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L'ordre du jour pour le roi. — Der Tag beginnt: beginnen wir für diesen Tag die Geschäfte und Feste unseres allergnädigsten Herrn zu ordnen, der jetzt noch zu ruhen geruht. Seine Majestät hat heute schlechtes Wetter: wir werden uns hüten, es schlecht zu nennen; man wird nicht vom Wetter reden, — aber wir werden die Geschäfte heute etwas feierlicher und die Feste etwas festlicher nehmen, als sonst nöthig wäre. Seine Majestät wird vielleicht sogar krank sein: wir werden zum Frühstück die letzte gute Neuigkeit vom Abend präsentiren, die Ankunft des Herrn von Montaigne, der so angenehm über seine Krankheit zu scherzen weiss, — er leidet am Stein. Wir werden einige Personen empfangen (Personen! — was würde jener alte aufgeblasene Frosch, der unter ihnen sein wird, sagen, wenn er diess Wort hörte!» Ich bin keine Person, würde er sagen, sondern immer die Sache selber«.) — und der Empfang wird länger dauern, als irgend jemandem angenehm ist: Grund genug, von jenem Dichter zu erzählen, der auf seine Thüre schrieb:»wer hier eintritt, wird mir eine Ehre erweisen; wer es nicht thut — ein Vergnügen.«— Diess heisst fürwahr eine Unhöflichkeit auf höfliche Manier sagen! Und vielleicht hat dieser Dichter für seinen Theil ganz Recht, unhöflich zu sein: man sagt, dass seine Verse besser seien, als der Verse-Schmied. Nun, so mag er noch viele machen und sich selber möglichst der Welt entziehen: und das ist ja der Sinn seiner artigen Unart! Umgekehrt ist ein Fürst immer mehr werth, als sein» Vers«, selbst wenn — doch was machen wir? Wir plaudern, und der ganze Hof meint, wir arbeiteten schon und zerbrächen uns die Köpfe: man sieht kein Licht früher, als das in unserem Fenster brennen. — Horch! War das nicht die Glocke? Zum Teufel! Der Tag und der Tanz beginnt, und wir wissen seine Touren nicht! So müssen wir improvisiren, — alle Welt improvisirt ihren Tag. Machen wir es heute einmal wie alle Welt! — Und damit verschwand mein wunderlicher Morgentraum, wahrscheinlich vor den harten Schlägen der Thurmuhr, die eben mit all der Wichtigkeit, die ihr eigen ist, die fünfte Stunde verkündete. Es scheint mir, dass diessmal der Gott der Träume sich über meine Gewohnheiten lustig machen wollte, — es ist meine Gewohnheit, den Tag so zu beginnen, dass ich ihn für mich zurecht lege und erträglich mache, und es mag sein, dass ich diess öfters zu förmlich und zu prinzenhaft gethan habe.

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Die Anzeichen der Corruption. — Man beachte an jenen von Zeit zu Zeit nothwendigen Zuständen der Gesellschaft, welche mit dem Wort» Corruption «bezeichnet werden, folgende Anzeichen. Sobald irgend wo die Corruption eintritt, nimmt ein bunter Aberglaube überhand und der bisherige Gesammtglaube eines Volkes wird blass und ohnmächtig dagegen: der Aberglaube ist nämlich die Freigeisterei zweiten Ranges, — wer sich ihm ergiebt, wählt gewisse ihm zusagende Formen und Formeln aus und erlaubt sich ein Recht der Wahl. Der Abergläubische ist, im Vergleich mit dem Religiösen, immer viel mehr» Person«, als dieser, und eine abergläubische Gesellschaft wird eine solche sein, in der es schon viele Individuen und Lust am Individuellen giebt. Von diesem Standpuncte aus gesehen, erscheint der Aberglaube immer als ein Fortschritt gegen den Glauben und als Zeichen dafür, dass der Intellect unabhängiger wird und sein Recht haben will. Ueber Corruption klagen dann die Verehrer der alten Religion und Religiosität, — sie haben bisher auch den Sprachgebrauch bestimmt und dem Aberglauben eine üble Nachrede selbst bei den freiesten Geistern gemacht. Lernen wir, dass er ein Symptom der Aufklärung ist. — Zweitens beschuldigt man eine Gesellschaft, in der die Corruption Platz greift, der Erschlaffung: und ersichtlich nimmt in ihr die Schätzung des Krieges und die Lust am Kriege ab, und die Bequemlichkeiten des Lebens werden jetzt eben so heiss erstrebt, wie ehedem die kriegerischen und gymnastischen Ehren. Aber man pflegt zu übersehen, dass jene alte Volks-Energie und Volks-Leidenschaft, welche durch den Krieg und die Kampfspiele eine prachtvolle Sichtbarkeit bekam, jetzt sich in unzählige Privat-Leidenschaften umgesetzt hat und nur weniger sichtbar geworden ist; ja, wahrscheinlich ist in Zuständen der» Corruption «die Macht und Gewalt der jetzt verbrauchten Energie eines Volkes grösser, als je, und das Individuum giebt so verschwenderisch davon aus, wie es ehedem nicht konnte, — es war damals noch nicht reich genug dazu! Und so sind es gerade die Zeiten der» Erschlaffung«, wo die Tragödie durch die Häuser und Gassen läuft, wo die grosse Liebe und der grosse Hass geboren werden, und die Flamme der Erkenntniss lichterloh zum Himmel aufschlägt. — Drittens pflegt man, gleichsam zur Entschädigung für den Tadel des Aberglaubens und der Erschlaffung, solchen Zeiten der Corruption nachzusagen, dass sie milder seien und dass jetzt die Grausamkeit, gegen die ältere gläubigere und stärkere Zeit gerechnet, sehr in Abnahme komme. Aber auch dem Lobe kann ich nicht beipflichten, ebensowenig als jenem Tadel: nur so viel gebe ich zu, dass jetzt die Grausamkeit sich verfeinert, und dass ihre älteren Formen von nun an wider den Geschmack gehen; aber die Verwundung und Folterung durch Wort und Blick erreicht in Zeiten der Corruption ihre höchste Ausbildung, — jetzt erst wird die Bosheit geschaffen und die Lust an der Bosheit. Die Menschen der Corruption sind witzig und verläumderisch; sie wissen, dass es noch andere Arten des Mordes giebt, als durch Dolch und Ueberfall, — sie wissen auch, dass alles Gutgesagte geglaubt wird. — Viertens: wenn» die Sitten verfallen«, so tauchen zuerst jene Wesen auf, welche man Tyrannen nennt: es sind die Vorläufer und gleichsam die frühreifen Erstlinge der Individuen. Noch eine kleine Weile: und diese Frucht der Früchte hängt reif und gelb am Baume eines Volkes, — und nur um dieser Früchte willen gab es diesen Baum! Ist der Verfall auf seine Höhe gekommen und der Kampf aller Art Tyrannen ebenfalls, so kommt dann immer der Cäsar, der Schluss-Tyrann, der dem ermüdeten Ringen um Alleinherrschaft ein Ende macht, indem er die Müdigkeit für sich arbeiten lässt. Zu seiner Zeit ist gewöhnlich das Individuum am reifsten und folglich die» Cultur «am höchsten und fruchtbarsten, aber nicht um seinetwillen und nicht durch ihn: obwohl die höchsten Cultur-Menschen ihrem Cäsar damit zu schmeicheln lieben, dass sie sich als sein Werk ausgeben. Die Wahrheit aber ist, dass sie Ruhe von Aussen nöthig haben, weil sie ihre Unruhe und Arbeit in sich haben. In diesen Zeiten ist die Bestechlichkeit und der Verrath am grössten: denn die Liebe zu dem eben erst entdeckten ego ist jetzt viel mächtiger, als die Liebe zum alten, verbrauchten, todtgeredeten» Vaterlande«; und das Bedürfniss, sich irgendwie gegen die furchtbaren Schwankungen des Glückes sicherzustellen, öffnet auch edlere Hände, sobald ein Mächtiger und Reicher sich bereit zeigt, Gold in sie zu schütten. Es giebt jetzt so wenig sichere Zukunft: da lebt man für heute: ein Zustand der Seele, bei dem alle Verführer ein leichtes Spiel spielen, — man lässt sich nämlich auch nur» für heute «verführen und bestechen und behält sich die Zukunft und die Tugend vor! Die Individuen, diese wahren An- und Für-sich's, sorgen, wie bekannt, mehr für den Augenblick, als ihre Gegensätze, die Heerden-Menschen, weil sie sich selber für ebenso unberechenbar halten wie die Zukunft; ebenso knüpfen sie sich gerne an Gewaltmenschen an, weil sie sich Handlungen und Auskünfte zutrauen, die bei der Menge weder auf Verständniss noch auf Gnade rechnen können, — aber der Tyrann oder Cäsar versteht das Recht des Individuums auch in seiner Ausschreitung und hat ein Interesse daran, einer kühneren Privatmoral das Wort zu reden und selbst die Hand zu bieten. Denn er denkt von sich und will über sich gedacht haben, was Napoleon einmal in seiner classischen Art und Weise ausgesprochen hat:»ich habe das Recht, auf Alles, worüber man gegen mich Klage führt, durch ein ewiges» Das-bin-ich «zu antworten. Ich bin abseits von aller Welt, ich nehme von Niemandem Bedingungen an. Ich will, dass man sich auch meinen Phantasieen unterwerfe und es ganz einfach finde, wenn ich mich diesen oder jenen Zerstreuungen hingebe. «So sprach Napoleon einmal zu seiner Gemahlin, als diese Gründe hatte, die eheliche Treue ihres Gatten in Frage zu ziehen. — Die Zeiten der Corruption sind die, in welchen die Aepfel vom Baume fallen: ich meine die Individuen, die Samenträger der Zukunft, die Urheber der geistigen Colonisation und Neubildung von Staats- und Gesellschaftsverbänden. Corruption ist nur ein Schimpfwort für die Herbstzeiten eines Volkes.

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