Литмир - Электронная Библиотека
Содержание  
A
A

14

Was Alles Liebe genannt wird. — Habsucht und Liebe: wie verschieden empfinden wir bei jedem dieser Worte! — und doch könnte es der selbe Trieb sein, zweimal benannt, das eine Mal verunglimpft vom Standpuncte der bereits Habenden aus, in denen der Trieb etwas zur Ruhe gekommen ist und die nun für ihre» Habe «fürchten; das andere Mal vorn Standpuncte der Unbefriedigten, Durstigen aus, und daher verherrlicht als» gut«. Unsere Nächstenliebe — ist sie nicht ein Drang nach neuem Eigenthum? Und ebenso unsere Liebe zum Wissen, zur Wahrheit und überhaupt all jener Drang nach Neuigkeiten? Wir werden des Alten, sicher Besessenen allmählich überdrüssig und strecken die Hände wieder aus; selbst die schönste Landschaft, in der wir drei Monate leben, ist unserer Liebe nicht mehr gewiss, und irgend eine fernere Küste reizt unsere Habsucht an: der Besitz wird durch das Besitzen zumeist geringer. Unsere Lust an uns selber will sich so aufrecht erhalten, dass sie immer wieder etwas Neues in uns selber verwandelt, — das eben heisst Besitzen. Eines Besitzes überdrüssig werden, das ist: unserer selber überdrüssig werden. (Man kann auch am Zuviel leiden, — auch die Begierde, wegzuwerfen, auszutheilen, kann sich den Ehrennamen» Liebe «zulegen.) Wenn wir jemanden leiden sehen, so benutzen wir gerne die jetzt gebotene Gelegenheit, Besitz von ihm zu ergreifen; diess thut zum Beispiel der Wohlthätige und Mitleidige, auch er nennt die in ihm erweckte Begierde nach neuem Besitz» Liebe«, und hat seine Lust dabei wie bei einer neuen ihm winkenden Eroberung. Am deutlichsten aber verräth sich die Liebe der Geschlechter als Drang nach Eigenthum: der Liebende will den unbedingten Alleinbesitz der von ihm ersehnten Person, er will eine ebenso unbedingte Macht über ihre Seele wie ihren Leib, er will allein geliebt sein und als das Höchste und Begehrenswertheste in der andern Seele wohnen und herrschen. Erwägt man, dass diess nichts Anderes heisst, als alle Welt von einem kostbaren Gute, Glücke und Genusse ausschliessen: erwägt man, dass der Liebende auf die Verarmung und Entbehrung aller anderen Mitbewerber ausgeht und zum Drachen seines goldenen Hortes werden möchte, als der rücksichtsloseste und selbstsüchtigste aller» Eroberer «und Ausbeuter: erwägt man endlich, dass dem Liebenden selber die ganze andere Welt gleichgültig, blass, werthlos erscheint und er jedes Opfer zu bringen, jede Ordnung zu stören, jedes Interesse hintennach zu setzen bereit ist: so wundert man sich in der That, dass diese wilde Habsucht und Ungerechtigkeit der Geschlechtsliebe dermaassen verherrlicht und vergöttlicht worden ist, wie zu allen Zeiten geschehen, ja, dass man aus dieser Liebe den Begriff Liebe als den Gegensatz des Egoismus hergenommen hat, während sie vielleicht gerade der unbefangenste Ausdruck des Egoismus ist. Hier haben offenbar die Nichtbesitzenden und Begehrenden den Sprachgebrauch gemacht, — es gab wohl ihrer immer zu viele. Solche, welchen auf diesem Bereiche viel Besitz und Sättigung gegönnt war, haben wohl hier und da ein Wort vom» wüthenden Dämon «fallen lassen, wie jener liebenswürdigste und geliebteste aller Athener, Sophokles: aber Eros lachte jederzeit über solche Lästerer, — es waren immer gerade seine grössten Lieblinge. — Es giebt wohl hier und da auf Erden eine Art Fortsetzung der Liebe, bei der jenes habsüchtige Verlangen zweier Personen nach einander einer neuen Begierde und Habsucht, einem gemeinsamen höheren Durste nach einem über ihnen stehenden Ideale gewichen ist: aber wer kennt diese Liebe? Wer hat sie erlebt? Ihr rechter Name ist Freundschaft.

15

Aus der Ferne. — Dieser Berg macht die ganze Gegend, die er beherrscht, auf alle Weise reizend und bedeutungsvoll: nachdem wir diess uns zum hundertsten Male gesagt haben, sind wir so unvernünftig und so dankbar gegen ihn gestimmt, dass wir glauben, er, der Geber dieses Reizes, müsse selber das Reizvollste der Gegend sein — und so steigen wir auf ihn hinauf und sind enttäuscht. Plötzlich ist er selber, und die ganze Landschaft um uns, unter uns wie entzaubert; wir hatten vergessen, dass manche Grösse, wie manche Güte, nur auf eine gewisse Distanz hin gesehen werden will, und durchaus von unten, nicht von oben, — so allein wirkt sie. Vielleicht kennst du Menschen in deiner Nähe, die sich selber nur aus einer gewissen Ferne ansehen dürfen, um sich überhaupt erträglich oder anziehend und kraftgebend zu finden; die Selbsterkenntnis ist ihnen zu widerrathen.

16

Ueber den Steg. — Im Verkehre mit Personen, welche gegen ihre Gefühle schamhaft sind, muss man sich verstellen können; sie empfinden einen plötzlichen Hass gegen Den, welcher sie auf einem zärtlichen oder schwärmerischen und hochgehenden Gefühle ertappt, wie als ob er ihre Heimlichkeiten gesehen habe. Will man ihnen in solchen Augenblicken wohl thun, so mache man sie lachen oder sage irgend eine kalte scherzhafte Bosheit: — ihr Gefühl erfriert dabei, und sie sind ihrer wieder mächtig. Doch ich gebe die Moral vor der Geschichte. — Wir sind uns Einmal im Leben so nahe gewesen, dass Nichts unsere Freund- und Bruderschaft mehr zu hemmen schien und nur noch ein kleiner Steg zwischen uns war. Indem du ihn eben betreten wolltest, fragte ich dich:»willst du zu mir über den Steg?«— Aber da wolltest du nicht mehr; und als ich nochmals bat, schwiegst du. Seitdem sind Berge und reissende Ströme, und was nur, trennt und fremd macht, zwischen uns geworfen, und wenn wir auch zu einander wollten, wir könnten es nicht mehr! Gedenkst du aber jetzt jenes kleinen Steges, so hast du nicht Worte mehr, — nur noch Schluchzen und Verwunderung.

17

Seine Armuth motiviren. — Wir können freilich durch kein Kunststück aus einer armen Tugend eine reiche, reichfliessende machen, aber wohl können wir ihre Armuth schön in die Nothwendigkeit umdeuten, sodass ihr Anblick uns nicht mehr wehe thut, und wir ihrethalben dem Fatum keine vorwurfsvollen Gesichter machen. So thut der weise Gärtner, der das arme Wässerchen seines Gartens einer Quellnymphe in den Arm legt und also die Armuth motivirt: — und wer hätte nicht gleich ihm die Nymphen nöthig!

18

Antiker Stolz. — Die antike Färbung der Vornehmheit fehlt uns, weil unserem Gefühle der antike Sclave fehlt. Ein Grieche edler Abkunft fand zwischen seiner Höhe und jener letzten Niedrigkeit solche ungeheure Zwischen-Stufen und eine solche Ferne, dass er den Sclaven kaum noch deutlich sehen konnte: selbst Plato hat ihn nicht ganz mehr gesehen. Anders wir, gewöhnt wie wir sind an die Lehre von der Gleichheit der Menschen, wenn auch nicht an die Gleichheit selber. Ein Wesen, das nicht über sich selber verfügen kann und dem die Musse fehlt, — das gilt unserem Auge noch keineswegs als etwas Verächtliches; es ist von derlei Sclavenhaftem vielleicht zu viel an jedem von uns, nach den Bedingungen unserer gesellschaftlichen Ordnung und Thätigkeit, welche grundverschieden von denen der Alten sind. — Der griechische Philosoph gieng durch das Leben mit dem geheimen Gefühle, dass es viel mehr Sclaven gebe, als man vermeine — nämlich, dass Jedermann Sclave sei, der nicht Philosoph sei; sein Stolz schwoll über, wenn er erwog, dass auch die Mächtigsten der Erde unter diesen seinen Sclaven seien. Auch dieser Stolz ist uns fremd und unmöglich; nicht einmal im Gleichniss hat das Wort» Sclave «für uns seine volle Kraft.

10
{"b":"101052","o":1}