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Sie wandte sich um. Ihr Gesicht war plötzlich überflogen von einem wilden, atemlosen Glanz. Sie ließ ihre Sachen fallen und stürzte auf ihn zu.

26

Der Wagen stoppte an der Ecke der Rue de Vaugirard. »Was ist los?« fragte Ravic.

»Demonstrationszug.« Der Chauffeur sah sich nicht um. »Kommunisten dieses Mal.«

Ravic blickte zu Kate Hegström hinüber. Sie saß schmal und zart im Kostüm einer Hofdame Louis XIV. in ihrer Ecke. Ihr Gesicht war stark gepudert. Es wirkte trotzdem blaß. Die Knochen hatten sich durchgearbeitet an den Schläfen und an den Wangen.

»Gut«, sagte er. »Juli 1939, eine faschistische Demonstration des Croix de feu vor fünf Minuten — jetzt eine der Kommunisten —, und wir beide dazwischen im Kostüm des großen 17. Jahrhunderts. Gut, Kate.«

»Es macht nichts.« Sie lächelte.

Ravic sah auf seine Escarpins herunter. Die Ironie der Situation war stark. Es war unnötig, noch darüber nachzudenken, daß jeder Polizist ihn außerdem verhaften konnte.

»Soll ich einen andern Weg nehmen?« fragte Kate Hegströms Chauffeur.

»Sie können nicht mehr wenden«, sagte Ravic. »Es sind bereits zu viele Wagen hinter uns.«

Die Demonstration zog ruhig über die Querstraße. Sie hatten Fahnen und Schilder. Niemand sang. Eine ganze Anzahl Polizisten begleitete den Zug. An der Ecke der Rue de Vaugirard stand unauffällig eine andere Gruppe Polizisten. Sie hatten Fahrräder bei sich. Einer von ihnen patrouillierte die Straße entlang. Er blickte in Kate Hegströms Wagen. Ohne eine Miene zu verziehen, schlenderte er weiter.

Kate Hegström sah Ravics Blick. »Er ist nicht überrascht«, sagte sie. »Er weiß es. Die Polizei weiß alles. Der Ball bei den Montforts ist das Ereignis des Sommers. Das Haus und der Garten werden von Polizei umringt sein.«

»Das beruhigt mich außerordentlich.«

Kate Hegström lächelte. Sie wußte nichts von Ravics Situation. »So viele Juwelen werden so bald nicht wieder zusammenkommen in Paris. Echte Kostüme mit echten Juwelen. Die Polizei nimmt bei so etwas kein Risiko. In der Gesellschaft werden bestimmt auch noch Detektive sein.«

»In Kostüm?«

»Möglich. Warum?«

»Gut zu wissen. Ich hatte vor, die Rothschildschen Smaragde zu stehlen.«

Kate Hegström drehte das Fenster herunter. »Es langweilt Sie, ich weiß es. Aber es hilft Ihnen diesmal nichts.«

»Es langweilt mich nicht. Im Gegenteil. Ich wüßte nicht, was ich sonst hätte machen sollen. Gibt es genug zu trinken?«

»Ich glaube. Aber ich kann dem Headbutler einen Wink geben. Ich kenne ihn ziemlich gut.«

Man hörte die Tritte der Demonstranten auf dem Pflaster. Sie marschierten nicht. Sie gingen regellos. Es klang, als wandere eine müde Herde vorüber.

»In welchem Jahrhundert möchten Sie leben, wenn Sie es sich aussuchen könnten?«

»In diesem. Sonst wäre ich ja tot, und irgendein Idiot würde mein Kostüm zu dieser Party tragen.«

»Das meine ich nicht. Ich meine, in welchem Sie Ihr Leben noch einmal leben möchten?«

Ravic blickte auf den Samtärmel seines Kostüms. »Es hilft nichts«, sagte er. »In unserem. Es ist das lausigste, blutigste, korrupteste, farbloseste, feigste und dreckigste soweit — aber trotzdem.«

»Ich nicht.« Kate Hegström drängte die Hände zusammen, als fröstele sie. Der weiche Brokat fiel über ihre dünnen Gelenke. »In diesem«, sagte sie. »Im siebzehnten oder in einem früheren. In jedem — nur nicht in unserem. Ich weiß das erst seit ein paar Monaten. Ich habe früher nie darüber nachgedacht.« Sie drehte das Fenster ganz herunter. »Wie heiß es ist! Und wie schwül! Ist der Zug noch nicht bald vorbei?« — »Ja. Das dort ist das Ende.«

Ein Schuß fiel aus der Richtung der Rue Cambronne. Im nächsten Augenblick saßen die Polizisten an der Ecke auf ihren Fahrrädern. Eine Frau schrie etwas. Ein plötzliches Grollen antwortete aus der Menge. Leute begannen zu laufen. Die Polizisten traten in die Pedale und fuhren dazwischen, ihre Knüppel schwingend.

»Was war das?« fragte Kate Hegström erschrocken.

»Nichts. Ein geplatzter Autoreifen.«

Der Chauffeur drehte sich um. Sein Gesicht hatte sich verändernt. »Diese...«

»Fahren Sie zu«, unterbrach Ravic ihn. »Sie können jetzt durch.«

Die Kreuzung war leer, als hätte ein Windstoß sie leergefegt. »Los«, sagte Ravic.

Von der Rue Cambronne kamen Schreie. Ein zweiter Schuß fiel. Der Chauff eur fuhr an.

Sie standen auf der Terrasse zum Garten. Alles war bereits voll von Kostümen. Aus der tiefen Dämmerung der Bäume blühten Rosen. Kerzen in Windlichtern gaben ein flackerndes, warmes Licht. In einem Pavillon spielte ein kleines Orchester ein Menuett. Das Ganze wirkte wie ein Watteau, der lebendig geworden war.

»Schön?« fragte Kate Hegström. »Ja.«

»Wirklich?«

»Ja, Kate. Wenigstens so, von weitem.« »Kommen Sie. Lassen Sie uns durch den Garten gehen.« Unter den hohen, alten Bäumen entfaltete sich ein unwirkliches Bild. Das Ungewisse Licht von vielen Kerzen schimmerte auf silbernen und goldenen Brokaten, auf kostbaren, altblauen und rosa und seegrünen Samten, es warf sanfte Reflexe auf Allongeperücken und nackte, gepuderte Schultern, um die das zärtliche Geglitzer der Geigen wehte; Paare und Gruppen wandelten gemessen auf und ab, Degengriffe funkelten, ein Springbrunnen rauschte, und die verschnittenen Buchsbaumbosketts bildeten dunkel einen stilvollen Hintergrund.

Ravic sah, daß selbst die Diener in Kostümen waren. Er nahm an, daß die Detektive es dann auch waren. Es wäre nicht schlecht, dachte er, von Molière oder Racine verhaftet zu werden. Oder zur Abwechslung von einem Hofzwerg.

Er blickte auf. Ein schwerer, warmer Tropfen war auf seine Hand gefallen. Der rötliche Himmel war verfinstert. »Es gibt Regen, Kate«, sagte er.

»Nein. Das ist unmöglich. Der Garten...«

»Doch. Kommen Sie rasch!«

Er nahm ihren Arm und brachte sie zur Terrasse. Sie waren kaum da, als es schon zu gießen begann. Das Wasser stürzte nur so herunter, die Kerzen in den Windlichtern verlöschten, die Tafeldekorationen hingen nach wenigen Sekunden als farblose Lappen herunter, und eine Panik brach aus. Marquisen, Herzoginnen und Hofdamen stürzten mit gerafften Brokatröcken der Terrasse zu; Grafen, Exzellenzen und Feldmarschälle versuchten die Perücken zu schützen und drängten wie aufgescheuchte bunte Hühner durcheinander.

Das Wasser stürzte in die Allongen, Kragen und Dekolletées, es wusch Puder und Rouge herunter, ein fahler Blitz riß den Garten in stoffloses Licht, und schwer prasselte der Donner hinterher.

Kate Hegström stand regungslos unter der Markise auf der Terrasse, eng an Ravic gedrängt. »Das ist noch nie passiert«, sagte sie fassungslos. »Ich war oft hier. Das war noch nie. In keinem Jahr.«

»Eine glänzende Gelegenheit für die Smaragde.«

»Ja. Mein Gott...«

Diener in Regenmänteln und Schirmen rannten durch den Garten. Ihre seidenen Eskarpins stachen sonderbar unter den Mänteln heraus. Sie geleiteten die letzten, verlorenen, nassen Hofdamen zur Terrasse und suchten dann nach verlorenen Umhängen und Sachen. Einer brachte ein Paar goldene Schuhe. Sie waren zierlich, und er hielt sie vorsichtig in seinen großen Händen. Das Wasser stürzte auf die leeren Tische. Es donnerte auf die gespannte Markise, als trommle der Himmel mit kristallenen Schlegeln zu einer unbekannten Reveille.

»Wir wollen hineingehen«, sagte Kate Hegström.

Die Räume des Hauses waren viel zu klein für die Anzahl der Gäste. Niemand hatte scheinbar mit schlechtem Wetter gerechnet. Die Schwüle des Tages lag noch schwer in den Zimmern. Das Gedränge erhitzte sie noch mehr. Die weiten Kostüme der Frauen wurden zerdrückt. Seide riß unter den Füßen, die darauf traten. Man konnte sich kaum rühren.

Ravic stand mit Kate Hegström neben der Tür. Vor ihm atmete eine gräfliche Marquise Montespan mit nassem, strähnigem Haar. Ein Halsband aus birnenförmigen Diamanten lag um ihren Nacken, der zu weite Poren hatte. Sie sah jetzt aus wie eine verregnete Gemüsehändlerin auf einem Karneval. Neben ihr hustete ein kahlköpfiger Mann ohne Kinn. Ravic erkannte ihn. Es war Blancher vom Auswärtigen Amt im Kostüm Colberts. Zwei schöne, schmale Hofdamen mit Profilen wie Windhunde standen vor ihm; ein jüdischer Baron, dick, laut, mit juwelenbesetztem Hut, betatschte genießerisch ihre Schultern. Ein paar Südamerikaner, als Pagen verkleidet, betrachteten ihn aufmerksam und erstaunt. Zwischen ihnen stand die Gräfin Bellin als La Vallière, mit dem Gesicht eines gefallenen Engels und vielen Rubinen; Ravic erinnerte sich, ihr vor einem Jahr die Eierstöcke operiert zu haben — auf eine Diagnose Durants hin. Dies hier überhaupt war Durants Gebiet. Ein paar Schritte weg erkannte er die junge, sehr reiche Baronesse Remplart. Sie hatte einen Engländer geheiratet und keine Gebärmutter mehr. Ravic hatte sie herausgeschnitten. Fehldiagnose Durants. Fünfzigtausend Frank Honorar. Die Sekretärin Durants hatte ihm das verraten. Ravic hatte zweihundert Frank bekommen — die Frau, zehn Jahre ihres Lebens und die Möglichkeit, Kinder zu bekommen, verloren.

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