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Religionskriege. — Der grösste Fortschritt der Massen war bis jetzt der Religionskrieg: denn er beweist, dass die Masse angefangen hat, Begriffe mit Ehrfurcht zu behandeln. Religionskriege entstehen erst, wenn durch die feineren Streitigkeiten der Secten die allgemeine Vernunft verfeinert ist: sodass selbst der Pöbel spitzfindig wird und Kleinigkeiten wichtig nimmt, ja es für möglich hält, dass das» ewige Heil der Seele «an den kleinen Unterschieden der Begriffe hängt.
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Gefahr der Vegetarianer. — Der vorwiegende ungeheure Reisgenuss treibt zur Anwendung von Opium und narkotischen Dingen, in gleicher Weise wie der vorwiegende ungeheure Kartoffelgenuss zu Branntwein treibt —: er treibt aber, in feinerer Nachwirkung, auch zu Denk- und Gefühlsweisen, die narkotisch wirken. Damit stimmt zusammen, dass die Förderer narkotischer Denk- und Gefühlsweisen, wie jene indischen Lehrer, gerade eine Diät preisen und zum Gesetz der Masse machen möchten, welche rein vegetabilisch ist: sie wollen so das Bedürfniss hervorrufen und mehren, welches sie zu befriedigen im Stande sind.
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Deutsche Hoffnungen. — Vergessen wir doch nicht, dass die Völkernamen gewöhnlich Schimpfnamen sind. Die Tartaren sind zum Beispiel ihrem Namen nach» die Hunde«: so wurden sie von den Chinesen getauft. Die» Deutschen«: das bedeutet ursprünglich» die Heiden«: so nannten die Gothen nach ihrer Bekehrung die grosse Masse ihrer ungetauften Stammverwandten, nach Anleitung ihrer Uebersetzung der Septuaginta, in der die Heiden mit dem Worte bezeichnet werden, welches im Griechischen» die Völker «bedeutet: man sehe Ulfilas. — Es wäre immer noch möglich, dass die Deutschen aus ihrem alten Schimpfnamen sich nachträglich einen Ehrennamen machten, indem sie das erste unchristliche Volk Europa's würden: wozu in hohem Maasse angelegt zu sein Schopenhauer ihnen zur Ehre anrechnete. So käme das Werk Luther's zur Vollendung, der sie gelehrt hat, unrömisch zu sein und zu sprechen:»hier stehe ich! Ich kann nicht anders!»—
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Frage und Antwort. — Was nehmen jetzt wilde Völkerschaften zuerst von den Europäern an? Branntwein und Christenthum, die europäischen Narcotica. — Und woran gehen sie am schnellsten zu Grunde? — An den europäischen Narcoticis.
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Wo die Reformationen entstehen. — Zur Zeit der grossen Kirchen-Verderbniss war in Deutschland die Kirche am wenigsten verdorben: desshalb entstand hier die Reformation, als das Zeichen, dass schon die Anfänge der Verderbniss unerträglich empfunden wurden. Verhältnissmässig war nämlich kein Volk jemals christlicher, als die Deutschen zur Zeit Luther's: ihre christliche Cultur war eben bereit, zu einer hundertfältigen Pracht der Blüthe auszuschlagen, — es fehlte nur noch Eine Nacht; aber diese brachte den Sturm, der Allem ein Ende machte.
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Misslingen der Reformationen. — Es spricht für die höhere Cultur der Griechen selbst in ziemlich frühen Zeiten, dass mehrere Male die Versuche, neue griechische Religionen zu gründen, gescheitert sind; es spricht dafür, dass es schon früh eine Menge verschiedenartiger Individuen in Griechenland gegeben haben muss, deren verschiedenartige Noth nicht mit einem einzigen Recepte des Glaubens und Hoffens abzuthun war. Pythagoras und Plato, vielleicht auch Empedokles, und bereits viel früher die orphischen Schwarmgeister, waren darauf aus, neue Religionen zu gründen; und die beiden Erstgenannten hatten so ächte Religionsstifter-Seelen und — Talente, dass man sich über ihr Misslingen nicht genug verwundern kann: sie brachten es aber nur zu Secten. Jedes Mal, wo die Reformation eines ganzen Volkes misslingt und nur Secten ihr Haupt emporheben, darf man schliessen, dass das Volk schon sehr vielartig in sich ist und sich von den groben Heerdeninstincten und der Sittlichkeit der Sitte loszulösen beginnt: ein bedeutungsvoller Schwebezustand, den man als Sittenverfall und Corruption zu verunglimpfen gewohnt ist: während er das Reifwerden des Eies und das nahe Zerbrechen der Eierschaale ankündigt. Dass Luther's Reformation im Norden gelang, ist ein Zeichen dafür, dass der Norden gegen den Süden Europa's zurückgeblieben war und noch ziemlich einartige und einfarbige Bedürfnisse kannte; und es hätte überhaupt keine Verchristlichung Europa's gegeben, wenn nicht die Cultur der alten Welt des Südens allmählich durch eine übermässige Hinzumischung von germanischem Barbarenblut barbarisirt und ihres Cultur-Uebergewichtes verlustig gegangen wäre. Je allgemeiner und unbedingter ein Einzelner oder der Gedanke eines Einzelnen wirken kann, um so gleichartiger und um so niedriger muss die Masse sein, auf die da gewirkt wird; während Gegenbestrebungen innere Gegenbedürfnisse verrathen, welche auch sich befriedigen und durchsetzen wollen. Umgekehrt darf man immer auf eine wirkliche Höhe der Cultur schliessen, wenn mächtige und herrschsüchtige Naturen es nur zu einer geringen und sectirerischen Wirkung bringen: diess gilt auch für die einzelnen Künste und die Gebiete der Erkenntniss. Wo geherrscht wird, da giebt es Massen: wo Massen sind, da giebt es ein Bedürfniss nach Sclaverei. Wo es Sclaverei giebt, da sind der Individuen nur wenige, und diese haben die Heerdeninstincte und das Gewissen gegen sich.
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Zur Kritik der Heiligen. — Muss man denn, um eine Tugend zu haben, sie gerade in ihrer brutalsten Gestalt haben wollen? — wie es die christlichen Heiligen wollten und nöthig hatten; als welche das Leben nur mit dem Gedanken ertrugen, dass beim Anblick ihrer Tugend einen jeden die Verachtung seiner selber anwandelte. Eine Tugend aber mit solcher Wirkung nenne ich brutal.
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Vom Ursprunge der Religion. — Das metaphysische Bedürfniss ist nicht der Ursprung der Religionen, wie Schopenhauer will, sondern nur ein Nachschössling derselben. Man hat sich unter der Herrschaft religiöser Gedanken an die Vorstellung einer» anderen (hinteren, unteren, oberen) Welt «gewöhnt und fühlt bei der Vernichtung des religiösen Wahns eine unbehagliche Leere und Entbehrung, — und nun wächst aus diesem Gefühle wieder eine» andere Welt «heraus, aber jetzt nur eine metaphysische und nicht mehr religiöse. Das aber, was in Urzeiten zur Annahme einer» anderen Welt«überhaupt führte, war nicht ein Trieb und Bedürfniss, sondern ein Irrthum in der Auslegung bestimmter Naturvorgänge, eine Verlegenheit des Intellects.
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Die grösste Veränderung. — Die Beleuchtung und die Farben aller Dinge haben sich verändert! Wir verstehen nicht mehr ganz, wie die alten Menschen das Nächste und Häufigste empfanden, — zum Beispiel den Tag und das Wachen: dadurch, dass die Alten an Träume glaubten, hatte das wache Leben andere Lichter. Und ebenso das ganze Leben, mit der Zurückstrahlung des Todes und seiner Bedeutung: unser» Tod «ist ein ganz anderer Tod. Alle Erlebnisse leuchteten anders, denn ein Gott glänzte aus ihnen; alle Entschlüsse und Aussichten auf die ferne Zukunft ebenfalls: denn man hatte Orakel und geheime Winke und glaubte an die Vorhersagung.»Wahrheit «wurde anders empfunden, denn der Wahnsinnige konnte ehemals als ihr Mundstück gelten, — was uns schaudern oder lachen macht. Jedes Unrecht wirkte anders auf das Gefühl: denn man fürchtete eine göttliche Vergeltung und nicht nur eine bürgerliche Strafe und Entehrung. Was war die Freude in der Zeit, als man an die Teufel und die Versucher glaubte! Was die Leidenschaft, wenn man die Dämonen in der Nähe lauern sah! Was die Philosophie, wenn der Zweifel als Versündigung der gefährlichsten Art gefühlt wurde, und zwar als ein Frevel an der ewigen Liebe, als Misstrauen gegen Alles, was gut, hoch, rein und erbarmend war! — Wir haben die Dinge neu gefärbt, wir malen immerfort an ihnen, — aber was vermögen wir einstweilen gegen die Farbenpracht jener alten Meisterin! — ich meine die alte Menschheit.