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Kurze Gewohnheiten. — Ich liebe die kurzen Gewohnheiten und halte sie für das unschätzbare Mittel, viele Sachen und Zustände kennen zu lernen und hinab bis auf den Grund ihrer Süssen und Bitterkeiten; meine Natur ist ganz für kurze Gewohnheiten eingerichtet, selbst in den Bedürfnissen ihrer leiblichen Gesundheit und überhaupt soweit ich nur sehen kann: vom Niedrigen bis zum Höchsten. Immer glaube ich, diess werde mich nun dauernd befriedigen — auch die kurze Gewohnheit hat jenen Glauben der Leidenschaft, den Glauben an die Ewigkeit — und ich sei zu beneiden, es gefunden und erkannt zu haben: — und nun nährt es mich am Mittage und am Abende und verbreitet eine tiefe Genügsamkeit um sich und in mich hinein, sodass mich nach Anderem nicht verlangt, ohne dass ich zu vergleichen oder zu verachten oder zu hassen hätte. Und eines Tages hat es seine Zeit gehabt: die gute Sache scheidet von mir, nicht als Etwas, das mir nun Ekel einflösst — sondern friedlich und an mir gesättigt, wie ich an ihm, und wie als ob wir einander dankbar sein müssten und uns so die Hände zum Abschied reichten. Und schon wartet das Neue an der Thüre und ebenso mein Glaube — der unverwüstliche Thor und Weise! — diess Neue werde das Rechte, das letzte Rechte sein. So geht es mir mit Speisen, Gedanken, Menschen, Städten, Gedichten, Musiken, Lehren, Tagesordnungen, Lebensweisen. — Dagegen hasse ich die dauernden Gewohnheiten und meine, dass ein Tyrann in meine Nähe kommt und dass meine Lebensluft sich verdickt, wo die Ereignisse sich so gestalten, dass dauernde Gewohnheiten daraus mit Nothwendigkeit zu wachsen scheinen: zum Beispiel durch ein Amt, durch ein beständiges Zusammensein mit den selben Menschen, durch einen festen Wohnsitz, durch eine einmalige Art Gesundheit. Ja, ich bin allem meinem Elend und Kranksein, und was nur immer unvollkommen an mir ist, — im untersten Grunde meiner Seele erkenntlich gesinnt, weil dergleichen mir hundert Hinterthüren lässt, durch die ich den dauernden Gewohnheiten entrinnen kann. — Das Unerträglichste freilich, das eigentlich Fürchterliche, wäre mir ein Leben ganz ohne Gewohnheiten, ein Leben, das fortwährend die Improvisation verlangt: — diess wäre meine Verbannung und mein Sibirien.

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Der feste Ruf. — Der feste Ruf war ehedem eine Sache der äussersten Nützlichkeit; und wo nur immer die Gesellschaft noch vom Heerden-Instinct beherrscht wird, ist es auch jetzt noch für jeden Einzelnen am zweckmässigsten, seinen Charakter und seine Beschäftigung als unveränderlich zu geben, — selbst wenn sie es im Grunde nicht sind.»Man kann sich auf ihn verlassen, er bleibt sich gleich«: — das ist in allen gefährlichen Lagen der Gesellschaft das Lob, welches am meisten zu bedeuten hat. Die Gesellschaft fühlt mit Genugthuung, ein zuverlässiges, jederzeit bereites Werkzeug in der Tugend Dieses, in dem Ehrgeize jenes, in dem Nachdenken und der Leidenschaft des Dritten zu haben, — sie ehrt diese Werkzeug-Natur, diess Sich-Treubleiben, diese Unwandelbarkeit in Ansichten, Bestrebungen, und selbst in Untugenden, mit ihren höchsten Ehren. Eine solche Schätzung, welche überall zugleich mit der Sittlichkeit der Sitte blüht und geblüht hat, erzieht» Charaktere «und bringt alles Wechseln, Umlernen, Sich-Verwandeln in Verruf. Diess ist nun jedenfalls, mag sonst der Vortheil dieser Denkweise noch so gross sein, für die Erkenntniss die allerschädlichste Art des allgemeinen Urtheils: denn gerade der gute Wille des Erkennenden, unverzagt sich jederzeit gegen seine bisherige Meinung zu erklären und überhaupt in Bezug auf Alles, was in uns fest werden will, misstrauisch zu sein, — ist hier verurtheilt und in Verruf gebracht. Die Gesinnung des Erkennenden als im Widerspruch mit dem» festen Rufe «gilt als unehrenhaft, während die Versteinerung der Ansichten alle Ehre für sich hat: — unter dem Banne solcher Geltung müssen wir heute noch leben! Wie schwer lebt es sich, wenn man das Urtheil vieler Jahrtausende gegen sich und um sich fühlt! Es ist wahrscheinlich, dass viele Jahrtausende die Erkenntniss mit dem schlechten Gewissen behaftet war, und dass viel Selbstverachtung und geheimes Elend in der Geschichte der grössten Geister gewesen sein muss.

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Widersprechen können. — Jeder weiss jetzt, dass Widerspruch-Vertragen-können ein hohes Zeichen von Cultur ist. Einige wissen sogar, dass der höhere Mensch den Widerspruch gegen sich wünscht und hervorruft, um einen Fingerzeig über seine ihm bisher unbekannte Ungerechtigkeit zu bekommen. Aber das Widersprechen-Können, das erlangte gute Gewissen bei der Feindseligkeit gegen das Gewohnte, Ueberlieferte, Geheiligte, — das ist mehr als jenes Beides und das eigentlich Grosse, Neue, Erstaunliche unserer Cultur, der Schritt aller Schritte des befreiten Geistes: wer weiss das? —

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Seufzer. — Ich erhaschte diese Einsicht unterwegs und nahm rasch die nächsten schlechten Worte, sie festzumachen, damit sie mir nicht wieder davonfliege. Und nun ist sie mir an diesen dürren Worten gestorben und hängt und schlottert in ihnen — und ich weiss kaum mehr, wenn ich sie ansehe, wie ich ein solches Glück haben konnte, als ich diesen Vogel fieng.

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Was man den Künstlern ablernen soll. — Welche Mittel haben wir, uns die Dinge schön, anziehend, begehrenswerth zu machen, wenn sie es nicht sind? — und ich meine, sie sind es an sich niemals! Hier haben wir von den Aerzten Etwas zu lernen, wenn sie zum Beispiel das Bittere verdünnen oder Wein und Zucker in den Mischkrug thun; aber noch mehr von den Künstlern, welche eigentlich fortwährend darauf aus sind, solche Erfindungen und Kunststücke zu machen. Sich von den Dingen entfernen, bis man Vieles von ihnen nicht mehr sieht und Vieles hinzusehen muss, um sie noch zu sehen — oder die Dinge um die Ecke und wie in einem Ausschnitte sehen — oder sie so stellen, dass sie sich theilweise verstellen und nur perspectivische Durchblicke gestatten — oder sie durch gefärbtes Glas oder im Lichte der Abendröthe anschauen — oder ihnen eine Oberfläche und Haut geben, welche keine volle Transparenz hat: das Alles sollen wir den Künstlern ablernen und im Uebrigen weiser sein, als sie. Denn bei ihnen hört gewöhnlich diese ihre feine Kraft auf, wo die Kunst aufhört und das Leben beginnt; wir aber wollen die Dichter unseres Lebens sein, und im Kleinsten und Alltäglichsten zuerst.

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Vorspiele der Wissenschaft. — Glaubt ihr denn, dass die Wissenschaften entstanden und gross geworden wären, wenn ihnen nicht die Zauberer, Alchymisten, Astrologen und Hexen vorangelaufen wären als Die, welche mit ihren Verheissungen und Vorspiegelungen erst Durst, Hunger und Wohlgeschmack an verborgenen und verbotenen Mächten schaffen mussten? Ja, dass unendlich mehr hat verheissen werden müssen, als je erfüllt werden kann, damit überhaupt Etwas im Reiche der Erkenntniss sich erfülle? — Vielleicht erscheint in gleicher Weise, wie uns sich hier Vorspiele und Vorübungen der Wissenschaft darstellen, die durchaus nicht als solche geübt und empfunden wurden, auch irgend einem fernen Zeitalter die gesammte Religion als Uebung und Vorspiel: vielleicht könnte sie das seltsame Mittel dazu gewesen sein, dass einmal einzelne Menschen die ganze Selbstgenügsamkeit eines Gottes und alle seine Kraft der Selbsterlösung geniessen können: ja! — darf man fragen — würde denn der Mensch überhaupt ohne jene religiöse Schule und Vorgeschichte es gelernt haben, nach sich Hunger und Durst zu spüren und aus sich Sattheit und Fülle zu nehmen? Musste Prometheus erst wähnen, das Licht gestohlen zu haben und dafür büssen, — um endlich zu entdecken, dass er das Licht geschaffen habe, indem er nach dem Lichte begehrte, und dass nicht nur der Mensch, sondern auch der Gott das Werk seiner Hände und Thon in seinen Händen gewesen sei? Alles nur Bilder des Bildners? — ebenso wie der Wahn, der Diebstahl, der Kaukasus, der Geier und die ganze tragische Prometheia aller Erkennenden?

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