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Die Misstrauischen und der Stil. — Wir sagen die stärksten Dinge schlicht, vorausgesetzt, dass Menschen um uns sind, die an unsere Stärke glauben: — eine solche Umgebung erzieht zur» Einfachheit des Stils«. Die Misstrauischen reden emphatisch; die Misstrauischen machen emphatisch.

227

Fehlschluss, Fehlschuss. — Er kann sich nicht beherrschen: und daraus schliesst jene Frau, es werde leicht sein, ihn zu beherrschen und wirft ihre Fangseile nach ihm aus; — die Arme, die in Kürze seine Sclavin sein wird.

228

Gegen die Vermittelnden. — Wer zwischen zwei entschlossenen Denkern vermitteln will, ist gezeichnet als mittelmässig: er hat das Auge nicht dafür, das Einmalige zu sehen; die Aehnlichseherei und Gleichmacherei ist das Merkmal schwacher Augen.

229

Trotz und Treue. — Er hält aus Trotz an einer Sache fest, die ihm durchsichtig geworden ist, — er nennt es aber» Treue».

230

Mangel an Schweigsamkeit. — Sein ganzes Wesen überredet nicht — das kommt daher, dass er nie eine gute Handlung, die er that, verschwiegen hat.

231

Die» Gründlichen«. — Die Langsamen der Erkenntniss meinen, die Langsamkeit gehöre zur Erkenntniss.

232

Träumen. — Man träumt gar nicht, oder interessant. — Man muss lernen, ebenso zu wachen: — gar nicht, oder interessant.

233

Gefährlichster Gesichtspunct. — Was ich jetzt thue oder lasse, ist für alles Kommende so wichtig, als das grösste Ereigniss der Vergangenheit: in dieser ungeheuren Perspective der Wirkung sind alle Handlungen gleich gross und klein.

234

Trostrede eines Musicanten. — »Dein Leben klingt den Menschen nicht in die Ohren: für sie lebst du ein stummes Leben, und alle Feinheit der Melodie, alle zarte Entschliessung im Folgen oder Vorangehen, bleibt ihnen verborgen. Es ist wahr: du kommst nicht auf breiter Strasse mit Regimentsmusik daher, — aber desshalb haben diese Guten doch kein Recht, zu sagen, es fehle deinem Lebenswandel an Musik. Wer Ohren hat, der höre.»

235

Geist und Charakter. — Mancher erreicht seinen Gipfel als Charakter, aber sein Geist ist gerade dieser Höhe nicht angemessen — und Mancher umgekehrt.

236

Um die Menge zu bewegen. — Muss nicht Der, welcher die Menge bewegen will, der Schauspieler seiner selber sein? Muss er nicht sich selber erst in's Grotesk-Deutliche übersetzen und seine ganze Person und Sache in dieser Vergröberung und Vereinfachung vortragen?

237

Der Höfliche. — »Er ist so höflich!«— Ja, er hat immer einen Kuchen für den Cerberus bei sich und ist so furchtsam, dass er Jedermann für den Cerberus hält, auch dich und mich, — das ist seine Höflichkeit.

238

Neidlos. — Er ist ganz ohne Neid, aber es ist kein Verdienst dabei: denn er will ein Land erobern, das Niemand noch besessen und kaum Einer auch nur gesehen hat.

239

Der Freudlose. — Ein einziger freudloser Mensch genügt schon, um einem ganzen Hausstande dauernden Missmuth und trüben Himmel zu machen; und nur durch ein Wunder geschieht es, dass dieser Eine fehlt! — Das Glück ist lange nicht eine so ansteckende Krankheit, — woher kommt das?

240

Am Meere. — Ich würde mir kein Haus bauen (und es gehört selbst zu meinem Glücke, kein Hausbesitzer zu sein!). Müsste ich aber, so würde ich, gleich manchem Römer, es bis in's Meer hineinbauen, — ich möchte schon mit diesem schönen Ungeheuer einige Heimlichkeiten gemeinsam haben.

241

Werk und Künstler. — Dieser Künstler ist ehrgeizig und Nichts weiter: zuletzt ist sein Werk nur ein Vergrösserungsglas, welches er Jedermann anbietet, der nach ihm hinblickt.

242

Suum cuique. — Wie gross auch die Habsucht meiner Erkenntniss ist: ich kann aus den Dingen nichts Anderes herausnehmen, als was mir schon gehört, — das Besitzthum Anderer bleibt in den Dingen zurück. Wie ist es möglich, dass ein Mensch Dieb oder Räuber sei!

243

Ursprung von» Gut «und» Schlecht«. — Eine Verbesserung erfindet nur Der, welcher zu fühlen weiss:»Diess ist nicht gut».

244

Gedanken und Worte. — Man kann auch seine Gedanken nicht ganz in Worten wiedergeben.

245

Lob in der Wahl. — Der Künstler wählt seine Stoffe aus: das ist seine Art zu loben.

246

Mathematik. — Wir wollen die Feinheit und Strenge der Mathematik in alle Wissenschaften hineintreiben, so weit diess nur irgend möglich ist, nicht im Glauben, dass wir auf diesem Wege die Dinge erkennen werden, sondern um damit unsere menschliche Relation zu den Dingen festzustellen. Die Mathematik ist nur das Mittel der allgemeinen und letzten Menschenkenntniss.

247

Gewohnheit. — Alle Gewohnheit macht unsere Hand witziger und unseren Witz unbehender.

248

Bücher. — Was ist an einem Buche gelegen, das uns nicht einmal über alle Bücher hinweg trägt?

249

Der Seufzer des Erkennenden. — »Oh über meine Habsucht! In dieser Seele wohnt keine Selbstlosigkeit, — vielmehr ein Alles begehrendes Selbst, welches durch viele Individuen wie durch seine Augen sehen und wie mit seinen Händen greifen möchte, — ein auch die ganze Vergangenheit noch zurückholendes Selbst, welches Nichts verlieren will, was ihm überhaupt gehören könnte! Oh über diese Flamme meiner Habsucht! Oh, dass ich in hundert Wesen wiedergeboren würde!«— Wer diesen Seufzer nicht aus Erfahrung kennt, kennt auch die Leidenschaft des Erkennenden nicht.

250

Schuld. — Obschon die scharfsinnigsten Richter der Hexen und sogar die Hexen selber von der Schuld der Hexerei überzeugt waren, war die Schuld trotzdem nicht vorhanden. So steht es mit aller Schuld.

251

Verkannte Leidende. — Die grossartigen Naturen leiden anders, als ihre Verehrer sich einbilden: sie leiden am härtesten durch die unedlen, kleinlichen Wallungen mancher bösen Augenblicke, kurz, durch ihren Zweifel an der eigenen Grossartigkeit, — nicht aber durch die Opfer und Martyrien, welche ihre Aufgabe von ihnen verlangt. So lange Prometheus Mitleid mit den Menschen hat und sich ihnen opfert, ist er glücklich und gross in sich; aber wenn er neidisch auf Zeus und die Huldigungen wird, welche Jenem die Sterblichen bringen, — da leidet er!

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