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Wir Unverständlichen. — Haben wir uns je darüber beklagt, missverstanden, verkannt, verwechselt, verleumdet, verhört und überhört zu werden? Eben das ist unser Loos — oh für lange noch! sagen wir, um bescheiden zu sein, bis 1901 —, es ist auch unsre Auszeichnung; wir würden uns selbst nicht genug in Ehren halten, wenn wir's anders wünschten. Man verwechselt uns — das macht, wir selbst wachsen, wir wechseln fortwährend, wir stossen alte Rinden ab, wir häuten uns mit jedem Frühjahre noch, wir werden immer Jünger, zukünftiger, höher, stärker, wir treiben unsre Wurzeln immer mächtiger in die Tiefe — in's Böse —, während wir zugleich den Himmel immer liebevoller, immer breiter umarmen und sein Licht immer durstiger mit allen unsren Zweigen und Blättern in uns hineinsaugen. Wir wachsen wie Bäume — das ist schwer zu verstehn, wie alles Leben! — nicht an Einer Stelle, sondern überall, nicht in Einer Richtung, sondern ebenso hinauf, hinaus wie hinein und hinunter, — unsre Kraft treibt zugleich in Stamm, Aesten und Wurzeln, es steht uns gar nicht mehr frei, irgend Etwas einzeln zu thun, irgend etwas Einzelnes noch zu sein… So ist es unser Loos, wie gesagt: wir wachsen in die Höhe; und gesetzt, es wäre selbst unser Verhängniss — denn wir wohnen den Blitzen immer näher! — wohlan, wir halten es darum nicht weniger in Ehren, es bleibt Das, was wir nicht theilen, nicht mittheilen wollen, das Verhängniss der Höhe, unser Verhängniss…

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Warum wir keine Idealisten sind. — Ehemals hatten die Philosophen Furcht vor den Sinnen — haben wir — diese Furcht vielleicht allzusehr verlernt? Wir sind heute allesammt Sensualisten, wir Gegenwärtigen und Zukünftigen in der Philosophie, nicht der Theorie nach, aber der Praxis, der Praktik… Jene hingegen meinten, durch die Sinne aus ihrer Welt, dem kalten Reiche der» Ideen«, auf ein gefährliches südlicheres Eiland weggelockt zu werden: woselbst, wie sie fürchteten, ihre Philosophen-Tugenden wie Schnee in der Sonne wegschmelzen würden.»Wachs in den Ohren «war damals beinahe Bedingung des Philosophirens; ein ächter Philosoph hörte das Leben nicht mehr, insofern Leben Musik ist, er leugnete die Musik des Lebens, — es ist ein alter Philosophen-Aberglaube, dass alle Musik Sirenen-Musik ist. — Nun möchten wir heute geneigt sein, gerade umgekehrt zu urtheilen (was an sich noch eben so falsch sein könnte): nämlich dass die Ideen schlimmere Verführerinnen seien als die Sinne, mit allem ihrem kalten anämischen Anscheine und nicht einmal trotz diesem Anscheine, — sie lebten immer vom» Blute «des Philosophen, sie zehrten immer seine Sinne aus, ja, wenn man uns glauben will, auch sein» Herz«. Diese alten Philosophen waren herzlos: Philosophiren war immer eine Art Vampyrismus. Fühlt ihr nicht an solchen Gestalten, wie noch der Spinoza's, etwas tief Änigmatisches und Unheimliches? Seht ihr das Schauspiel nicht, das sich hier abspielt, das beständige Blässer-werden —, die immer idealischer ausgelegte Entsinnlichung? Ahnt ihr nicht im Hintergrunde irgend eine lange verborgene Blutaussaugerin, welche mit den Sinnen ihren Anfang macht und zuletzt Knochen und Geklapper übrig behält, übrig lässt? — ich meine Kategorien, Formeln, Worte (denn, man vergebe mir, das was von Spinoza übrigblieb, amor intellectualis dei, ist ein Geklapper, nichts mehr! was ist amor, was deus, wenn ihnen jeder Tropfen Blut fehlt?…) In summa: aller philosophische Idealismus war bisher Etwas wie Krankheit, wo er nicht, wie im Falle Plato's, die Vorsicht einer überreichen und gefährlichen Gesundheit, die Furcht vor übermächtigen Sinnen, die Klugheit eines klugen Sokratikers war. — Vielleicht sind wir Modernen nur nicht gesund genug, um Plato's Idealismus nöthig zu haben? Und wir fürchten die Sinne nicht, weil —

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«Wissenschaft «als Vorurtheil. — Es folgt aus den Gesetzen der Rangordnung, dass Gelehrte, insofern sie dem geistigen Mittelstande zugehören, die eigentlichen grossen Probleme und Fragezeichen gar nicht in Sicht bekommen dürfen: zudem reicht ihr Muth und ebenso ihr Blick nicht bis dahin, — vor Allem, ihr Bedürfniss, das sie zu Forschern macht, ihr inneres Vorausnehmen und Wünschen, es möchte so und so beschaffen sein, ihr Fürchten und Hoffen kommt zu bald schon zur Ruhe, zur Befriedigung. Was zum Beispiel den pedantischen Engländer Herbert Spencer auf seine Weise schwärmen macht und einen Hoffnungs-Strich, eine Horizont-Linie der Wünschbarkeit ziehen heisst, jene endliche Versöhnung von,»Egoismus und Altruismus«, von der er fabelt, das macht Unsereinem beinahe Ekel: — eine Menschheit mit solchen Spencer'schen Perspektiven als letzten Perspektiven schiene uns der Verachtung, der Vernichtung werth! Aber schon dass Etwas als höchste Hoffnung von ihm empfunden werden muss, was Anderen bloss als widerliche Möglichkeit gilt und gelten darf, ist ein Fragezeichen, welches Spencer nicht vorauszusehn vermocht hätte… Ebenso steht es mit jenem Glauben, mit dem sich jetzt so viele materialistische Naturforscher zufrieden geben, dem Glauben an eine Welt, welche im menschlichen Denken, in menschlichen Werthbegriffen ihr Aquivalent und Maass haben soll, an eine» Welt der Wahrheit«, der man mit Hülfe unsrer viereckigen kleinen Menschenvernunft letztgültig beizukommen vermöchte — wie? wollen wir uns wirklich dergestalt das Dasein zu einer Rechenknechts-Uebung und Stubenhockerei für Mathematiker herabwürdigen lassen? Man soll es vor Allem nicht seines vieldeutigen Charakters entkleiden wollen: das fordert der gute Geschmack, meine Herren, der Geschmack der Ehrfurcht vor Allem, was über euren Horizont geht! Dass allein eine Welt-Interpretation im Rechte sei, bei der ihr zu Rechte besteht, bei der wissenschaftlich in eurem Sinne (- ihr meint eigentlich mechanistisch?) geforscht und fortgearbeitet werden kann, eine solche, die Zählen, Rechnen, Wägen, Sehn und Greifen und nichts weiter zulässt, das ist eine Plumpheit und Naivetät, gesetzt, dass es keine Geisteskrankheit, kein Idiotismus ist. Wäre es umgekehrt nicht recht wahrscheinlich, dass sich gerade das Oberflächlichste und Aeusserlichste vom Dasein — sein Scheinbarstes, seine Haut und Versinnlichung — am Ersten fassen liesse? vielleicht sogar allein fassen liesse? Eine» wissenschaftliche «Welt-Interpretation, wie ihr sie versteht, könnte folglich immer noch eine der dümmsten, das heisst sinnärmsten aller möglichen Welt-Interpretationen sein: dies den Herrn Mechanikern in's Ohr und Gewissen gesagt, die heute gern unter die Philosophen laufen und durchaus vermeinen, Mechanik sei die Lehre von den ersten und letzten Gesetzen, auf denen wie auf einem Grundstocke alles Dasein aufgebaut sein müsse. Aber eine essentiell mechanische Welt wäre eine essentiell sinnlose Welt! Gesetzt, man schätzte den Werth einer Musik darnach ab, wie viel von ihr gezählt, berechnet, in Formeln gebracht werden könne — wie absurd wäre eine solche» wissenschaftliche «Abschätzung der Musik! Was hätte man von ihr begriffen, verstanden, erkannt! Nichts, geradezu Nichts von dem, was eigentlich an ihr» Musik «ist!..

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