197
Darum Vorsicht! — Nichts theilen wir so gern an Andere mit, als das Siegel der Verschwiegenheit — sammt dem, was darunter ist.
198
Verdruss des Stolzen. — Der Stolze hat selbst an Denen, welche ihn vorwärts bringen, seinen Verdruss: er blickt böse auf die Pferde seines Wagens.
199
Freigebigkeit. — Freigebigkeit ist bei Reichen oft nur eine Art Schüchternheit.
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Lachen. — Lachen heisst: schadenfroh sein, aber mit gutem Gewissen.
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Im Beifall. — Im Beifall ist immer eine Art Lärm: selbst in dem Beifall, den wir uns selber zollen.
202
Ein Verschwender. — Er hat noch nicht jene Armuth des Reichen, der seinen ganzen Schatz schon einmal überzählt hat, — er verschwendet seinen Geist mit der Unvernunft der Verschwenderin Natur.
203
Hic niger est. — Er hat für gewöhnlich keinen Gedanken, — aber für die Ausnahme kommen ihm schlechte Gedanken.
204
Die Bettler und die Höflichkeit. — »Man ist nicht unhöflich, wenn man mit einem Steine an die Thüre klopft, welcher der Klingelzug fehlt«— so denken Bettler und Nothleidende aller Art; aber Niemand giebt ihnen Recht.
205
Bedürfniss. — Das Bedürfniss gilt als die Ursache der Entstehung: in Wahrheit ist es oft nur eine Wirkung des Entstandenen.
206
Beim Regen. — Es regnet, und ich gedenke der armen Leute, die sich jetzt zusammen drängen, mit ihrer vielen Sorge und ohne Uebung, diese zu verbergen, also jeder bereit und guten Willens, dem Andern wehe zu thun und sich auch bei schlechtem Wetter eine erbärmliche Art von Wohlgefühl zu machen. — Das, nur das ist die Armuth der Armen!
207
Der Neidbold. — Das ist ein Neidbold, — dem muss man keine Kinder wünschen; er würde auf sie neidisch sein, weil er nicht mehr Kind sein kann.
208
Grosser Mann! — Daraus, dass einer» ein grosser Mann «ist, darf man noch nicht schliessen, dass er ein Mann ist; vielleicht ist es nur ein Knabe, oder ein Chamäleon aller Lebensalter, oder ein verhextes Weiblein.
209
Eine Art, nach Gründen zu fragen. — Es giebt eine Art, uns nach unseren Gründen zu fragen, bei der wir nicht nur unsre besten Gründe vergessen, sondern auch einen Trotz und Widerwillen gegen Gründe überhaupt in uns erwachen fühlen: — eine sehr verdummende Art zu fragen und recht ein Kunstgriff tyrannischer Menschen!
210
Maass im Fleisse. — Man muss den Fleiss seines Vaters nicht überbieten wollen — das macht krank.
211
Geheime Feinde. — Einen geheimen Feind sich halten können — das ist ein Luxus, für den die Moralität selbst hochgesinnter Geister nicht reich genug zu sein pflegt.
212
Sich nicht täuschen lassen. — Sein Geist hat schlechte Manieren, er ist hastig und stottert immer vor Ungeduld: so ahnt man kaum, in welcher langathmigen und breitbrüstigen Seele er zu Hause ist.
213
Der Weg zum Glücke. — Ein Weiser fragte einen Narren, welches der Weg zum Glücke sei. Dieser antwortete ohne Verzug, wie Einer, der nach dem Wege zur nächsten Stadt gefragt wird:»Bewundere dich selbst und lebe auf der Gasse!«.»Halt, rief der Weise, du verlangst zu viel, es genügt schon sich selber zu bewundern!«Der Narr entgegnete:»Aber wie kann man beständig bewundern, ohne beständig zu verachten?»
214
Der Glaube macht selig. Die Tugend giebt nur Denen Glück und eine Art Seligkeit, welche den guten Glauben an ihre Tugend haben: — nicht aber jenen feineren Seelen, deren Tugend im tiefen Misstrauen gegen sich und alle Tugend besteht. Zuletzt macht also auch hier» der Glaube selig!«— und wohlgemerkt, nicht die Tugend!
215
Ideal und Stoff. — Du hast da ein vornehmes Ideal vor Augen: aber bist du auch ein so vornehmer Stein, dass aus dir solch ein Götterbild gebildet werden dürfte? Und ohne diess — ist all deine Arbeit nicht eine barbarische Bildhauerei? Eine Lästerung deines Ideals?
216
Gefahr in der Stimme. — Mit einer sehr lauten Stimme im Halse, ist man fast ausser Stande, feine Sachen zu denken.
217
Ursache und Wirkung. — Vor der Wirkung glaubt man an andere Ursachen, als nach der Wirkung.
218
Meine Antipathie. — Ich liebe die Menschen nicht, welche, um überhaupt Wirkung zu thun, zerplatzen müssen, gleich Bomben, und in deren Nähe man immer in Gefahr ist, plötzlich das Gehör — oder noch mehr zu verlieren.
219
Zweck der Strafe. — Die Strafe hat den Zweck, Den zu bessern, welcher straft, — das ist die letzte Zuflucht für die Vertheidiger der Strafe.
220
Opfer. — Ueber Opfer und Aufopferung denken die Opferthiere anders, als die Zuschauer: aber man hat sie von jeher nicht zu Worte kommen lassen.
221
Schonung. — Väter und Söhne schonen sich viel mehr unter einander, als Mütter und Töchter.
222
Dichter und Lügner. — Der Dichter sieht in dem Lügner seinen Milchbruder, dem er die Milch weggetrunken hat; so ist Jener elend geblieben und hat es nicht einmal bis zum guten Gewissen gebracht.
223
Vicariat der Sinne. — »Man hat auch die Augen um zu hören — sagte ein alter Beichtvater, der taub wurde; und unter den Blinden ist Der König, wer die längsten Ohren hat.»
224
Kritik der Thiere. — Ich fürchte, die Thiere betrachten den Menschen als ein Wesen Ihresgleichen, das in höchst gefährlicher Weise den gesunden Thierverstand verloren hat, — als das wahnwitzige Thier, als das lachende Thier, als das weinende Thier, als das unglückselige Thier.
225
Die Natürlichen. — »Das Böse hat immer den grossen Effect für sich gehabt! Und die Natur ist böse! Seien wir also natürlich!«— so schliessen im Geheimen die grossen Effecthascher der Menschheit, welche man gar zu oft unter die grossen Menschen gerechnet hat.