Литмир - Электронная Библиотека
Содержание  
A
A

85

Das Gute und das Schöne. — Die Künstler verherrlichen fortwährend — sie thun nichts Anderes —: und zwar alle jene Zustände und Dinge, welche in dem Rufe stehen, dass bei ihnen und in ihnen der Mensch sich einmal gut oder gross, oder trunken, oder lustig, oder wohl und weise fühlen kann. Diese ausgelesenen Dinge und Zustände, deren Werth für das menschliche Glück als sicher und abgeschätzt gilt, Sind die Objecte der Künstler: sie liegen immer auf der Lauer, dergleichen zu entdecken und in's Gebiet der Kunst hinüberzuziehen. Ich will sagen: sie sind nicht selber die Taxatoren des Glückes und des Glücklichen, aber sie drängen sich immer in die Nähe dieser Taxatoren, mit der grössten Neugierde und Lust, sich ihre Schätzungen sofort zu Nutze zu machen. So werden sie, weil sie ausser ihrer Ungeduld auch die grossen Lungen der Herolde und die Füsse der Läufer haben, immer auch unter den Ersten sein, die das neue Gute verherrlichen, und oft als Die erscheinen, welche es zuerst gut nennen und als gut taxiren. Diess aber ist, wie gesagt, ein Irrthum: sie sind nur geschwinder und lauter, als die wirklichen Taxatoren. — Und wer sind denn diese? — Es sind die Reichen und die Müssigen.

86

Vom Theater. — Dieser Tag gab mir wieder starke und hohe Gefühle, und wenn ich an seinem Abende Musik und Kunst haben könnte, so weiss ich wohl, welche Musik und Kunst ich nicht haben möchte, nämlich alle jene nicht, welche ihre Zuhörer berauschen und zu einem Augenblicke starken und hohen Gefühls emportreiben möchte, — jene Menschen des Alltags der Seele, die am Abende nicht Siegern auf Triumphwägen gleichen, sondern müden Maulthieren, an denen das Leben die Peitsche etwas zu oft geübt hat. Was würden jene Menschen überhaupt von» höheren Stimmungen «wissen, wenn es nicht rauscherzeugende Mittel und idealische Peitschenschläge gäbe! — und so haben sie ihre Begeisterer, wie sie ihre Weine haben. Aber was ist mir ihr Getränk und ihre Trunkenheit! Was braucht der Begeisterte den Wein! Vielmehr blickt er mit einer Art von Ekel auf die Mittel und Mittler hin, welche hier eine Wirkung ohne zureichenden Grund erzeugen sollen, — eine Nachäffung der hohen Seelenfluth! — Wie? Man schenkt dem Maulwurf Flügel und stolze Einbildungen, — vor Schlafengehen, bevor er in seine Höhle kriecht? Man schickt ihn in's Theater und setzt ihm grosse Gläser vor seine blinden und müden Augen? Menschen, deren Leben keine» Handlung«, sondern ein Geschäft ist, sitzen vor der Bühne und schauen fremdartigen Wesen zu, denen das Leben mehr ist, als ein Geschäft?» So ist es anständig«, sagt ihr,»So ist es unterhaltend, so will es die Bildung!«— Nun denn! So fehlt mir allzuoft die Bildung: denn dieser Anblick ist mir allzuoft ekelhaft. Wer an sich der Tragödie und Komödie genug hat, bleibt wohl am Liebsten fern vom Theater; oder, zur Ausnahme, der ganze Vorgang — Theater und Publicum und Dichter eingerechnet — wird ihm zum eigentlichen tragischen und komischen Schauspiel, sodass das aufgeführte Stück dagegen ihm nur wenig bedeutet. Wer Etwas wie Faust und Manfred ist, was liegt dem an den Fausten und Manfreden des Theaters! — während es ihm gewiss noch zu denken giebt, dass man überhaupt dergleichen Figuren aufs Theater bringt. Die stärksten Gedanken und Leidenschaften vor Denen, welche des Denkens und der Leidenschaft nicht fähig sind — aber des Rausches! Und jene als ein Mittel zu diesem! Und Theater und Musik das Haschisch-Rauchen und Betel-Kauen der Europäer! Oh wer erzählt uns die ganze Geschichte der Narcotica! — Es ist beinahe die Geschichte der» Bildung«, der sogenannten höheren Bildung!

87

Von der Eitelkeit der Künstler. — Ich glaube, dass die Künstler oft nicht wissen, was sie am besten können, weil sie zu eitel sind und ihren Sinn auf etwas Stolzeres gerichtet haben, als diese kleinen Pflanzen zu sein scheinen, welche neu, seltsam und schön, in wirklicher Vollkommenheit auf ihrem Boden zu wachsen vermögen. Das letzthin Gute ihres eigenen Gartens und Weinbergs wird von ihnen obenhin abgeschätzt, und ihre Liebe und ihre Einsicht sind nicht gleichen Ranges. Da ist ein Musiker, der mehr als irgend ein Musiker darin seine Meisterschaft hat, die Töne aus dem Reiche leidender, gedrückter, gemarterter Seelen zu finden und auch noch den stummen Thieren Sprache zu geben. Niemand kommt ihm gleich in den Farben des späten Herbstes, dem unbeschreiblich rührenden Glücke eines letzten, allerletzten, allerkürzesten Geniessens, er kennt einen Klang für jene heimlich-unheimlichen Mitternächte der Seele, wo Ursache und Wirkung aus den Fugen gekommen zu sein scheinen und jeden Augenblick Etwas» aus dem Nichts «entstehen kann; er schöpft am glücklichsten von Allen aus dem unteren Grunde des menschlichen Glückes und gleichsam aus dessen ausgetrunkenem Becher, wo die herbsten und widrigsten Tropfen zu guter- und böserletzt mit den süssesten zusammengelaufen sind; er kennt jenes müde Sich-schieben der Seele, die nicht mehr springen und fliegen, ja nicht mehr gehen kann; er hat den scheuen Blick des verhehlten Schmerzes, des Verstehens ohne Trost, des Abschiednehmens ohne Geständniss; ja, als der Orpheus alles heimlichen Elendes ist er grösser, als irgend Einer, und Manches ist durch ihn überhaupt der Kunst hinzugefügt worden, was bisher unausdrückbar und selbst der Kunst unwürdig erschien, und mit Worten namentlich nur zu verscheuchen, nicht zu fassen war, — manches ganz Kleine und Mikroskopische der Seele: ja, es ist der Meister des ganz Kleinen. Aber er will es nicht sein! Sein Charakter liebt vielmehr die grossen Wände und die verwegene Wandmalerei! Es entgeht ihm, dass sein Geist einen anderen Geschmack und Hang hat und am liebsten still in den Winkeln zusammengestürzter Häuser sitzt: — da, verborgen, sich selber verborgen, malt er seine eigentlichen Meisterstücke, welche alle sehr kurz sind, oft nur Einen Tact lang, — da erst wird er ganz gut, gross und vollkommen, da vielleicht allein. — Aber er weiss es nicht! Er ist zu eitel dazu, es zu wissen.

88

Der Ernst um die Wahrheit. — Ernst um die Wahrheit! Wie Verschiedenes verstehen die Menschen bei diesen Worten! Eben die selben Ansichten und Arten von Beweis und Prüfung, welche ein Denker an sich wie eine Leichtfertigkeit empfindet, der er zu seiner Scham in dieser oder jener Stunde unterlegen ist, — eben die selben Ansichten können einem Künstler, der auf sie stösst und mit ihnen zeitweilig lebt, das Bewusstsein geben, jetzt habe ihn der tiefste Ernst um die Wahrheit erfasst, und es sei bewunderungswürdig, dass er, obschon Künstler, doch zugleich die ernsthafteste Begierde nach dem Gegensatze des Scheinenden zeige. So ist es möglich, dass Einer gerade mit seinem Pathos von Ernsthaftigkeit verräth, wie oberflächlich und genügsam sein Geist bisher im Reiche der Erkenntniss gespielt hat. — Und ist nicht Alles, was wir wichtig nehmen, unser Verräther? Es zeigt, wo unsere Gewichte liegen und wofür wir keine Gewichte besitzen.

23
{"b":"101052","o":1}