Литмир - Электронная Библиотека
Содержание  
A
A

100

Huldigen lernen. — Auch das Huldigen müssen die Menschen lernen wie das Verachten. Jeder, der auf neuen Bahnen geht und Viele auf neue Bahnen geführt hat, entdeckt mit Staunen, wie ungeschickt und arm diese Vielen im Ausdruck ihrer Dankbarkeit sind, ja wie selten sich überhaupt auch nur die Dankbarkeit äussern kann. Es ist als ob ihr immer, wenn sie einmal reden will, Etwas in die Kehle komme, sodass sie sich nur räuspert und im Räuspern wieder verstummt. Die Art, wie ein Denker die Wirkung seiner Gedanken und ihre umbildende und erschütternde Gewalt zu spüren bekommt, ist beinahe eine Komödie; mitunter hat es das Ansehen, als ob Die, auf welche gewirkt worden ist, sich im Grunde dadurch beleidigt fühlten und ihre, wie sie fürchten, bedrohte Selbständigkeit nur in allerlei Unarten zu äussern wüssten. Es bedarf ganzer Geschlechter, um auch nur eine höfliche Convention des Dankes zu erfinden: und erst sehr spät kommt jener Zeitpunct, wo selbst in die Dankbarkeit eine Art Geist und Genialität gefahren ist: dann ist gewöhnlich auch Einer da, welcher der grosse Dank-Empfänger ist, nicht nur für Das, was er selber Gutes gethan hat, sondern zumeist für Das, was von seinen Vorgängern als ein Schatz des Höchsten und Besten allmählich aufgehäuft worden ist.

101

Voltaire. — Ueberall, wo es einen Hof gab, hat er das Gesetz des Gut-Sprechens und damit auch das Gesetz des Stils für alle Schreibenden gegeben. Die höfische Sprache ist aber die Sprache des Höflings, der kein Fach hat und der sich selbst in Gesprächen über wissenschaftliche Dinge alle bequemen technischen Ausdrücke verbietet, weil sie nach dem Fache schmecken, desshalb ist der technische Ausdruck und Alles, was den Specialisten verräth, in den Ländern einer höfischen Cultur ein Flecken des Stils. Man ist jetzt, wo alle Höfe Caricaturen von sonst und jetzt geworden sind, erstaunt, selbst Voltaire in diesem Puncte unsäglich spröde und peinlich zu finden (zum Beispiel in seinem Urtheil über solche Stilisten, wie Fontenelle und Montesquieu), — wir sind eben alle vom höfischen Geschmack emancipirt, während Voltaire dessen Vollender war!

102

Ein Wort für die Philologen. — Dass es Bücher giebt, so werthvolle und königliche, dass ganze Gelehrten-Geschlechter gut verwendet sind, wenn durch ihre Mühe diese Bücher rein erhalten und verständlich erhalten werden, — diesen Glauben immer wieder zu befestigen ist die Philologie da. Sie setzt voraus, dass es an jenen seltenen Menschen nicht fehlt (wenn man sie gleich nicht sieht), die so werthvolle Bücher wirklich zu benutzen wissen: — es werden wohl die sein, welche selber solche Bücher machen oder machen könnten. Ich wollte sagen, die Philologie setzt einen vornehmen Glauben voraus, — dass zu Gunsten einiger Weniger, die immer» kommen werden «und nicht da sind, eine sehr grosse Menge von peinlicher, selbst unsauberer Arbeit voraus abzuthun sei: es ist Alles Arbeit in usum Delphinorum.

103

Von der deutschen Musik. — Die deutsche Musik ist jetzt schon desshalb, mehr als jede andere, die europäische Musik, weil in ihr allein die Veränderung, welche Europa durch die Revolution erfuhr, einen Ausdruck bekommen hat: nur die deutschen Musiker verstehen sich auf den Ausdruck bewegter Volksmassen, auf jenen ungeheuren künstlichen Lärm, der nicht einmal sehr laut zu sein braucht, — während zum Beispiel die italiänische Oper nur Chöre von Bedienten oder Soldaten kennt, aber kein» Volk«. Es kommt hinzu, dass aus aller deutschen Musik eine tiefe bürgerliche Eifersucht auf die noblesse herauszuhören ist, namentlich auf esprit und élégance, als den Ausdruck einer höfischen, ritterlichen, alten, ihrer selber sicheren Gesellschaft. Das ist keine Musik, wie die des Goethischen Sängers vor dem Thore, die auch» im Saale«, und zwar dem Könige wohlgefällt; da heisst es nicht:»die Ritter schauten muthig drein und in den Schooss die Schönen«. Schon die Grazie tritt nicht ohne Anwandelung von Gewissensbissen in der deutschen Musik auf; erst bei der Anmuth, der ländlichen Schwester der Grazie, fängt der Deutsche an, sich ganz moralisch zu fühlen — und von da an immer mehr bis hinauf zu seiner schwärmerischen, gelehrten, oft bärbeissigen» Erhabenheit«, der Beethoven'schen Erhabenheit. Will man sich den Menschen zu dieser Musik denken, nun, so denke man sich eben Beethoven, wie er neben Goethe, etwa bei jener Begegnung in Teplitz, erscheint: als die Halbbarbarei neben der Cultur, als Volk neben Adel, als der gutartige Mensch neben dem guten und mehr noch als» guten «Menschen, als der Phantast neben dem Künstler, als der Trostbedürftige neben dem Getrösteten, als der Uebertreiber und Verdächtiger neben dem Billigen, als der Grillenfänger und Selbstquäler, als der Närrisch-Verzückte, der Selig-Unglückliche, der Treuherzig-Maasslose, als der Anmaassliche und Plumpe — und Alles in Allem als der» ungebändigte Mensch«: so empfand und bezeichnete ihn Goethe selber, Goethe der Ausnahme-Deutsche, zu dem eine ebenbürtige Musik noch nicht gefunden ist! — Zuletzt erwäge man noch, ob nicht jene jetzt immer mehr um sich greifende Verachtung der Melodie und Verkümmerung des melodischen Sinnes bei Deutschen als eine demokratische Unart und Nachwirkung der Revolution zu verstehen ist. Die Melodie hat nämlich eine solche offene Lust an der Gesetzlichkeit und einen solchen Widerwillen bei allem Werdenden, Ungeformten, Willkürlichen, dass sie wie ein Klang aus der alten Ordnung der europäischen Dinge und wie eine Verführung und Rückführung zu dieser klingt.

104

Vom Klange der deutschen Sprache. — Man weiss, woher das Deutsch stammt, welches seit ein paar Jahrhunderten das allgemeine Schriftdeutsch ist. Die Deutschen, mit ihrer Ehrfurcht vor Allem, was vom Hofe kam, haben sich geflissentlich die Kanzleien zum Muster genommen, in Allem, was sie zu schreiben hatten, also namentlich in ihren Briefen, Urkunden, Testamenten und so weiter. Kanzleimässig schreiben, das war hof- und regierungsmässig schreiben, — das war etwas Vornehmes, gegen das Deutsch der Stadt gehalten, in der man gerade lebte. Allmählich zog man den Schluss und sprach auch so, wie man schrieb, — so wurde man noch vornehmer, in den Wortformen, in der Wahl der Worte und Wendungen und zuletzt auch im Klange: man affectirte einen höfischen Klang, wenn man sprach, und die Affectation wurde zuletzt Natur. Vielleicht hat sich etwas ganz Gleiches nirgendswo ereignet: die Uebergewalt des Schreibestils über die Rede und die Ziererei und Vornehmthuerei eines ganzen Volkes als Grundlage einer gemeinsamen nicht mehr dialektischen Sprache. Ich glaube, der Klang der deutschen Sprache war im Mittelalter, und namentlich nach dem Mittelalter, tief bäuerisch und gemein: er hat sich in den letzten Jahrhunderten etwas veredelt, hauptsächlich dadurch, dass man sich genöthigt fand, so viel französische, italiänische und spanische Klänge nachzuahmen und zwar gerade von Seiten des deutschen (und österreichischen) Adels, der mit der Muttersprache sich durchaus nicht begnügen konnte. Aber für Montaigne oder gar Racine muss trotz dieser Uebung Deutsch unerträglich gemein geklungen haben: und selbst jetzt klingt es) im Munde der Reisenden, mitten unter italiänischem Pöbel, noch immer sehr roh, wälderhaft, heiser, wie aus räucherigen Stuben und unhöflichen Gegenden stammend. — Nun bemerke ich, dass jetzt wieder unter den ehemaligen Bewunderern der Kanzleien ein ähnlicher Drang nach Vornehmheit des Klanges um sich greift, und dass die Deutschen einem ganz absonderlichen» Klangzauber «sich zu fügen anfangen, der auf die Dauer eine wirkliche Gefahr für die deutsche Sprache werden könnte, — denn abscheulichere Klänge sucht man in Europa vergebens. Etwas Höhnisches, Kaltes, Gleichgültiges, Nachlässiges in der Stimme: das klingt jetzt den Deutschen» vornehm«— und ich höre den guten Willen zu dieser Vornehmheit in den Stimmen der jungen Beamten, Lehrer, Frauen, Kaufleute; ja die kleinen Mädchen machen schon dieses Offizierdeutsch nach. Denn der Offizier, und zwar der preussische, ist der Erfinder dieser Klänge: dieser selbe Offizier, der als Militär und Mann des Fachs jenen bewunderungswürdigen Tact der Bescheidenheit besitzt, an dem die Deutschen allesammt zu lernen hätten (die deutschen Professoren und Musicanten eingerechnet!). Aber sobald er spricht und sich bewegt, ist er die unbescheidenste und geschmackwidrigste Figur im alten Europa — sich selber unbewusst, ohne allen Zweifel! Und auch den guten Deutschen unbewusst, die in ihm den Mann der ersten und vornehmsten Gesellschaft anstaunen und sich gerne» den Ton von ihm angeben «lassen. Das thut er denn auch! — und zunächst sind es die Feldwebel und Unteroffiziere, welche seinen Ton nachahmen und vergröbern. Man gebe Acht auf die Commandorufe, von denen die deutschen Städte förmlich umbrüllt werden, jetzt wo man vor allen Thoren exerciert: welche Anmaassung, welches wüthende Autoritätsgefühl, welche höhnische Kälte klingt aus diesem Gebrüll heraus! Sollten die Deutschen wirklich ein musicalisches Volk sein? — Sicher ist, dass die Deutschen sich jetzt im Klange ihrer Sprache militarisiren: wahrscheinlich ist, dass sie, eingeübt militärisch zu sprechen, endlich auch militärisch schreiben werden. Denn die Gewohnheit an bestimmte Klänge greift tief in den Charakter: — man hat bald die Worte und Wendungen und schliesslich auch die Gedanken, welche eben zu diesem Klange passen! Vielleicht schreibt man jetzt schon offiziermäßig; vielleicht lese ich nur zu wenig von dem, was man jetzt in Deutschland schreibt. Aber Eines weiss ich um so sicherer: die öffentlichen deutschen Kundgebungen, die auch in's Ausland dringen, sind nicht von der deutschen Musik inspirirt, sondern von eben jenem neuen Klange einer geschmackwidrigen Anmaassung. Fast in jeder Rede des ersten deutschen Staatsmannes und selbst dann, wenn er sich durch sein kaiserliches Sprachrohr vernehmen lässt, ist ein Accent, den das Ohr eines Ausländers mit Widerwillen zurückweist: aber die Deutschen ertragen ihn, — sie ertragen sich selber.

26
{"b":"101052","o":1}