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Herkunft der Sünde. — Sünde, so wie sie jetzt überall empfunden wird, wo das Christenthum herrscht oder einmal geherrscht hat: Sünde ist ein jüdisches Gefühl und eine jüdische Erfindung, und in Hinsicht auf diesen Hintergrund aller christlichen Moralität war in der That das Christenthum darauf aus, die ganze Welt zu» verjüdeln«. Bis zu welchem Grade ihm diess in Europa gelungen ist, das spürt man am feinsten an dem Grade von Fremdheit, den das griechische Alterthum — eine Welt ohne Sündengefühle — immer noch für unsere Empfindung hat, trotz allem guten Willen zur Annäherung und Einverleibung, an dem es ganze Geschlechter und viele ausgezeichnete Einzelne nicht haben fehlen lassen.»Nur wenn du bereuest, ist Gott dir gnädig«— das ist einem Griechen ein Gelächter und ein Aergerniss: er würde sagen» so mögen Sclaven empfinden«. Hier ist ein Mächtiger, Uebermächtiger und doch Rachelustiger vorausgesetzt: seine Macht ist so gross, dass ihm ein Schaden überhaupt nicht zugefügt werden kann, ausser in dem Puncte der Ehre. Jede Sünde ist eine Respects-Verletzung, ein crimen laesae majestatis divinae — und Nichts weiter! Zerknirschung, Entwürdigung, Sich-im-Staube-wälzen — das ist die erste und letzte Bedingung, an die seine Gnade sich knüpft: Wiederherstellung also seiner göttlichen Ehre! Ob mit der Sünde sonst Schaden gestiftet wird, ob ein tiefes wachsendes Unheil mit ihr gepflanzt ist, das einen Menschen nach dem andern wie eine Krankheit fasst und würgt — das lässt diesen ehrsüchtigen Orientalen im Himmel unbekümmert: Sünde ist ein Vergehen an ihm, nicht an der Menschheit! — wem er seine Gnade geschenkt hat, dem schenkt er auch diese Unbekümmertheit um die natürlichen Folgen der Sünde. Gott und Menschheit sind hier so getrennt, so entgegengesetzt gedacht, dass im Grunde an letzterer überhaupt nicht gesündigt werden kann, — jede That soll nur auf ihre übernatürlichen Folgen hin angesehen werden: nicht auf ihre natürlichen: so will es das jüdische Gefühl, dem alles Natürliche das Unwürdige an sich ist. Den Griechen dagegen lag der Gedanke näher, dass auch der Frevel Würde haben könne — selbst der Diebstahl, wie bei Prometheus, selbst die Abschlachtung von Vieh als Aeusserung eines wahnsinnigen Neides, wie bei Ajax: sie haben in ihrem Bedürfniss, dem Frevel Würde anzudichten und einzuverleiben, die Tragödie erfunden, — eine Kunst und eine Lust, die dem Juden, trotz aller seiner dichterischen Begabung und Neigung zum Erhabenen, im tiefsten Wesen fremd geblieben ist.

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Das auserwählte Volk. — Die Juden, die sich als das auserwählte Volk unter den Völkern fühlen, und zwar weil sie das moralische Genie unter den Völkern sind (vermöge der Fähigkeit, dass sie den Menschen in sich tiefer verachtet haben, als irgend ein Volk) — die Juden haben an ihrem göttlichen Monarchen und Heiligen einen ähnlichen Genuss wie der war, welchen der französische Adel an Ludwig dem Vierzehnten hatte. Dieser Adel hatte sich alle seine Macht und Selbstherrlichkeit nehmen lassen und war verächtlich geworden: um diess nicht zu fühlen, um diess vergessen zu können, bedurfte es eines königlichen Glanzes, einer königlichen Autorität und Machtfülle ohne Gleichen, zu der nur dem Adel der Zugang offen stand. Indem man gemäss diesem Vorrecht sich zur Höhe des Hofes erhob und von da aus blickend Alles unter sich, Alles verächtlich sah, kam man über alle Reizbarkeit des Gewissens hinaus. So thürmte man absichtlich den Thurm der königlichen Macht immer mehr in die Wolken hinein und setzte die letzten Bausteine der eigenen Macht daran.

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Im Gleichniss gesprochen. — Ein Jesus Christus war nur in einer jüdischen Landschaft möglich — ich meine in einer solchen, über der fortwährend die düstere und erhabene Gewitterwolke des zürnenden Jehovah hieng. Hier allein wurde das seltene plötzliche Hindurchleuchten eines einzelnen Sonnenstrahls durch die grauenhafte allgemeine und andauernde Tag-Nacht wie ein Wunder der» Liebe «empfunden, als der Strahl der unverdientesten» Gnade«. Hier allein konnte Christus seinen Regenbogen und seine Himmelsleiter träumen, auf der Gott zu den Menschen hinabstieg; überall sonst galt das helle Wetter und die Sonne zu sehr als Regel und Alltäglichkeit.

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Der Irrthum Christi. — Der Stifter des Christenthums meinte, an Nichts litten die Menschen so sehr, als an ihren Sünden: — es war sein Irrthum, der Irrthum Dessen, der sich ohne Sünde fühlte, dem es hierin an Erfahrung gebrach! So füllte sich seine Seele mit jenem wundervollen phantastischen Erbarmen, das einer Noth galt, welche selbst bei seinem Volke, dem Erfinder der Sünde, selten eine grosse Noth war! — Aber die Christen haben es verstanden, ihrem Meister nachträglich Recht zu schaffen und seinen Irrthum zur» Wahrheit «zu heiligen.

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Farbe der Leidenschaften. — Solche Naturen, wie die des Apostel Paulus, haben für die Leidenschaften einen bösen Blick; sie lernen von ihnen nur das Schmutzige, Entstellende und Herzbrechende kennen, — ihr idealer Drang geht daher auf Vernichtung der Leidenschaften aus: im Göttlichen sehen sie die völlige Reinheit davon. Ganz anders, als Paulus und die Juden, haben die Griechen ihren idealen Drang gerade auf die Leidenschaften gewendet und diese geliebt, gehoben, vergoldet und vergöttlicht; offenbar fühlten sie sich in der Leidenschaft nicht nur glücklicher, sondern auch reiner und göttlicher, als sonst. — Und nun die Christen? Wollten sie hierin zu Juden werden? Sind sie es vielleicht geworden?

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Zu jüdisch. — Wenn Gott ein Gegenstand der Liebe werden wollte, so hätte er sich zuerst des Richtens und der Gerechtigkeit begeben müssen: — ein Richter, und selbst ein gnädiger Richter, ist kein Gegenstand der Liebe. Der Stifter des Christenthums empfand hierin nicht fein genug, — als Jude.

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Zu orientalisch. — Wie? Ein Gott, der die Menschen liebt, vorausgesetzt, dass sie an ihn glauben, und der fürchterliche Blicke und Drohungen gegen Den schleudert, der nicht an diese Liebe glaubt! Wie? eine verclausulirte Liebe als die Empfindung eines allmächtigen Gottes! Eine Liebe, die nicht einmal über das Gefühl der Ehre und der gereizten Rachsucht Herr geworden ist! Wie orientalisch ist das Alles!» Wenn ich dich liebe, was geht's dich an?«ist schon eine ausreichende Kritik des ganzen Christenthums.

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Räucherwerk. — Buddha sagt:»schmeichle deinem Wohlthäter nicht!«Man spreche diesen Spruch nach in einer christlichen Kirche: — er reinigt sofort die Luft von allem Christlichen.

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Grösster Nutzen des Polytheismus. — Dass der Einzelne sich sein eigenes Ideal aufstelle und aus ihm sein Gesetz, seine Freuden und seine Rechte ableite — das galt wohl bisher als die ungeheuerlichste aller menschlichen Verirrungen und als die Abgötterei an sich; in der That haben die Wenigen, die diess wagten, immer vor sich selber eine Apologie nöthig gehabt, und diese lautete gewöhnlich:»nicht ich! nicht ich! sondern ein Gott durch mich!«Die wundervolle Kunst und Kraft, Götter zu schaffen — der Polytheismus — war es, in der dieser Trieb sich entladen durfte, in der er sich reinigte, vervollkommnete, veredelte: denn ursprünglich war es ein gemeiner und unansehnlicher Trieb, verwandt dem Eigensinn, dem Ungehorsame und dem Neide. Diesem Triebe zum eigenen Ideale feind sein: das war ehemals das Gesetz jeder Sittlichkeit. Da gab es nur Eine Norm:,»der Mensch«— und jedes Volk glaubte diese Eine und letzte Norm zu haben. Aber über sich und ausser sich, in einer fernen Ueberwelt, durfte man eine Mehrzahl von Normen sehen: der eine Gott war nicht die Leugnung oder Lästerung des anderen Gottes! Hier erlaubte man sich zuerst Individuen, hier ehrte man zuerst das Recht von Individuen. Die Erfindung von Göttern, Heroen und Uebermenschen aller Art, sowie von Neben- und Untermenschen, von Zwergen, Feen, Centauren, Satyrn, Dämonen und Teufeln, war die unschätzbare Vorübung zur Rechtfertigung der Selbstsucht und Selbstherrlichkeit des Einzelnen: die Freiheit, welche man dem Gotte gegen die anderen Götter gewährte, gab man zuletzt sich selber gegen Gesetze und Sitten und Nachbarn. Der Monotheismus dagegen, diese starre Consequenz der Lehre von Einem Normalmenschen — also der Glaube an einen Normalgott, neben dem es nur noch falsche Lügengötter giebt — war vielleicht die grösste Gefahr der bisherigen Menschheit: da drohte ihr jener vorzeitige Stillstand, welchen, soweit wir sehen können, die meisten anderen Thiergattungen schon längst erreicht haben; als welche alle an Ein Normalthier und Ideal in ihrer Gattung glauben und die Sittlichkeit der Sitte sich endgültig in Fleisch und Blut übersetzt haben. Im Polytheismus lag die Freigeisterei und Vielgeisterei des Menschen vorgebildet: die Kraft, sich neue und eigene Augen zu schaffen und immer wieder neue und noch eigenere: sodass es für den Menschen allein unter allen Thieren keine ewigen Horizonte und Perspectiven giebt.

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