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Grossmuth und Verwandtes. — Jene paradoxen Erscheinungen, wie die plötzliche Kälte im Benehmen des Gemüthsmenschen, wie der Humor des Melancholikers, wie vor Allem die Grossmuth, als eine plötzliche Verzichtleistung auf Rache oder Befriedigung des Neides — treten an Menschen auf, in denen eine mächtige innere Schleuderkraft ist, an Menschen der plötzlichen Sättigung und des plötzlichen Ekels. Ihre Befriedigungen sind so schnell und so stark, dass diesen sofort Ueberdruss und Widerwille und eine Flucht in den entgegengesetzten Geschmack auf dem Fusse folgt: in diesem Gegensatze löst sich der Krampf der Empfindung aus, bei Diesem durch plötzliche Kälte, bei jenem durch Gelächter, bei einem Dritten durch Thränen und Selbstaufopferung. Mir erscheint der Grossmüthige — wenigstens jene Art des Grossmüthigen, die immer am meisten Eindruck gemacht hat — als ein Mensch des äussersten Rachedurstes, dem eine Befriedigung sich in der Nähe zeigt und der sie so reichlich, gründlich und bis zum letzten Tropfen schon in der Vorstellung austrinkt, dass ein ungeheurer schneller Ekel dieser schnellen Ausschweifung folgt, — er erhebt sich nunmehr»über sich«, wie man sagt, und verzeiht seinem Feinde, ja segnet und ehrt ihn. Mit dieser Vergewaltigung seiner selber, mit dieser Verhöhnung seines eben noch so mächtigen Rachetriebes giebt er aber nur dem neuen Triebe nach, der eben jetzt in ihm mächtig geworden ist (dem Ekel), und thut diess ebenso ungeduldig und ausschweifend wie er kurz vorher die Freude an der Rache mit der Phantasie vorwegnahm und gleichsam ausschöpfte. Es ist in der Grossmuth der selbe Grad von Egoismus wie in der Rache, aber eine andere Qualität des Egoismus.
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Das Argument der Vereinsamung. — Der Vorwurf des Gewissens ist auch beim Gewissenhaftesten schwach gegen das Gefühl:»Diess und jenes ist wider die gute Sitte deiner Gesellschaft. «Ein kalter Blick, ein verzogener Mund von Seiten Derer, unter denen und für die man erzogen ist, wird auch vom Stärksten noch gefürchtet. Was wird da eigentlich gefürchtet? Die Vereinsamung! als das Argument, welches auch die besten Argumente für eine Person oder Sache niederschlägt! — So redet der Heerden-Instinct aus uns.
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Wahrheitssinn. — Ich lobe mir eine jede Skepsis, auf welche mir erlaubt ist zu antworten:»Versuchen wir's!«Aber ich mag von allen Dingen und allen Fragen, welche das Experiment nicht zulassen, Nichts mehr hören. Diess ist die Grenze meines» Wahrheitssinnes«: denn dort hat die Tapferkeit ihr Recht verloren.
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Was Andere von uns wissen. — Das, was wir von uns selber wissen und im Gedächtniss haben, ist für das Glück unseres Lebens nicht so entscheidend, wie man glaubt. Eines Tages stürzt Das, was Andere von uns wissen (oder zu wissen meinen) über uns her — und jetzt erkennen wir, dass es das Mächtigere ist. Man wird mit seinem schlechten Gewissen leichter fertig, als mit seinem schlechten Rufe.
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Wo das Gute beginnt. — Wo die geringe Sehkraft des Auges den bösen Trieb wegen seiner Verfeinerung nicht mehr als solchen zu sehen vermag, da setzt der Mensch das Reich des Guten an, und die Empfindung, nunmehr in's Reich des Guten übergetreten zu sein, bringt alle die Triebe in Miterregung, welche durch die bösen Triebe bedroht und eingeschränkt waren, wie das Gefühl der Sicherheit, des Behagens, des Wohlwollens. Also: je stumpfer das Auge, desto weiter reicht das Gute! Daher die ewige Heiterkeit des Volkes und der Kinder! Daher die Düsterkeit und der dem schlechten Gewissen verwandte Gram der grossen Denker!
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Das Bewusstsein vom Scheine. — Wie wundervoll und neu und zugleich wie schauerlich und ironisch fühle ich mich mit meiner Erkenntniss zum gesammten Dasein gestellt! Ich habe für mich entdeckt, dass die alte Mensch- und Thierheit, ja die gesammte Urzeit und Vergangenheit alles empfindenden Seins in mir fortdichtet, fortliebt, forthasst, fortschliesst, — ich bin plötzlich mitten in diesem Traume erwacht, aber nur zum Bewusstsein, dass ich eben träume und dass ich weiterträumen muss, um nicht zu Grunde zu gehen: wie der Nachtwandler weiterträumen muss, um nicht hinabzustürzen. Was ist mir jetzt» Schein«! Wahrlich nicht der Gegensatz irgend eines Wesens, — was weiss ich von irgend welchem Wesen auszusagen, als eben nur die Prädicate seines Scheines! Wahrlich nicht eine todte Maske, die man einem unbekannten X aufsetzen und auch wohl abnehmen könnte! Schein ist für mich das Wirkende und Lebende selber, das soweit in seiner Selbstverspottung geht, mich fühlen zu lassen, dass hier Schein und Irrlicht und Geistertanz und nichts Mehr ist, — dass unter allen diesen Träumenden auch ich, der» Erkennende«, meinen Tanz tanze, dass der Erkennende ein Mittel ist, den irdischen Tanz in die Länge zu ziehen und insofern zu den Festordnern des Daseins gehört, und dass die erhabene Consequenz und Verbundenheit aller Erkenntnisse vielleicht das höchste Mittel ist und sein wird, die Allgemeinheit der Träumerei und die Allverständlichkeit aller dieser Träumenden unter einander und eben damit die Dauer des Traumes aufrecht zu erhalten.
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Der letzte Edelsinn. — Was macht denn» edel«? Gewiss nicht, dass man Opfer bringt; auch der rasend Wolllüstige bringt Opfer. Gewiss nicht, dass man überhaupt einer Leidenschaft folgt; es giebt verächtliche Leidenschaften. Gewiss nicht, dass man für Andere Etwas thut und ohne Selbstsucht: vielleicht ist die Consequenz der Selbstsucht gerade bei dem Edelsten am grössten. — Sondern dass die Leidenschaft, die den Edeln befällt, eine Sonderheit ist, ohne dass er um diese Sonderheit weiss: der Gebrauch eines seltenen und singulären Maassstabes und beinahe eine Verrücktheit: das Gefühl der Hitze in Dingen, welche sich für alle Anderen kalt anfühlen: ein Errathen von Werthen, für die die Wage noch nicht erfunden ist: ein Opferbringen auf Altären, die einem unbekannten Gotte geweiht sind: eine Tapferkeit ohne den Willen zur Ehre: eine Selbstgenügsamkeit, welche Ueberfluss hat und an Menschen und Dinge mittheilt. Bisher war es also das Seltene und die Unwissenheit um diess Seltensein, was edel machte. Dabei erwäge man aber, dass durch diese Richtschnur alles Gewöhnte, Nächste und Unentbehrliche, kurz, das am meisten Arterhaltende, und überhaupt die Regel in der bisherigen Menschheit, unbillig beurtheilt und im Ganzen verleumdet worden ist, zu Gunsten der Ausnahmen. Der Anwalt der Regel werden — das könnte vielleicht die letzte Form und Feinheit sein, in welcher der Edelsinn auf Erden sich offenbart.
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Die Begierde nach Leiden. — Denke ich an die Begierde, Etwas zu thun, wie sie die Millionen junger Europäer fortwährend kitzelt und stachelt, welche alle die Langeweile und sich selber nicht ertragen können, — so begreife ich, dass in ihnen eine Begierde, Etwas zu leiden, sein muss, um aus ihrem Leiden einen probablen Grund zum Thun, zur That herzunehmen. Noth ist nöthig! Daher das Geschrei der Politiker, daher die vielen falschen, erdichteten, übertriebenen» Nothstände «aller möglichen Classen und die blinde Bereitwilligkeit, an sie zu glauben. Diese junge Welt verlangt, von Aussen her solle — nicht etwa das Glück — sondern das Unglück kommen oder sichtbar werden; und ihre Phantasie ist schon voraus geschäftig, ein Ungeheuer daraus zu formen, damit sie nachher mit einem Ungeheuer kämpfen könne. Fühlten diese Nothsüchtigen in sich die Kraft, von Innen her sich selber wohlzuthun, sich selber Etwas anzuthun, so würden sie auch verstehen, von Innen her sich eine eigene, selbsteigene Noth zu schaffen. Ihre Erfindungen könnten dann feiner sein und ihre Befriedigungen könnten wie gute Musik klingen: während sie jetzt die Welt mit ihrem Nothgeschrei und folglich gar zu oft erst mit dem Nothgefühle anfüllen! Sie verstehen mit sich Nichts anzufangen — und so malen sie das Unglück Anderer an die Wand: sie haben immer Andere nöthig! Und immer wieder andere Andere! — Verzeihung, meine Freunde, ich habe gewagt, mein Glück an die Wand zu malen.