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Wahn der Contemplativen. — Die hohen Menschen unterscheiden sich von den niederen dadurch, dass sie unsäglich mehr sehen und hören und denkend sehen und hören — und eben diess unterscheidet den Menschen vom Thiere und die oberen Thiere von den unteren. Die Welt wird für Den immer voller, welcher in die Höhe der Menschlichkeit hinauf wächst; es werden immer mehr Angelhaken des Interesses nach ihm ausgeworfen; die Menge seiner Reize ist beständig im Wachsen und ebenso die Menge seiner Arten von Lust und Unlust, — der höhere Mensch wird immer zugleich glücklicher und unglücklicher. Dabei aber bleibt ein Wahn sein beständiger Begleiter: er meint, als Zuschauer und Zuhörer vor das grosse Schau- und Tonspiel gestellt zu sein, welches das Leben ist: er nennt seine Natur eine contemplative und übersieht dabei, dass er selber auch der eigentliche Dichter und Fortdichter des Lebens ist, — dass er sich freilich vom Schauspieler dieses Drama's, dem sogenannten handelnden Menschen, sehr unterscheidet, aber noch mehr von einem blossen Betrachter und Festgaste vor der Bühne. Ihm, als dem Dichter, ist gewiss vis contemplativa und der Rückblick auf sein Werk zu eigen, aber zugleich und vorerst die vis creativa, welche dem handelnden Menschen fehlt, was auch der Augenschein und der Allerweltsglaube sagen mag. Wir, die Denkend-Empfindenden, sind es, die wirklich und immerfort Etwas machen, das noch nicht da ist: die ganze ewig wachsende Welt von Schätzungen, Farben, Gewichten, Perspectiven, Stufenleitern, Bejahungen und Verneinungen. Diese von uns erfundene Dichtung wird fortwährend von den sogenannten practischen Menschen (unsern Schauspielern wie gesagt) eingelernt, eingeübt, in Fleisch und Wirklichkeit, ja Alltäglichkeit übersetzt. Was nur Werth hat in der jetzigen Welt, das hat ihn nicht an sich, seiner Natur nach, — die Natur ist immer werthlos: — sondern dem hat man einen Werth einmal gegeben, geschenkt, und wir waren diese Gebenden und Schenkenden! Wir erst haben die Welt, die den Menschen Etwas angeht, geschaffen! — Gerade dieses Wissen aber fehlt uns, und wenn wir es einen Augenblick einmal erhaschen, so haben wir es im nächsten wieder vergessen: wir verkennen unsere beste Kraft und schätzen uns, die Contemplativen, um einen Grad zu gering, — wir sind weder so stolz, noch so glücklich, als wir sein könnten.

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Gefahr des Glücklichsten. — Feine Sinne und einen feinen Geschmack haben; an das Ausgesuchte und Allerbeste des Geistes wie an die rechte und nächste Kost gewöhnt sein; einer starken, kühnen, verwegenen Seele geniessen; mit ruhigem Auge und festem Schritt durch das Leben gehen, immer zum Aeussersten bereit, wie zu einem Feste und voll des Verlangens nach unentdeckten Welten und Meeren, Menschen und Göttern; auf jede heitere Musik hinhorchen, als ob dort wohl tapfere Männer, Soldaten, Seefahrer sich eine kurze Rast und Lust machen, und im tiefsten Genusse des Augenblicks überwältigt werden von Thränen und von der ganzen purpurnen Schwermuth des Glücklichen: wer möchte nicht, dass das Alles gerade sein Besitz, sein Zustand wäre! Es war das Glück Homer's! Der Zustand Dessen, der den Griechen ihre Götter, — nein, sich selber seine Götter erfunden hat! Aber man verberge es sich nicht: mit diesem Glücke Homer's in der Seele ist man auch das leidensfähigste Geschöpf unter der Sonne! Und nur um diesen Preis kauft man die kostbarste Muschel, welche die Wellen des Daseins bisher an's Ufer gespült haben! Man wird als ihr Besitzer immer feiner im Schmerz und zuletzt zu fein: ein kleiner Missmuth und Ekel genügte am Ende, um Homer das Leben zu verleiden. Er hatte ein thörichtes Räthselchen, das ihm junge Fischer aufgaben, nicht zu rathen vermocht! ja, die kleinen Räthsel sind die Gefahr der Glücklichsten! —

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Zwei Glückliche. — Wahrlich, dieser Mensch, trotz seiner Jugend, versteht sich auf die Improvisation des Lebens und setzt auch den feinsten Beobachter in Erstaunen: — es scheint nämlich, dass er keinen Fehlgriff thut, ob er schon fortwährend das gewagteste Spiel spielt. Man wird an jene improvisirenden Meister der Tonkunst erinnert, denen auch der Zuhörer eine göttliche Unfehlbarkeit der Hand zuschreiben möchte, trotzdem, dass sie sich hier und da vergreifen, wie jeder Sterbliche sich vergreift. Aber sie sind geübt und erfinderisch, und im Augenblicke immer bereit, den zufälligsten Ton, wohin ein Wurf des Fingers, eine Laune sie treibt, sofort in das thematische Gefüge einzuordnen und dem Zufalle einen schönen Sinn und eine Seele einzuhauchen. — Hier ist ein ganz anderer Mensch: dem missräth im Grunde Alles, was er will und plant. Das, woran er gelegentlich sein Herz gehängt hat, brachte ihn schon einige Male an den Abgrund und in die nächste Nähe des Unterganges; und wenn er dem noch entwischte, so doch gewiss nicht nur» mit einem blauen Auge«. Glaubt ihr, dass er darüber unglücklich ist? Er hat längst bei sich beschlossen, eigene Wünsche und Pläne nicht so wichtig zu nehmen.»Gelingt mir Diess nicht, so redet er sich zu, dann gelingt mir vielleicht jenes; und im Ganzen weiss ich nicht, ob ich nicht meinem Misslingen mehr zu Danke verpflichtet bin, als irgend welchem Gelingen. Bin ich dazu gemacht, eigensinnig zu sein und die Hörner des Stieres zu tragen? Das, was mir Werth und Ergebniss des Lebens ausmacht, liegt wo anders; mein Stolz und ebenso mein Elend liegt wo anders. Ich weiss mehr vom Leben, weil ich so oft daran war, es zu verlieren: und eben darum habe ich mehr vom Leben, als ihr Alle!»

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Indem wir thun, lassen wir. — Im Grunde sind mir alle jene Moralen zuwider, welche sagen:»Thue diess nicht! Entsage! Ueberwinde dich!«— ich bin dagegen jenen Moralen gut, welche mich antreiben, Etwas zu thun und wieder zu thun und von früh bis Abend, und Nachts davon zu träumen, und an gar Nichts zu denken als: diess gut zu thun, so gut als es eben mir allein möglich ist! Wer so lebt, von dem fällt fortwährend Eins um das Andere ab, was nicht zu einem solchen Leben gehört: ohne Hass und Widerwillen sieht er heute Diess und morgen Jenes von sich Abschied nehmen, den vergilbten Blättern gleich, welche jedes bewegtere Lüftchen dem Baume entführt: oder er sieht gar nicht, dass es Abschied nimmt, so streng blickt sein Auge nach seinem Ziele und überhaupt vorwärts, nicht seitwärts, rückwärts, abwärts.»Unser Thun soll bestimmen, was wir lassen: indem wir thun, lassen wir«— so gefällt es mir, so lautet mein placitum. Aber ich will nicht mit offenen Augen meine Verarmung anstreben, ich mag alle negativen Tugenden nicht, — Tugenden, deren Wesen das Verneinen und Sichversagen selber ist.

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Selbstbeherrschung. — Jene Morallehrer, welche zuerst und zuoberst dem Menschen anbefehlen, sich in seine Gewalt zu bekommen, bringen damit eine eigenthümliche Krankheit über ihn: nämlich eine beständige Reizbarkeit bei allen natürlichen Regungen und Neigungen und gleichsam eine Art Juckens. Was auch fürderhin ihn stossen, ziehen, anlocken, antreiben mag, von innen oder von aussen her — immer scheint es diesem Reizbaren, als ob jetzt seine Selbstbeherrschung in Gefahr gerathe: er darf sich keinem Instincte, keinem freien Flügelschlage mehr anvertrauen, sondern steht beständig mit abwehrender Gebärde da, bewaffnet gegen sich selber, scharfen und misstrauischen Auges, der ewige Wächter seiner Burg, zu der er sich gemacht hat. Ja, er kann gross damit sein! Aber wie unausstehlich ist er nun für Andere geworden, wie schwer für sich selber, wie verarmt und abgeschnitten von den schönsten Zufälligkeiten der Seele! Ja auch von aller weiteren Belehrung! Denn man muss sich auf Zeiten verlieren können, wenn man den Dingen, die wir nicht selber sind, Etwas ablernen will.

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