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Jetzt und ehedem. — Was liegt an aller unsrer Kunst der Kunstwerke, wenn jene höhere Kunst, die Kunst der Feste, uns abhanden kommt! Ehemals waren alle Kunstwerke an der grossen Feststrasse der Menschheit aufgestellt, als Erinnerungszeichen und Denkmäler hoher und seliger Momente. Jetzt will man mit den Kunstwerken die armen Erschöpften und Kranken von der grossen Leidensstrasse der Menschheit bei Seite locken, für ein lüsternes Augenblickchen; man bietet ihnen einen kleinen Rausch und Wahnsinn an.

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Lichter und Schatten. — Die Bücher und Niederschriften sind bei verschiedenen Denkern Verschiedenes: der Eine hat im Buche die Lichter zusammengebracht, die er geschwind aus den Strahlen einer ihm aufleuchtenden Erkenntniss wegzustehlen und heimzutragen wusste; ein Anderer giebt nur die Schatten, die Nachbilder in Grau und Schwarz von dem wieder, was Tags zuvor in seiner Seele sich aufbaute.

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Vorsicht. — Alfieri hat, wie bekannt, sehr viel gelogen, als er den erstaunten Zeitgenossen seine Lebensgeschichte erzählte. Er log aus jenem Despotismus gegen sich selber, den er zum Beispiel in der Art bewies, wie er sich seine eigene Sprache schuf und sich zum Dichter tyrannisirte: — er hatte endlich eine strenge Form von Erhabenheit gefunden, in welche er sein Leben und sein Gedächtniss hineinpresste: es wird viel Qual dabei gewesen sein. — Ich würde auch einer Lebensgeschichte Platon's, von ihm selber geschrieben, keinen Glauben schenken: so wenig, als der Rousseau's, oder der vita nuova Dante's.

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Prosa und Poesie. — Man beachte doch, dass die grossen Meister der Prosa fast immer auch Dichter gewesen sind, sei es öffentlich, oder auch nur im Geheimen und für das» Kämmerlein«; und fürwahr, man schreibt nur im Angesichte der Poesie gute Prosa! Denn diese ist ein ununterbrochener artiger Krieg mit der Poesie: alle ihre Reize bestehen darin, dass beständig der Poesie ausgewichen und widersprochen wird; jedes Abstractum will als Schalkheit gegen diese und wie mit spöttischer Stimme vorgetragen sein; jede Trockenheit und Kühle soll die liebliche Göttin in eine liebliche Verzweifelung bringen; oft giebt es Annäherungen, Versöhnungen des Augenblickes und dann ein plötzliches Zurückspringen und Auslachen; oft wird der Vorhang aufgezogen und grelles Licht hereingelassen, während gerade die Göttin ihre Dämmerungen und dumpfen Farben geniesst; oft wird ihr das Wort aus dem Munde genommen und nach einer Melodie abgesungen, bei der sie die feinen Hände vor die feinen Oehrchen hält — und so giebt es tausend Vergnügungen des Krieges, die Niederlagen mitgezählt, von denen die Unpoetischen, die sogenannten Prosa-Menschen, gar Nichts wissen: — diese schreiben und sprechen denn auch nur schlechte Prosa! Der Krieg ist der Vater aller guten Dinge, der Krieg ist auch der Vater der guten Prosa! — Vier sehr seltsame und wahrhaft dichterische Menschen waren es in diesem Jahrhundert, welche an die Meisterschaft der Prosa gereicht haben, für die sonst diess Jahrhundert nicht gemacht ist — aus Mangel an Poesie, wie angedeutet. Um von Goethe abzusehen, welchen billigerweise das Jahrhundert in Anspruch nimmt, das ihn hervorbrachte: so sehe ich nur Giacomo Leopardi, Prosper Mérimée, Ralph Waldo Emerson und Walter Savage Landor, den Verfasser der Imaginary Conversations, als würdig an, Meister der Prosa zu heissen.

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Aber warum schreibst denn du? — A.: Ich gehöre nicht zu Denen, welche mit der nassen Feder in der Hand denken; und noch weniger zu jenen, die sich gar vor dem offenen Tintenfasse ihren Leidenschaften überlassen, auf ihrem Stuhle sitzend und auf's Papier starrend. Ich ärgere oder schäme mich alles Schreibens; Schreiben ist für mich eine Nothdurft, — selbst im Gleichniss davon zu reden, ist mir widerlich. B.: Aber warum schreibst du dann? A.: Ja, mein Lieber, im Vertrauen gesagt: ich habe bisher noch kein anderes Mittel gefunden, meine Gedanken los zu werden. B.: Und warum willst du sie los werden? A.: Warum ich will? Will ich denn? Ich muss. — B.: Genug! Genug!

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Wachsthum nach dem Tode. — Jene kleinen verwegenen Worte über moralische Dinge, welche Fontenelle in seinen unsterblichen Todtengesprächen hinwarf, galten seiner Zeit als Paradoxien und Spiele eines nicht unbedenklichen Witzes; selbst die höchsten Richter des Geschmackes und des Geistes sahen nicht mehr darin, — ja, vielleicht Fontenelle selber nicht. Nun ereignet sich etwas Unglaubliches: diese Gedanken werden Wahrheiten! Die Wissenschaft beweist sie! Das Spiel wird zum Ernst! Und wir lesen jene Dialoge mit einer anderen Empfindung, als Voltaire und Helvetius sie lasen, und heben unwillkürlich ihren Urheber in eine andere und viel höhere Rangclasse der Geister, als jene thaten, — mit Recht? Mit Unrecht?

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Chamfort. — Dass ein solcher Kenner der Menschen und der Menge, wie Chamfort, eben der Menge beisprang und nicht in philosophischer Entsagung und Abwehr seitwärts stehen blieb, das weiss ich mir nicht anders zu erklären, als so: Ein Instinct war in ihm stärker, als seine Weisheit, und war nie befriedigt worden, der Hass gegen alle Noblesse des Geblüts: vielleicht der alte nur zu erklärliche Hass seiner Mutter, welcher durch die Liebe zur Mutter in ihm heilig gesprochen — war, — ein Instinct der Rache von seinen Knabenjahren her, der die Stunde erwartete, die Mutter zu rächen. Und nun hatte ihn das Leben und sein Genie, und ach! am meisten wohl das väterliche Blut in seinen Adern dazu verführt, eben dieser Noblesse sich einzureihen und gleichzustellen — viele viele Jahre lang! Endlich ertrug er aber seinen eigenen Anblick, den Anblick des» alten Menschen «unter dem alten Regime nicht mehr; er gerieth in eine heftige Leidenschaft der Busse, und in dieser zog er das Gewand des Pöbels an, als seine Art von härener Kutte! Sein böses Gewissen war die Versäumniss der Rache. — Gesetzt, Chamfort wäre damals um einen Grad mehr Philosoph geblieben, so hätte die Revolution ihren tragischen Witz und ihren schärfsten Stachel nicht bekommen: sie würde als ein viel dümmeres Ereigniss gelten und keine solche Verführung der Geister sein. Aber der Hass und die Rache Chamfort's erzogen ein ganzes Geschlecht: und die erlauchtesten Menschen machten diese Schule durch. Man erwäge doch, dass Mirabeau zu Chamfort wie zu seinem höheren und älteren Selbst aufsah, von dem er Antriebe, Warnungen und Richtersprüche erwartete und ertrug, — Mirabeau, der als Mensch zu einem ganz anderen Range der Grösse gehört, als selbst die Ersten unter den staatsmännischen Grössen von gestern und heute. — Seltsam, dass trotz einem solchen Freunde und Fürsprecher — man hat ja die Briefe Mirabeau's an Chamfort — dieser witzigste aller Moralisten den Franzosen fremd geblieben ist, nicht anders, als Stendhal, der vielleicht unter allen Franzosen dieses Jahrhunderts die gedankenreichsten Augen und Ohren gehabt hat. Ist es, dass Letzterer im Grunde zu viel von einem Deutschen und Engländer an sich hatte, um den Parisern noch erträglich zu sein? — während Chamfort, ein Mensch, reich an Tiefen und Hintergründen der Seele, düster, leidend, glühend, — ein Denker, der das Lachen als das Heilmittel gegen das Leben nöthig fand, und der sich beinahe verloren gab, an jedem Tage, wo er nicht gelacht hatte, — vielmehr wie ein Italiäner und Blutsverwandter Dante's und Leopardi's erscheint, als wie ein Franzose! Man kennt die letzten Worte Chamfort's:»Ah! mon ami, sagte er zu Sieyès, je m'en vais enfin de ce monde, où il faut que le cœur se brise ou se bronze — «. Das sind sicherlich nicht Worte eines sterbenden Franzosen.

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