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Und dann entdeckte Carter seinen Freund. Mit einem Kleidersack über der Schulter trottete er schwerfällig vor sich hin, einen vollgestopften Koffer in der Hand und eine ramponierte Reisetasche unter den Arm geklemmt. Als er vorbeikam, klopfte Carter an das Glas. Joe blickte auf und hob grüßend das Kinn, den einzigen Körperteil, der nichts zu schleppen hatte. Carter deutete den Korridor hinunter auf den Ausgang, dann ging er los, um Joe dort zu treffen.

»Mio fratello«, rief Carter, die Arme weit ausgebreitet, als Joe herauskam.

»Dottore!«

Joe ließ Koffer und Kleidersack fallen, und sie umarmten sich und klopften einander auf die Schultern. Obwohl Carter über einen Meter achtzig groß und langgliedrig war, kam er sich in Joes bärenartiger Umklammerung wie ein Zwerg vor. Joe verströmte diesen abgestandenen Geruch aus der Flugzeugkabine, und sein schwarzer stoppeliger Bart kratzte an Carters Wange.

»Es ist einfach klasse, dich zu sehen«, sagte Carter und löste sich aus der Umarmung. »Wie war der Flug?«

Joe zuckte die Achseln. »Wie sind Flüge schon? Zu lang und viel zu wenig Platz.«

Carter hob seinen Koffer auf. »Komm, wir nehmen uns ein Taxi.«

»Ich sterbe, wenn ich keine Zigarette bekomme.«

»Dann solltest du besser eine rauchen, bevor wir ins Taxi steigen. Es gibt keine Rauchertaxis hier.«

Joe verdrehte die großen dunklen Augen, wie ein Wasserbüffel, der im Matsch stecken geblieben ist, und blieb stehen. »Heißt es nicht immer, New York City sei zivilisiert?«

Carter legte den Kopf schräg und sagte: »Von mir hast du das bestimmt nie gehört.«

Die Warteschlange für ein Taxi draußen war endlos, was Joe genügend Zeit gab, eine Nazionali anzuzünden und Carter alles über seine erst kürzlich erfolgte Berufung an die Universität von Rom zu erzählen, ebenso wie seine neue Wohnung und den Aufsatz, den er gerade über den Riechkolben des T. Rex geschrieben hatte, der übrigens wesentlich größer war, als er zuerst angenommen hatte. Carter informierte ihn über einige seiner Aufgaben an der NYU, aber in stillschweigender Übereinkunft brachte keiner von ihnen das große Thema zur Sprache. Das Offensichtliche, den Grund, weshalb Joe überhaupt hier war, mieden sie. Als sei der Gegenstand einfach zu bedeutend, um darüber zu plaudern, während sie in der Schlange auf ein Taxi warteten oder sich durch den dichten Stadtverkehr quälten.

Als sie den Washington Square erreicht hatten, bezahlte Carter den Fahrer, während Joe seine Taschen und Koffer in das Foyer des Gebäudes schleppte. Im Fahrstuhl auf dem Weg nach oben fragte Joe: »Die Universität – zahlt sie die Wohnung hier?«

»Nein, ich zahle Miete. Aber das Gebäude gehört der Uni.«

»Aber die Universität gibt dir bezahlten Urlaub?«

»Ja«, sagte Carter, »einen langen Urlaub.«

Joe nickte, als wollte er zustimmen. »Ich werde das der Universität in Rom erzählen. Sie sollten wissen, wie gut amerikanische Professoren behandelt werden.«

Carter hatte den Eindruck, dass Joe sich über alle Aspekte des Lebensstils seines amerikanischen Kollegen im Geiste Notizen machen würde, um für die Verbesserung der akademischen Lebensbedingungen zu plädieren, sobald er wieder in Italien wäre.

»Und deine Frau, ist sie zu Hause?«, fragte Joe, als sie die Taschen zur Tür schleppten.

»Das werden wir gleich wissen«, sagte Carter, schloss die Tür auf und öffnete sie. »Beth, bist du da?«

Aber es kam keine Antwort. Am Fußende des Sofas lagen eine ordentlich zusammengefaltete Decke und Laken, dazu ein Kissen mit einem frischen Bezug.

»Das ist mein Zimmer?«, fragte Joe und ließ seinen Kleidersack neben dem Couchtisch fallen. »Es gefällt mir sehr.« Er betrachtete die gerahmten Bilder über dem Sofa, zwei Vogelstudien von Audubon, und verstand sofort, welche Bedeutung sie für Carter hatten. »Abkömmlinge der Dinosaurier?«, sagte er, ließ seinen Koffer auf das Sofa plumpsen und öffnete den Reißverschluss.

»Ist das nicht offensichtlich?«, sagte Carter, und Joe schüttelte traurig den Kopf. Wenn es um Paläontologie ging, gab es nur wenige Punkte, bei denen sie nicht vollkommen übereinstimmten. »Wenn du dich frisch machen willst«, sagte Carter, »das Badezimmer ist auf der anderen Seite des Flurs.«

»Ich würde gerne duschen. Die Frau neben mir hatte eine Tasche mit Salami aus Genua dabei.«

Er holte einen Kulturbeutel aus blauem Nylon aus seinem Koffer und schlenderte in Richtung Badezimmer. »Oo fa, ich bin immer noch völlig steif.«

»Lass dir Zeit. Heißes Wasser kostet nichts.«

»Ich liebe Amerika.«

Während Joe unter der Dusche stand, überprüfte Carter den Anrufbeantworter. Es gab nur eine Nachricht von Hank, dem Hausmeister, der erklärte, dass die Deckenleuchten dreiundfünfzig Dollar mehr gekostet hatten, als Carter veranschlagt hatte. Davon abgesehen schien das Labor, das sie im hinteren Teil des Bio-Gebäudes eingerichtet hatten, rechtzeitig und mehr oder weniger innerhalb des Budgets so gut wie fertig geworden zu sein. Er war ganz begierig darauf, es Joe zu zeigen.

Aber er wollte ihn auch nicht zu sehr drängen, nicht heute, denn sein Kollege wirkte ziemlich erledigt. Vielleicht lag es nur an dem langen Flug in einem Sitz, der zweifelsohne für einen Mann von seiner Körpergröße viel zu klein war, aber Joe sah nicht so gesund und munter aus, wie er ihn kannte. Seine olivfarbene Haut hatte einen leicht gelblichen Schimmer, unter den Augen hatte er Tränensäcke, und in seinen Zügen lag etwas Gehetztes, selbst wenn er lächelte. Irgendwie schien es ihm im Moment nicht besonders gut zu gehen.

Carter wollte gerade nach unten laufen, um nach der Post zu sehen, als die Tür aufging und Beth hereinkam, die Arme voll mit Einkaufstüten. »Hilfe«, nuschelte sie, einen übergroßen Umschlag zwischen den Zähnen. Carter schnappte sich die größte Tüte, die am ehesten überzuquellen schien, und trug sie in die kleine Küche. Der Rest der Post steckte oben in der Tüte. Beth folgte ihm, stellte die anderen Taschen auf die Arbeitsplatte und ließ den Umschlag aus ihrem Mund auf den kleinen Frühstückstisch fallen. »Den hier musste ich quittieren.«

Carter warf einen kurzen Blick auf den Absender. Sein Italienisch war immer noch gut genug, um zu erkennen, dass er von einer italienischen Armeeeinrichtung stammte, einem Stützpunkt in Frascati. Er riss den Umschlag auf und erblickte eine Flut von Dokumenten auf Durchschlagpapier, alle beglaubigt, abgestempelt und an den Stellen, wo er unterschreiben sollte, mit großen roten Kreuzen versehen.

Beth sagte: »Und, wo ist unser Gast?«, und öffnete den Kühlschrank.

»Unter der Dusche.«

Sie stellte eine Tüte auf den Boden und begann, die Einkäufe in den Kühlschrank zu räumen. Carter studierte immer noch die Unterlagen, als Joe hinter ihm in der Tür zur Küche auftauchte.

»Das fühlt sich wesentlich besser an«, sagte er. Carter drehte sich um. Joe war immer noch nass und bis auf das Badehandtuch, das er locker um die Hüfte geschlungen hatte, nackt. An einer Silberkette baumelte eine St. Christophorus-Medaille auf seiner behaarten Brust.

Beth kniete auf dem Boden und wurde von der geöffneten Kühlschranktür verdeckt. Jetzt stand sie auf und sagte: »Hi, ich bin Beth.«

Joe, der sie offensichtlich nicht gesehen hatte, packte den Knoten in seinem Handtuch. »Maron«, sagte er. »So wollte ich mich dir nicht vorstellen.«

Trotzdem streckte er eine große nasse Hand aus, während er mit der anderen das Handtuch festhielt. Beth schüttelte sie, und gab es schließlich auf, sich das Lachen zu verkneifen. »Genauso habe ich mir unser erstes Treffen vorgestellt«, sagte sie, und Joe lachte ebenfalls.

»Hast du zufällig einen Bademantel, den du mir leihen könntest?«, fragte er Carter. »Ich habe meinen vergessen.«

»Ja, sicher. Aber sieh dir das hier an«, sagte Carter und reichte ihm die Papiere, ehe er loszog, um den Mantel zu holen.

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