, dass er jetzt, wo er die Wahrheit kannte, weniger ein Mann sei als noch am Morgen, als er vollkommen ahnungslos aufgestanden war. Er konnte nur hoffen, dass Beth nicht auf gleiche Weise empfand. Denn selbst wenn es so wäre, würde sie es niemals zugeben.

Er legte die Gabel fort und schob das halbaufgegessene Essen beiseite. Selbst von dem Geruch wurde ihm im Moment leicht übel.

Er verließ die Mensa, um nach Hause zu gehen, entschied sich jedoch, im jetzt verwaisten Labor vorbeizuschauen. Er musste seinen Bericht für das Büro des Präsidenten fertigstellen, und er wollte sich vergewissern, dass er an alles gedacht hatte. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite blieb er stehen und begutachtete von dort aus das gelbe Polizeiband, das inzwischen an einigen Stellen herunterhing. Die Stahltüren hatten sich unter der intensiven Hitze verdreht und verbogen, und die Außenmauern waren rußgeschwärzt. Erstaunt stellte er fest, dass der Brandgeruch immer noch ziemlich stark war.

Doch dann merkte er, dass der Geruch nicht vom Labor kam. Die Quelle lag wesentlich dichter, rechts hinter ihm. Er drehte sich um und sah eine Art laminierten Ausweis auf dem Beton liegen. Er bückte sich, um ihn aufzuhaben.

Es war der Führerschein eines Mannes, eines jungen Afroamerikaners mit dem Namen Donald Dobkins. An den Rändern war er angesengt, aber das Bild kam ihm vage bekannt vor.

Er blickte in den Kelleraufgang und sah ein Brillenetui, offen und leer.

Hier war der Geruch sogar noch stärker. Und er hörte ein Geräusch, ein leises Rascheln, im Schatten am Fuß der Treppe.

Was ging hier vor? Was war da unten? Konnte es irgendetwas mit dem Brand im Labor zu tun haben? Und wenn ja, wie war das all die Tage unentdeckt geblieben, so nah dabei?

Das Rascheln ertönte erneut, und Carter rief: »Hallo? Ist da unten jemand?«

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