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Der Einsiedler redet. — Die Kunst, mit Menschen umzugehn, beruht wesentlich auf der Geschicklichkeit (die eine lange Uebung voraussetzt), eine Mahlzeit anzunehmen, einzunehmen, zu deren Küche man kein Vertrauen hat. Gesetzt, dass man mit einem Wolfshunger zu Tisch kommt, geht Alles leicht (»die schlechteste Gesellschaft lässt dich fühlen — «, wie Mephistopheles sagt); aber man hat ihn nicht, diesen Wolfshunger, wenn man ihn braucht! Ah, wie schwer sind die Mitmenschen zu verdauen! Erstes Princip: wie bei einem Unglücke seinen Muth einsetzen, tapfer zugreifen, sich selbst dabei bewundern, seinen Widerwillen zwischen die Zähne nehmen, seinen Ekel hinunter stopfen. Zweites Princip: seinen Mitmenschen» verbessern«, zum Beispiel durch ein Lob, so dass er sein Glück über sich selbst auszuschwitzen beginnt; oder einen Zipfel von seinen guten oder» interessanten «Eigenschaften fassen und daran ziehn, bis man die ganze Tugend heraus hat und den Mitmenschen in deren Falten unterstecken kann. Drittes Princip: Selbsthypnotisirung. Sein Verkehrs-Objekt wie einen gläsernen Knopf fixiren, bis man aufhört, Lust und Unlust dabei zu empfinden, und unbemerkt einschläft, starr wird, Haltung bekommt: ein Hausmittel aus der Ehe und Freundschaft, reichlich erprobt, als unentbehrlich gepriesen, aber wissenschaftlich noch nicht formulirt. Sein populärer Name ist — Geduld. —

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Der Einsiedler spricht noch einmal. — Auch wir gehn mit» Menschen «um, auch wir ziehn bescheiden das Kleid an, in dem (als das) man uns kennt, achtet, sucht, und begeben uns damit in Gesellschaft, das heisst unter Verkleidete, die es nicht heissen wollen; auch wir machen es wie alle klugen Masken und setzen jeder Neugierde, die nicht unser» Kleid «betrifft, auf eine höfliche Weise den Stuhl vor die Thüre. Es giebt aber auch andre Arten und Kunststücke, um unter Menschen, mit Menschen» umzugehn«: zum Beispiel als Gespenst, — was sehr rathsam ist, wenn man sie bald los sein und fürchten machen will. Probe: man greift nach uns und bekommt uns nicht zu fassen. Das erschreckt. Oder: wir kommen durch eine geschlossne Thür. Oder: wenn alle Lichter ausgelöscht sind. Oder: nachdem wir bereits gestorben sind. Letzteres ist das Kunststück der posthumen Menschen par excellence. (»Was denkt ihr auch?«sagte ein Solcher einmal ungeduldig,»würden wir diese Fremde, Kälte, Grabesstille um uns auszuhalten Lust haben, diese ganze unterirdische verborgne stumme unentdeckte Einsamkeit, die bei uns Leben heisst und ebensogut Tod heissen könnte, wenn wir nicht wüssten, was aus uns wird, — und dass wir nach dem Tode erst zu unserm Leben kommen und lebendig werden, ah! sehr lebendig! wir posthumen Menschen!«—)

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Angesichts eines gelehrten Buches. — Wir gehören nicht zu Denen, die erst zwischen Büchern, auf den Anstoss von Büchern zu Gedanken kommen — unsre Gewohnheit ist, im Freien zu denken, gehend, springend, steigend, tanzend, am liebsten auf einsamen Bergen oder dicht am Meere, da wo selbst die Wege nachdenklich werden. Unsre ersten Werthfragen, in Bezug auf Buch, Mensch und Musik, lauten:»kann er gehen? mehr noch, kann er tanzen?«… Wir lesen selten, wir lesen darum nicht schlechter — oh wie rasch errathen wir's, wie Einer auf seine Gedanken gekommen ist, ob sitzend, vor dem Tintenfass, mit zusammengedrücktem Bauche, den Kopf über das Papier gebeugt: oh wie rasch sind wir auch mit seinem Buche fertig! Das geklemmte Eingeweide verräth sich, darauf darf man wetten, ebenso wie sich Stubenluft, Stubendecke, Stubenenge verräth. — Das waren meine Gefühle, als ich eben ein rechtschaffnes gelehrtes Buch zuschlug, dankbar, sehr dankbar, aber auch erleichtert… An dem Buche eines Gelehrten ist fast immer auch etwas Drückendes, Gedrücktes: der» Specialist «kommt irgendwo zum Vorschein, sein Eifer, sein Ernst, sein Ingrimm, seine Ueberschätzung des Winkels, in dem er sitzt und spinnt, sein Buckel, — jeder Specialist hat seinen Buckel. Ein Gelehrten-Buch spiegelt immer auch eine krummgezogene Seele: jedes Handwerk zieht krumm. Man sehe seine Freunde wieder, mit denen man jung war, nachdem sie Besitz von ihrer Wissenschaft ergriffen haben: ach, wie auch immer das Umgekehrte geschehn ist! Ach, wie sie selbst auf immer nunmehr von ihr besetzt und besessen sind! In ihre Ecke eingewachsen, verdrückt bis zur Unkenntlichkeit, unfrei, um ihr Gleichgewicht gebracht, abgemagert und eckig überall, nur an Einer Stelle ausbündig rund, — man ist bewegt und schweigt, wenn man sie so wiederfindet. Jedes Handwerk, gesetzt selbst, dass es einen goldenen Boden hat, hat über sich auch eine bleierne Decke, die auf die Seele drückt und drückt, bis sie wunderlich und krumm gedrückt ist. Daran ist Nichts zu ändern. Man glaube ja nicht, dass es möglich sei, um diese Verunstaltung durch irgend welche Künste der Erziehung herumzukommen. Jede Art Meisterschaft zahlt sich theuer auf Erden, wo vielleicht Alles sich zu theuer zahlt; man ist Mann seines Fachs um den Preis, auch das Opfer seines Fachs zu sein. Aber ihr wollt es anders haben —»billiger«, vor Allem bequemer — nicht wahr, meine Herren Zeitgenossen? Nun wohlan! Aber da bekommt ihr sofort auch etwas Anderes, nämlich statt des Handwerkers und Meisters den Litteraten, den gewandten» vielgewendeten «Litteraten, dem freilich der Buckel fehlt — jenen abgerechnet, den er vor euch macht, als der Ladendiener des Geistes und» Träger «der Bildung —, den Litteraten, der eigentlich Nichts ist, aber fast Alles» repräsentirt«, der den Sachkenner spielt und» vertritt«, der es auch in aller Bescheidenheit auf sich nimmt, sich an dessen Stelle bezahlt, geehrt, gefeiert zu machen. — Nein, meine gelehrten Freunde! Ich segne euch auch noch um eures Buckels willen! Und dafür, dass ihr gleich mir die Litteraten und Bildungs-Schmarotzer verachtet! Und dass ihr nicht mit dem Geiste Handel zu treiben wisst! Und lauter Meinungen habt, die nicht in Geldeswerth auszudrücken sind! Und dass ihr Nichts vertretet, was ihr nicht seid! Dass euer einziger Wille ist, Meister eures Handwerks zu werden, in Ehrfurcht vor jeder Art Meisterschaft und Tüchtigkeit und mit rücksichtslosester Ablehnung alles Scheinbaren, Halbächten, Aufgeputzten, Virtuosenhaften, Demagogischen, Schauspielerischen in litteris et artibus — alles Dessen, was in Hinsicht auf unbedingte Probität von Zucht und Vorschulung sich nicht vor euch ausweisen kann! (Selbst Genie hilft über einen solchen Mangel nicht hinweg, so sehr es auch über ihn hinwegzutäuschen versteht: das begreift man, wenn man einmal unsern begabtesten Malern und Musikern aus der Nähe zugesehn hat, — als welche Alle, fast ausnahmslos, sich durch eine listige Erfindsamkeit von Manieren, von Nothbehelfen, selbst von Principien künstlich und nachträglich den Anschein jener Probität, jener Solidität von Schulung und Cultur anzueignen wissen, freilich ohne damit sich selbst zu betrügen, ohne damit ihr eignes schlechtes Gewissen dauernd mundtodt zu machen. Denn, ihr wisst es doch? alle grossen modernen Künstler leiden am schlechten Gewissen…)

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