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Griechischer Geschmack. — »Was ist Schönes daran? — sagte jener Feldmesser nach einer Aufführung der Iphigenie — es wird Nichts darin bewiesen!«Sollten die Griechen so fern von diesem Geschmacke gewesen sein? Bei Sophokles wenigstens wird» Alles bewiesen».
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Der esprit ungriechisch. — Die Griechen sind in allem ihrem Denken unbeschreiblich logisch und schlicht; sie sind dessen, wenigstens für ihre lange gute Zeit, nicht überdrüssig geworden, wie die Franzosen es so häufig werden: welche gar zu gerne einen kleinen Sprung in's Gegentheil machen und den Geist der Logik eigentlich nur vertragen, wenn er durch eine Menge solcher kleiner Sprünge in's Gegentheil seine gesellige Artigkeit, seine gesellige Selbstverleugnung verräth. Logik erscheint ihnen als nothwendig, wie Brod und Wasser, aber auch gleich diesen als eine Art Gefangenenkost, sobald sie rein und allein genossen werden sollen. In der guten Gesellschaft muss man niemals vollständig und allein Recht haben wollen, wie es alle reine Logik will: daher die kleine Dosis Unvernunft in allem französischen esprit. — Der gesellige Sinn der Griechen war bei Weitem weniger entwickelt, als der der Franzosen es ist und war: daher so wenig esprit bei ihren geistreichsten Männern, daher so wenig Witz selbst bei ihren Witzbolden, daher — ach! Man wird mir schon diese meine Sätze nicht glauben, und wie viele der Art habe ich noch auf der Seele! — Est res magna tacere — sagt Martial mit allen Geschwätzigen.
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Uebersetzungen. — Man kann den Grad des historischen Sinnes, welchen eine Zeit besitzt, daran abschätzen, wie diese Zeit Uebersetzungen macht und vergangene Zeiten und Bücher sich einzuverleiben sucht. Die Franzosen Corneille's, und auch noch die der Revolution, bemächtigten sich des römischen Alterthums in einer Weise, zu der wir nicht den Muth mehr hätten — Dank unserem höheren historischen Sinne. Und das römische Alterthum selbst: wie gewaltsam und naiv zugleich legte es seine Hand auf alles Gute und Hohe des griechischen älteren Alterthums! Wie übersetzten sie in die römische Gegenwart hinein! Wie verwischten sie absichtlich und unbekümmert den Flügelstaub des Schmetterlings Augenblick! So übersetzte Horaz hier und da den Alcäus oder den Archilochus, so Properz den Callimachus und Philetas (Dichter gleichen Ranges mit Theokrit, wenn wir urtheilen dürfen): was lag ihnen daran, dass der eigentliche Schöpfer Diess und Jenes erlebt und die Zeichen davon in sein Gedicht hineingeschrieben hatte! — als Dichter waren sie dem antiquarischen Spürgeiste, der dem historischen Sinne voranläuft, abhold, als Dichter liessen sie diese ganz persönlichen Dinge und Namen und Alles, was einer Stadt, einer Küste, einem Jahrhundert als seine Tracht und Maske zu eigen war, nicht gelten, sondern stellten flugs das Gegenwärtige und das Römische an seine Stelle. Sie scheinen uns zu fragen:»Sollen wir das Alte nicht für uns neu machen und uns in ihm zurechtlegen? Sollen wir nicht unsere Seele diesem todten Leibe einblasen dürfen? denn todt ist er nun einmal: wie hässlich ist alles Todte!«— Sie kannten den Genuss des historischen Sinnes nicht; das Vergangene und Fremde war ihnen peinlich, und als Römern ein Anreiz zu einer römischen Eroberung. In der That, man eroberte damals, wenn man übersetzte, — nicht nur so, dass man das Historische wegliess: nein, man fügte die Anspielung auf das Gegenwärtige hinzu, man strich vor Allem den Namen des Dichters hinweg und setzte den eigenen an seine Stelle — nicht im Gefühl des Diebstahls, sondern mit dem allerbesten Gewissen des imperium Romanum.
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Vom Ursprunge der Poesie. — Die Liebhaber des Phantastischen am Menschen, welche zugleich die Lehre von der instinctiven Moralität vertreten, schliessen so:»gesetzt, man habe zu allen Zeiten den Nutzen als die höchste Gottheit verehrt, woher dann in aller Welt ist die Poesie gekommen? — diese Rhythmisirung der Rede, welche der Deutlichkeit der Mittheilung eher entgegenwirkt, als förderlich ist, und die trotzdem wie ein Hohn auf alle nützliche Zweckmässigkeit überall auf Erden aufgeschossen ist und noch aufschiesst! Die wildschöne Unvernünftigkeit der Poesie widerlegt euch, ihr Utilitarier! Gerade vom Nutzen einmal loskommen wollen — das hat den Menschen erhoben, das hat ihn zur Moralität und Kunst inspirirt!«Nun ich muss hierin einmal den Utilitariern zu Gefallen reden, — sie haben ja so selten Recht, dass es zum Erbarmen ist! Man hatte in jenen alten Zeiten, welche die Poesie in's Dasein riefen, doch die Nützlichkeit dabei im Auge und eine sehr grosse Nützlichkeit — damals als man den Rhythmus in die Rede dringen liess, jene Gewalt die alle Atome des Satzes neu ordnet, die Worte wählen heisst und den Gedanken neu färbt und dunkler, fremder, ferner macht: freilich eine abergläubische Nützlichkeit! Es sollte vermöge des Rhythmus den Göttern ein menschliches Anliegen tiefer eingeprägt werden, nachdem man bemerkt hatte, dass der Mensch einen Vers besser im Gedächtniss behält, als eine ungebundene Rede; ebenfalls meinte man durch das rhythmische Tiktak über grössere Fernen hin sich hörbar zu machen; das rhythmisirte Gebet schien den Göttern näher an's Ohr zu kommen. Vor Allem aber wollte man den Nutzen von jener elementaren Ueberwältigung haben, welche der Mensch an sich beim Hören der Musik erfährt: der Rhythmus ist ein Zwang; er erzeugt eine unüberwindliche Lust, nachzugeben, mit einzustimmen; nicht nur der Schritt der Füsse, auch die Seele selber geht dem Tacte nach, — wahrscheinlich, so schloss man, auch die Seele der Götter! Man versuchte sie also durch den Rhythmus zu zwingen und eine Gewalt über sie auszuüben: man warf ihnen die Poesie wie eine magische Schlinge um. Es gab noch eine wunderlichere Vorstellung: und diese gerade hat vielleicht am mächtigsten zur Entstehung der Poesie gewirkt. Bei den Phythagoreern erscheint sie als philosophische Lehre und als Kunstgriff der Erziehung: aber längst bevor es Philosophen gab, gestand man der Musik die Kraft zu, die Affecte zu entladen, die Seele zu reinigen, die ferocia animi zu mildern — und zwar gerade durch das Rhythmische in der Musik. Wenn die richtige Spannung und Harmonie der Seele verloren gegangen war, musste man tanzen, in dem Tacte des Sängers, — das war das Recept dieser Heilkunst. Mit ihr stillte Terpander einen Aufruhr, besänftigte Empedokles einen Rasenden, reinigte Damon einen liebessiechen Jüngling; mit ihr nahm man auch die wildgewordenen rachsüchtigen Götter in Cur. Zuerst dadurch, dass man den Taumel und die Ausgelassenheit ihrer Affecte auf's Höchste trieb, also den Rasenden toll, den Rachsüchtigen rachetrunken machte: — alle orgiastischen Culte wollen die ferocia einer Gottheit auf Ein Mal entladen und zur Orgie machen, damit sie hinterher sich freier und ruhiger fühle und den Menschen in Ruhe lasse. Melos bedeutet seiner Wurzel nach ein Besänftigungsmittel, nicht weil es selber sanft ist, sondern weil seine Nachwirkung sanft macht. — Und nicht nur im Cultusliede, auch bei dem weltlichen Liede der ältesten Zeiten ist die Voraussetzung, dass das Rhythmische eine magische Kraft übe, zum Beispiel beim Wasserschöpfen oder Rudern, das Lied ist eine Bezauberung der hierbei thätig gedachten Dämonen, es macht sie willfährig, unfrei und zum Werkzeug des Menschen. Und so oft man handelt, hat man einen Anlass zu singen, — jede Handlung ist an die Beihülfe von Geistern geknüpft: Zauberlied und Besprechung scheinen die Urgestalt der Poesie zu sein. Wenn der Vers auch beim Orakel verwendet wurde — die Griechen sagten, der Hexameter sei in Delphi erfunden —, so sollte der Rhythmus auch hier einen Zwang ausüben. Sich prophezeien lassen — das bedeutet ursprünglich (nach der mir wahrscheinlichen Ableitung des griechischen Wortes): sich Etwas bestimmen lassen; man glaubt die Zukunft erzwingen zu können dadurch, dass man Apollo für sich gewinnt: er, der nach der ältesten Vorstellung viel mehr, als ein vorhersehender Gott ist. So wie die Formel ausgesprochen wird, buchstäblich und rhythmisch genau, so bindet sie die Zukunft: die Formel aber ist die Erfindung Apollo's, welcher als Gott der Rhythmen auch die Göttinnen des Schicksals binden kann. — Im Ganzen gesehen und gefragt: gab es für die alte abergläubische Art des Menschen überhaupt etwas Nützlicheres, als den Rhythmus? Mit ihm konnte man Alles: eine Arbeit magisch fördern; einen Gott nöthigen, zu erscheinen, nahe zu sein, zuzuhören; die Zukunft sich nach seinem Willen zurecht machen; die eigene Seele von irgend einem Uebermaasse (der Angst, der Manie, des Mitleids, der Rachsucht) entladen, und nicht nur die eigene Seele, sondern die des bösesten Dämons, — ohne den Vers war man Nichts, durch den Vers wurde man beinahe ein Gott. Ein solches Grundgefühl lässt sich nicht mehr völlig ausrotten, — und noch jetzt, nach Jahrtausende langer Arbeit in der Bekämpfung solchen Aberglaubens, wird auch der Weiseste von uns gelegentlich zum Narren des Rhythmus, sei es auch nur darin, dass er einen Gedanken als wahrer empfindet, wenn er eine metrische Form hat und mit einem göttlichen Hopsasa daher kommt. Ist es nicht eine sehr lustige Sache, dass immer noch die ernstesten Philosophen, so streng sie es sonst mit aller Gewissheit nehmen, sich auf Dichtersprüche berufen, um ihren Gedanken Kraft und Glaubwürdigkeit zu geben? — und doch ist es für eine Wahrheit gefährlicher, wenn der Dichter ihr zustimmt, als wenn er ihr widerspricht! Denn wie Homer sagt: Viel ja lügen die Sänger!»—