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Und wenn ja, ging ihn diese Verbindung irgendetwas an? Konnten diese Ereignisse in irgendeiner Weise, wie abseitig und unwahrscheinlich es auch klang, etwas mit seiner eigenen Arbeit zu tun haben?

Er versuchte, gründlich darüber nachzudenken. Versuchte, kühl und rational zu bleiben. In dem, was er tat, lag notwendigerweise ein theologischer Aspekt, und dieser Aspekt würde – oder könnte zumindest – eine Verbindung zum Glockengeläut darstellen. Traditionell wurden die Glocken geläutet, um die Gläubigen zum Gebet zu rufen, um den Beginn und das Ende eines Tages anzuzeigen, um solche Dinge wie die Hochzeit eines Königs oder die Nachricht eines Schlachtsieges zu verkünden.

Aber im Laufe der Jahrhunderte waren sie auch als Warnung vor einer nahenden Katastrophe geläutet worden. Invasoren vor der Küste. Ein Feuer oder eine Flut. Der schwarze Tod.

Gab es irgendeinen Aspekt bei seiner Arbeit am verschollenen Buch Henoch, der dieses Läuten ausgelöst haben könnte? Was würde Dr. Neumann wohl von solchen Fragen halten? Innerhalb von zwei Sekunden wäre sie damit fertig. Ach, ein weiteres Symptom seines Jerusalem-Syndroms, würde sie behaupten. Ein weiterer Ausdruck der zügellosen Selbstüberhöhung, die wesentlicher Bestandteil seiner allumfassenden Wahnvorstellung sei.

Dabei wusste er Dinge, die sie nicht wusste, er sah Zusammenhänge, die sie niemals begreifen würde. Er setzte die älteste Erzählung der Welt zusammen und übersetzte, langsam und mühselig, die Worte der geheimen Schrift. Von Henoch, dem Vater Methusalems, erfuhr er die Wege des Guten und des Bösen. Es gab eine Schlacht, so hatte er letzte Nacht gelesen, um die Seele jedes Menschen. Eine Schlacht, ausgetragen zwischen zwei Engeln, und der Ausgang des Kampfes würde das Schicksal des Menschen bis in alle Ewigkeit bestimmen. War er dabei, etwas zu enthüllen, das seit vielen Jahrtausenden verschollen gewesen war? Etwas so Fundamentales für das Verständnis des Universums und unseren Platz darin, dass er die Alarmglocken ausgelöst hatte, die dann tatsächlich in der ganzen Stadt geläutet hatten? Selbst Ezra kam das weit hergeholt vor … aber es schien nicht unmöglich zu sein.

Hatte die Stimme ihm nicht ein Ja ins Ohr geflüstert? Hatte sie ihn nicht in der Einsamkeit seines Zimmers gedrängt, weiterzumachen?

Eine Touristengruppe, eindeutig aus dem Nahen Osten, schlurfte an ihm vorbei. Die älteren Frauen trugen schwarze Tschadors und Gesichtsschleier, die Männer, oder zumindest ein paar von ihnen, die arabische Kopfbedeckung. Ihr Reiseleiter plapperte Arabisch mit einem Akzent, der sich für Ezra ägyptisch anhörte. Er hatte sich richtig in Schale geworfen, trug eine sich bauschende Dschellaba und trotz des kalten Wetters offene Ledersandalen. Er ging rückwärts, wobei er der Gruppe das Gesicht zuwandte und mit den Armen wedelte. Mit lauter Stimme erging er sich in allen Einzelheiten über die Vereinten Nationen und alles Mögliche. Als die Gruppe vorbeiging, flatterten ihre Gewänder im Wind, der vom Fluss her wehte. Ezra, der sich viel auf seine Sensibilität einbildete, nahm ihren Geruch wahr, das feine Aroma von Olivenseife und Tamarindensamen, getrockneten Datteln und reifen Feigen, gekochtem Lamm und Pfefferminztee. Unwillkürlich fühlte er sich zurückversetzt in die Straßen der Heiligen Stadt. Die meisten Menschen der Gruppe schlenderten vor ihm entlang, doch ein paar gingen auch hinter der Bank vorbei. Plötzlich fühlte er sich von ihnen umzingelt, einer wabernden Masse aus schwarz gewandeten Gestalten und halb vermummten Männern, und genau wie schon einmal zuvor hörte er eine Stimme etwas in sein Ohr flüstern. Aber dieses Mal schien sie aramäisch zu sprechen. Es klang wie die Worte für: »Bring es zu Ende

Sein Kopf wirbelte herum, aber die Gruppe spazierte einfach nur an ihm vorbei. Niemand schien dem Mann auf der Bank besonders viel Aufmerksamkeit zu schenken. Aber irgendjemand hatte gesprochen! Dieselbe tiefe Stimme, die er zuvor schon einmal gehört hatte. Ezra sprang auf die Füße.

»Wer hat das gesagt?«, verlangte er zu wissen. »Wer hat gerade zu mir gesprochen?«

Niemand antwortete. Ein Mann blickte ihn fragend an, und Ezra sagte: »Waren Sie das? Haben Sie etwas zu mir gesagt?«

Der Mann schreckte zurück, und mehrere Frauen wichen ihm ebenfalls aus. Sie murmelten etwas und kicherten verhalten unter ihren Schleiern, was Ezra nur noch wütender machte. Was sagten sie da? Versuchten sie, ihn irgendwie hereinzulegen?

»Jemand hier hat gerade mit mir gesprochen, und ich möchte wissen, wer es war.«

»Ich versichere Ihnen, Sir«, sagte der Reiseleiter, »niemand aus dieser Gruppe hat etwas zu Ihnen gesagt. Niemand aus dieser Gruppe spricht Englisch.«

»Derjenige hat auch kein Englisch gesprochen«, blaffte Ezra zurück, »sondern Aramäisch.«

Die Haut des Reiseleiters war faltig und hatte die Farbe einer Walnuss. Seine Miene verriet noch größere Verwunderung als zuvor. »Das, Sir, ist ebenfalls nicht möglich, Sir. Wir bedauern sehr, falls wir Sie irgendwie gestört haben«, sagte er und führte die Gruppe weiter. Leise sagte er etwas auf Arabisch zu ihnen, doch Ezra verstand genug von der Sprache, um das Wort majnoon aufzuschnappen, Verrückter.

»Erzählen Sie ihnen, ich sei ein majnoon?«, sagte er. »Wollen Sie behaupten, ich sei verrückt?«

»Bitte entfernen Sie sich, Sir«, sagte der Reiseleiter, »oder ich werde Maßnahmen ergreifen müssen.«

»Sie wollen Maßnahmen ergreifen? Was für Maßnahmen können das schon sein!«

Ezra ging auf den Mann zu, aber ehe er näher herankam, stellten sich ihm plötzlich zwei Sicherheitsleute der Vereinten Nationen in den Weg. »Okay, und jetzt beruhigen Sie sich erst einmal«, sagte der eine.

»Was ist das Problem?«, fragte der andere.

»Einer dieser Leute hat etwas zu mir gesagt«, erklärte Ezra, »und ich will wissen, wer es war.«

»Dieser Mann belästigt uns«, sagte der Reiseleiter und scheuchte rasch die letzten Nachzügler der Gruppe auf die Treppe des Gebäudes zu. »Er sollte unter Arrest gestellt werden!«

»So etwas machen wir nicht in diesem Land!«, schrie Ezra ihn an. »Habt ihr das immer noch nicht kapiert? Ihr seid hier in Amerika! Nicht in irgendeinem mittelalterlichen arabischen Provinznest! Amerika!«

Selbst Ezra wusste nicht, wo diese Wut herrührte. Es war, als hätte sie sich hinter dem schwächsten Damm angestaut, der jetzt unvermittelt brach.

»Ihr Land ist ein Land der Ungläubigen und Teufel«, fauchte der Reiseleiter zurück. Und dann, nachdem er seinen Feind korrekt eingeschätzt hatte, fügte er in deutlichem, aber leisem Arabisch hinzu: »Und der zionistischen Schweinehunde

Ezra stürzte sich auf ihn, die Arme nach der Kehle des Mannes ausgestreckt, doch einer der UN-Sicherheitsleute schlug plötzlich seinen Arm nach unten, während der andere ihn von hinten packte.

»Ich warne Sie«, rief Ezra, »der Gott Israels ist sehr lebendig!«, doch ehe er seinen Gedanken zu Ende führen konnte, wurde die Luft aus seinen Lungen gepresst, und er fand sich bäuchlings auf dem Gehweg wieder. Er hörte, wie einer der Wächter die Araber aufforderte, weiterzugehen, während der andere sein Knie in Ezras schmalen Rücken presste, eine Codenummer in sein Walkie-Talkie murmelte und um sofortige Unterstützung bat.

Wenn er nur genug Luft bekäme, könnte Ezra ihm erklären, dass das nicht nötig sei. Er war bereits bedient, und ihm war nicht nach Kämpfen zumute.

Doch diese Chance bekam er nicht. Als Nächstes wurden seine Hände mit Handschellen auf dem Rücken gefesselt, und er wurde auf die Füße gezerrt. Ein paar Touristen sahen erschrocken zu, einige machten sogar Fotos, dann wurde er zum Ausgang des Parks zur First Avenue geschleift, wo ein Polizeiwagen mit rotem Blinklicht und quietschenden Reifen zum Stehen kam.

Ein Cop sprang heraus und riss die hintere Tür auf.

»Sie müssen das nicht tun«, brachte Ezra heraus, aber der Cop legte nur die Hand auf Ezras Kopf, drückte ihn nach unten und schob ihn auf die Rückbank.

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