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»Wir haben eine Probe vom Fossil selbst genommen …«

»Ich dachte, ihr hättet den Laser noch nicht eingesetzt?«, unterbrach Beth ihn.

»Haben wir auch nicht. Wir haben es auf die altmodische Weise gemacht und mit einem Meißel ein kleines Stück am Ende einer Kralle entfernt.«

»Und was hofft ihr, damit zu beweisen?«, fragte Ben.

»Wir haben sie rüber ins medizinische Forschungslabor geschickt, und mit der CarbonDatierung können wir vielleicht sein ungefähres Alter bestimmen. Das Merkwürdige ist, dass alle Tests bisher völlig unhaltbare Ergebnisse geliefert haben.«

»Inwiefern?«, fragte Abbie.

»Laut den Untersuchungen ist das Fossil älter als jede Lebensform, die je existiert hat, egal wo auf der Welt. Es ist älter als die Dinosaurier, das niederste Plankton oder Moos oder Amöben. Es existiert, wenn du so willst, seit Anbeginn der Zeit.«

Einen Moment lang herrschte Stille im Wagen.

»Klingt für mich wie ein Fall aus Akte X«, sagte Ben schließlich.

»Oder es ist ein Außerirdischer«, fügte Abbie hinzu.

Carter lehnte sich zurück. »Ja, nicht wahr?« Er blickte aus dem Fenster. »Ich habe ein paar Bücher und Aufsätze eingepackt, die ich dieses Wochenende lesen will«, sagte er. »Vielleicht werde ich also in eurem Haus das Rätsel ein für allemal knacken.«

Beths Herz sank. Sie hatte sich lange Spaziergänge im Wald ausgemalt, bei denen sie sich an den Händen halten und intensiv unterhalten würden, gefolgt von gemütlichen Abenden vor dem knisternden Feuer. Aber jetzt sah sie sich plötzlich allein durch den Wald laufen, während Carter im Haus über seinen Laborberichten brütete. Das hatte nicht zum Plan gehört. Sie wollte, dass sie Zeit zusammen verbrachten, dass sie rausgingen … und an diesem kleinen Projekt arbeiteten, ihrer Familiengründung. Doch solange Carter sich nicht völlig verändert hatte, gab es immer noch eine Sache, auf die sie zählen konnte: Der kleine Junge in ihm liebte Dinosaurier, aber der Mann in ihm liebte Victoria’s Secret. Und genau dort hatte sie in ihrer Mittagspause ein paar pikante Überraschungen besorgt.

Am Ende würde es eins zu null für die Reizwäsche stehen, und die Dinosaurier hätten das Nachsehen.

Als sie das Restaurant erreichten, war es genauso, wie Abbie es beschrieben hatte. Eine dunkle Hütte, einfaches Essen und ein traurig dreinblickender Elchkopf über der Bar. Die Stimmung zwischen Ben und Abbie allerdings verschlechterte sich zusehends. Schon im Wagen hatten sie angefangen, sich zu zanken, und jetzt, nachdem Ben ein paar Drinks zu viel intus hatte, wurde es nur noch schlimmer. Vielleicht war der Stress einfach zu viel. Der Kauf eines neuen Hauses, die Fahrt aus der Stadt heraus bei dem irrsinnigen Wochenendverkehr, der Versuch, ein Kind zu bekommen … Beth konnte nachvollziehen, wie es dazu kam, aber dadurch wurde es nicht angenehmer, Zeuge des Streits zu werden. Nach dem Essen bestand Abbie darauf, den Rest der Strecke zu fahren, und nach einer kleinen, nur zur Hälfte spielerischen Rangelei mit Ben um die Autoschlüssel hatte sie schließlich gewonnen.

Je weiter sie fuhren, desto dunkler und einsamer wurde die Straße. Die Ortschaften, durch die sie kamen, wurden immer trostloser und verlorener. Langsam wünschte Beth, sie hätte diesem Plan niemals zugestimmt. Würde Carter ihr je vergeben? Aber jetzt war es zu spät, um etwas dagegen zu unternehmen.

Nachdem sie etwa fünfzehn Minuten lang auf einer kurvenreichen, tiefschwarzen zweispurigen Straße entlanggefahren waren, sagte Ben: »Fahr langsam, wir sind da!«, und Abbie sagte: »Wo? Ich sehe nichts.«

»Da vorne, hinter der großen Eiche.«

Sie ging vom Gas. »Wie sieht eine Eiche aus? Ich kann eine Eiche nicht von einer Ulme unterscheiden, nicht einmal bei Tageslicht.«

»Es war der große Baum, an dem du gerade vorbeigefahren bist«, sagte Ben. »Ich habe dir doch gesagt, dass du mich fahren lassen sollst.«

Abbie wurde noch langsamer und wendete schließlich an einem Kiesweg. Ein langer offener Graben, von orange gestreiften Plastikkegeln markiert, führte an einer Seite der Straße entlang.

»Die Wasserleitungen in der Gegend werden gerade ausgetauscht«, sagte Ben. »Die alten stammen etwa aus der Zeit des Bürgerkriegs.«

Nachdem sie gewendet hatten, fanden sie die Einfahrt, die teilweise durch die riesige alte Eiche verdeckt wurde und von der Straße aus steil bergab führte. Holpernd fuhren sie ein paar hundert Meter nach unten und hielten schließlich vor einem kleinen altmodischen, weiß und grün gestrichenen Haus mit niedriger Vorderveranda und hohem Dach an.

Beth stieg als Erste aus. »Es ist großartig«, rief sie mit so viel Überzeugungskraft, wie sie aufbringen konnte, obwohl sie in Wahrheit enttäuscht war. Auf den Fotos, die sie und Carter an jenem Abend im Minetta gesehen hatten, hatte das Haus sonnig und irgendwie niedlich ausgesehen. Aber jetzt am Abend, umgeben von kahlen Bäumen und Feldern und nur vom kalten Mondlicht erhellt, machte es eher einen unheimlichen Eindruck. Die Eingangstür, mit der Ben sich gerade abmühte, quietschte und klemmte.

»Du musst den Schlüssel ganz nach links drehen«, sagte Abbie, und Ben fauchte zurück: »Ich habe ihn ganz nach links gedreht. Das Schloss muss ausgetauscht werden – mehr kann ich dir auch nicht sagen.«

Carter und Beth beschäftigten sich mit dem Gepäck und zogen die Köpfe ein. Sie machten eine Tour durch das Haus, das nur über insgesamt fünf Zimmer verfügte, von denen die meisten noch nicht eingerichtet waren. Sie waren rasch fertig mit der Besichtigung und stiegen die Wendeltreppe hinauf in den ersten Stock, in dem ihre Zimmer lagen. Die Farbe war von den Wänden gekratzt und die Gardinenstangen leer. Nachdem sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, ließ Beth sich auf die Bettkante plumpsen und formte mit den Lippen die Worte Ach du Scheiße. Carter nickte. Dann kam er zu ihr, ließ sich neben sie fallen, schlang einen Arm um ihren Hals und küsste sie auf die Wange.

»Ist dir schon einmal aufgefallen«, flüsterte er, »dass man angesichts der Eheprobleme anderer Paare erst richtig würdigen kann, wie gut man es hat?«

Im Schlafzimmer direkt unter ihnen hörten sie, wie eine Schublade krachend geschlossen wurde, dann gedämpfte Stimmen. Beth meinte Abbie sagen zu hören, etwas sei »so peinlich« und konnte sich gleich mehrere Dinge vorstellen, die damit gemeint sein könnten. Ben sagte immer wieder: »Hör doch auf!«

»Ein guter Grund, sich niemals ein Landhaus zu kaufen«, sagte Carter.

»Zumindest nicht dieses hier«, flüsterte Beth.

»Ziemlich unheimlich, was?«

Sie lächelte. »Und ziemlich kalt«, sagte sie ebenso leise wie er.

»Nimm ein heißes Bad«, sagte er. »Ich packe inzwischen aus.«

Beth fischte ein paar Sachen aus ihrer Tasche und ging ins Badezimmer. Das Fenster hatte weder einen Vorhang noch eine Jalousie und wies auf sich endlos erstreckende schwarze Felder, verkümmerte Bäume und ein Gebäude in der Ferne, das wie eine verlassene Scheune aussah. Sie drehte den Heißwasserhahn ganz auf und lauschte, als die Rohre stöhnten und ächzten. Anfangs war das Wasser braun, wurde jedoch rasch klar. Als sie schließlich in die tiefe alte Badewanne stieg, war es einfach nur himmlisch. Sie lehnte den Kopf zurück und ließ die Hitze zu ihren Knochen durchdringen. Hoffentlich hatten Abbie und Ben morgen bessere Laune. Es gab nichts Schrecklicheres, als mitten im Ehekrach von anderen Leuten festzusitzen, vor allem, da sie sich eigentlich auf ein gemütliches und romantisches Wochenende gefreut hatte. Sie und Carter hatten ein gutes Leben in der Stadt. Ein großartiges Leben, wie wohl die meisten Leute sagen würden, aber sie mussten beide auch hart dafür arbeiten. Es war Zeit, dass sie einmal ausspannten und sich ein wenig vergnügten.

Als sie aus der Wanne stieg und die Tür zum Badezimmer öffnete, tat Carter genau das, was sie sich vorgestellt hatte. Er saß auf dem Bett, die Nase in einem Stapel Papiere vergraben.

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