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Wie man zuerst bei Kunstwerken zu unterscheiden hat. — Alles, was gedacht, gedichtet, gemalt, componirt, selbst gebaut und gebildet wird, gehört entweder zur monologischen Kunst oder zur Kunst vor Zeugen. Unter letztere ist auch noch jene scheinbare Monolog-Kunst einzurechnen, welche den Glauben an Gott in sich schliesst, die ganze Lyrik des Gebets: denn für einen Frommen giebt es noch keine Einsamkeit, — diese Erfindung haben erst wir gemacht, wir Gottlosen. Ich kenne keinen tieferen Unterschied der gesammten Optik eines Künstlers als diesen: ob er vom Auge des Zeugen aus nach seinem werdenden Kunstwerke (nach» sich«—) hinblickt oder aber» die Welt vergessen hat«: wie es das Wesentliche jeder monologischen Kunst ist, — sie ruht auf dem Vergessen, sie ist die Musik des Vergessens.

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Der Cyniker redet. — Meine Einwände gegen die Musik Wagner's sind physiologische Einwände: wozu dieselben erst noch unter ästhetische Formeln verkleiden? Meine» Thatsache «ist, dass ich nicht mehr leicht athme, wenn diese Musik erst auf mich wirkt; dass alsbald mein Fuss gegen sie böse wird und revoltirt — er hat das Bedürfniss nach Takt, Tanz, Marsch, er verlangt von der Musik vorerst die Entzückungen, welche in gutem Gehen, Schreiten, Springen, Tanzen liegen. — Protestirt aber nicht auch mein Magen? mein Herz? mein Blutlauf? mein Eingeweide? Werde ich nicht unvermerkt heiser dabei? — Und so frage ich mich: was will eigentlich mein ganzer Leib von der Musik überhaupt? Ich glaube, seine Erleichterung: wie als ob alle animalischen Funktionen durch leichte kühne ausgelassne selbstgewisse Rhythmen beschleunigt werden sollten; wie als ob das eherne, das bleierne Leben durch goldene gute zärtliche Harmonien vergoldet werden sollte. Meine Schwermuth will in den Verstecken und Abgründen der Vollkommenheit ausruhn: dazu brauche ich Musik. Was geht mich das Drama an! Was die Krämpfe seiner sittlichen Ekstasen, an denen das» Volk «seine Genugthuung hat! Was der ganze Gebärden-Hokuspokus des Schauspielers!.. Man erräth, ich bin wesentlich antitheatralisch geartet, — aber Wagner war umgekehrt wesentlich Theatermensch und Schauspieler, der begeistertste Mimomane, den es gegeben hat, auch noch als Musiker!.. Und, beiläufig gesagt: wenn es Wagner's Theorie gewesen ist» das Drama ist der Zweck, die Musik ist immer nur dessen Mittel«, — seine Praxis dagegen war, von Anfang bis zu Ende,»die Attitüde ist der Zweck, das Drama, auch die Musik ist immer nur ihr Mittel«. Die Musik als Mittel zur Verdeutlichung, Verstärkung, Verinnerlichung der dramatischen Gebärde und Schauspieler-Sinnenfälligkeit; und das Wagnerische Drama nur eine Gelegenheit zu vielen dramatischen Attitüden! Er hatte, neben allen anderen Instinkten, die commandirenden Instinkte eines grossen Schauspielers, in Allem und Jedem: und, wie gesagt, auch als Musiker. — Dies machte ich einstmals einem rechtschaffenen Wagnerianer klar, mit einiger Mühe; und ich hatte Gründe, noch hinzuzufügen» seien Sie doch ein wenig ehrlicher gegen sich selbst: wir sind ja nicht im Theater! Im Theater ist man nur als Masse ehrlich; als Einzelner lügt man, belügt man sich. Man lässt sich selbst zu Hause, wenn man in's Theater geht, man verzichtet auf das Recht der eignen Zunge und Wahl, auf seinen Geschmack, selbst auf seine Tapferkeit, wie man sie zwischen den eignen vier Wänden gegen Gott und Mensch hat und übt. In das Theater bringt Niemand die feinsten Sinne seiner Kunst mit, auch der Künstler nicht, der für das Theater arbeitet: da ist man Volk, Publikum, Heerde, Weib, Pharisäer, Stimmvieh, Demokrat, Nächster, Mitmensch, da unterliegt noch das persönlichste Gewissen dem nivellirenden Zauber der» grössten Zahl«, da wirkt die Dummheit als Lüsternheit und Contagion, da regiert der» Nachbar«, da wird man Nachbar… «(Ich vergass zu erzählen, was mir mein aufgeklärter Wagnerianer auf die physiologischen Einwände entgegnete:»Sie sind also eigentlich nur nicht gesund genug für unsere Musik?«—)

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Unser Nebeneinander. — Müssen wir es uns nicht eingestehn, wir Künstler, dass es eine unheimliche Verschiedenheit in uns giebt, dass unser Geschmack und andrerseits unsre schöpferische Kraft auf eine wunderliche Weise für sich stehn, für sich stehn bleiben und ein Wachsthum für sich haben, — ich will sagen ganz verschiedne Grade und tempi von Alt, Jung, Reif, Mürbe, Faul? So dass zum Beispiel ein Musiker zeitlebens Dinge schaffen könnte, die dem, was sein verwöhntes Zuhörer-Ohr, Zuhörer-Herz schätzt, Schmeckt, vorzieht, widersprechen: — er brauchte noch nicht einmal um diesen Widerspruch zu wissen! Man kann, wie eine fast peinlich-regelmässige Erfahrung zeigt, leicht mit seinem Geschmack über den Geschmack seiner Kraft hinauswachsen, selbst ohne dass letztere dadurch gelähmt und am Hervorbringen gehindert würde; es kann aber auch etwas Umgekehrtes geschehn, — und dies gerade ist es, worauf ich die Aufmerksamkeit der Künstler lenken möchte. Ein Beständig-Schaffender, eine» Mutter «von Mensch, im grossen Sinne des Wortes, ein Solcher, der von Nichts als von Schwangerschaften und Kindsbetten seines Geistes mehr weiss und hört, der gar keine Zeit hat, sich und sein Werk zu bedenken, zu vergleichen, der auch nicht mehr Willens ist, seinen Geschmack noch zu üben, und ihn einfach vergisst, nämlich stehn, liegen oder fallen lässt, — vielleicht bringt ein Solcher endlich Werke hervor, denen er mit seinem Urtheile längst nicht mehr gewachsen ist: so dass er über sie und sich Dummheiten sagt, — sagt und denkt. Dies scheint mir bei fruchtbaren Künstlern beinahe das normale Verhältniss, — Niemand kennt ein Kind schlechter als seine Eltern — und es gilt sogar, um ein ungeheueres Beispiel zu nehmen, in Bezug auf die ganze griechische Dichter- und Künstler-Welt: sie hat niemals» gewusst«, was sie gethan hat…

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Was ist Romantik? — Man erinnert sich vielleicht, zum Mindesten unter meinen Freunden, dass ich Anfangs mit einigen dicken Irrthümern und Ueberschätzungen und jedenfalls als Hoffender auf diese moderne Weit losgegangen bin. Ich verstand — wer weiss, auf welche persönlichen Erfahrungen hin? — den philosophischen Pessimismus des neunzehnten Jahrhunderts, wie als ob er das Symptom von höherer Kraft des Gedankens, von verwegenerer Tapferkeit, von siegreicherer Fülle des Lebens sei, als diese dem achtzehnten Jahrhundert, dem Zeitalter Hume's, Kant's, Condillac's und der Sensualisten, zu eigen gewesen sind: so dass mir die tragische Erkenntniss wie der eigentliche Luxus unsrer Cultur erschien, als deren kostbarste, vornehmste, gefährlichste Art Verschwendung, aber immerhin, auf Grund ihres Ueberreichthums, als ihr erlaubter Luxus. Insgleichen deutete ich mir die deutsche Musik zurecht zum Ausdruck einer dionysischen Mächtigkeit der deutschen Seele: in ihr glaubte ich das Erdbeben zu hören, mit dem eine von Alters her aufgestaute Urkraft sich endlich Luft macht — gleichgültig dagegen, ob Alles, was sonst Cultur heisst, dabei in's Zittern geräth. Man sieht, ich verkannte damals, sowohl am philosophischen Pessimismus, wie an der deutschen Musik, das was ihren eigentlichen Charakter ausmacht — ihre Romantik. Was ist Romantik? Jede Kunst, jede Philosophie darf als Heil- und Hülfsmittel im Dienste des wachsenden, kämpfenden Lebens angesehn werden: sie setzen immer Leiden und Leidende voraus. — Aber es giebt zweierlei Leidende, einmal die an der Ueberfülle des Lebens Leidenden, welche eine dionysische Kunst wollen und ebenso eine tragische Ansicht und Einsicht in das Leben, — und sodann die an der Verarmung des Lebens Leidenden, die Ruhe, Stille, glattes Meer, Erlösung von sich durch die Kunst und Erkenntniss suchen, oder aber den Rausch, den Krampf, die Betäubung, den Wahnsinn. Dem Doppel-Bedürfnisse der Letzteren entspricht alle Romantik in Künsten und Erkenntnissen, ihnen entsprach (und entspricht) ebenso Schopenhauer als Richard Wagner, um jene berühmtesten und ausdrücklichsten Romantiker zu nennen, welche damals von mir missverstanden wurden — übrigens nicht zu ihrem Nachtheile, wie man mir in aller Billigkeit zugestehn darf. Der Reichste an Lebensfülle, der dionysische Gott und Mensch, kann sich nicht nur den Anblick des Fürchterlichen und Fragwürdigen gönnen, sondern selbst die fürchterliche That und jeden Luxus von Zerstörung, Zersetzung, Verneinung; bei ihm erscheint das Böse, Unsinnige und Hässliche gleichsam erlaubt, in Folge eines Ueberschusses von zeugenden, befruchtenden Kräften, welcher aus jeder Wüste noch ein üppiges Fruchtland zu schaffen im Stande ist. Umgekehrt würde der Leidendste, Lebensärmste am meisten die Milde, Friedlichkeit, Güte nöthig haben, im Denken und im Handeln, womöglich einen Gott, der ganz eigentlich ein Gott für Kranke, ein» Heiland «wäre; ebenso auch die Logik, die begriffliche Verständlichkeit des Daseins — denn die Logik beruhigt, giebt Vertrauen —, kurz eine gewisse warme furchtabwehrende Enge und Einschliessung in optimistische Horizonte. Dergestalt lernte ich allmählich Epikur begreifen, den Gegensatz eines dionysischen Pessimisten, ebenfalls den» Christen«, der in der That nur eine Art Epikureer und, gleich jenem, wesentlich Romantiker ist, — und mein Blick schärfte sich immer mehr für jene schwierigste und verfänglichste Form des Rückschlusses, in der die meisten Fehler gemacht werden — des Rückschlusses vom Werk auf den Urheber, von der That auf den Thäter, vom Ideal auf Den, der es nöthig hat, von jeder Denk- und Werthungsweise auf das dahinter kommandirende Bedürfniss. — In Hinsicht auf alle ästhetischen Werthe bediene ich mich jetzt dieser Hauptunterscheidung: ich frage, in jedem einzelnen Falle,»ist hier der Hunger oder der Ueberfluss schöpferisch geworden?«Von vornherein möchte sich eine andre Unterscheidung mehr zu empfehlen scheinen — sie ist bei weitem augenscheinlicher — nämlich das Augenmerk darauf, ob das Verlangen nach Starrmachen, Verewigen, nach Sein die Ursache des Schaffens ist, oder aber das Verlangen nach Zerstörung, nach Wechsel, nach Neuem, nach Zukunft, nach Werden. Aber beide Arten des Verlangens erweisen sich, tiefer angesehn, noch als zweideutig, und zwar deutbar eben nach jenem vorangestellten und mit Recht, wie mich dünkt, vorgezogenen Schema. Das Verlangen nach Zerstörung, Wechsel, Werden kann der Ausdruck der übervollen, zukunftsschwangeren Kraft sein (mein terminus ist dafür, wie man weiss, das Wort» dionysisch«), aber es kann auch der Hass des Missrathenen, Entbehrenden, Schlechtweggekommenen sein, der zerstört, zerstören muss, weil ihn das Bestehende, ja alles Bestehn, alles Sein selbst empört und aufreizt — man sehe sich, um diesen Affekt zu verstehn, unsre Anarchisten aus der Nähe an. Der Wille zum Verewigen bedarf gleichfalls einer zwiefachen Interpretation. Er kann einmal aus Dankbarkeit und Liebe kommen: — eine Kunst dieses Ursprungs wird immer eine Apotheosenkunst sein, dithyrambisch vielleicht mit Rubens, selig-spöttisch mit Hafis, hell und gütig mit Goethe, und einen homerischen Licht- und Glorienschein über alle Dinge breitend. Er kann aber auch jener tyrannische Wille eines Schwerleidenden, Kämpfenden, Torturirten sein, welcher das Persönlichste, Einzelnste, Engste, die eigentliche Idiosynkrasie seines Leidens noch zum verbindlichen Gesetz und Zwang stempeln möchte und der an allen Dingen gleichsam Rache nimmt, dadurch, dass er ihnen sein Bild, das Bild seiner Tortur, aufdrückt, einzwängt, einbrennt. Letzteres ist der romantische Pessimismus in seiner ausdrucksvollsten Form, sei es als Schopenhauer'sche Willens-Philosophie, sei es als Wagner'sche Musik: — der romantische Pessimismus, das letzte grosse Ereigniss im Schicksal unsrer Cultur. (Dass es noch einen ganz anderen Pessimismus geben könne, einen klassischen — diese Ahnung und Vision gehört zu mir, als unablöslich von mir, als mein proprium und ipsissimum: nur dass meinen Ohren das Wort» klassisch «widersteht, es ist bei weitem zu abgebraucht, zu rund und unkenntlich geworden. Ich nenne jenen Pessimismus der Zukunft denn er kommt! ich sehe ihn kommen! — den dionysschen Pessimismus.)

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