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»Du auch nicht.«

»Ich?« Ravic trank sein Glas aus. Die mit dem rotgoldenen Haar vom Morgen, dachte er — dann Kate Hegström, mit dem Tod im Bauch und der Haut wie brüchige Seide — und nun diese hier, rücksichtslos, voll Gier zum Leben, fremd noch sich selbst und doch vertrauter sich, als je ein Mann wissen würde, naiv und hingerissen, treu in einem sonderbaren Sinne und treulos wie ihre Mutter, die Natur, treibend und getrieben, halten wollend und verlassend.

»Ich?« wiederholte Ravic. »Was weißt du von mir? Was weißt du davon, wenn in ein Leben, in dem alles fragwürdig geworden ist, die Liebe fällt? Was ist dein billiger Rausch dagegen? Wenn aus Fallen und Fallen plötzlich Halt wird, wenn das endlose Warum zu einem endlichen Du wird, wenn wie eine Fata Morgana über der Wüste des Schweigens auf einmal das Gefühl sich hochwirft, sich formt, und über machtlosen Händen die Gaukelei des Blutes zu einer Landschaft wird, gegen die alle Träume blaß und bürgerlich sind? Eine Landschaft aus Silber, eine Stadt aus Filigran und Rosenquarz, glänzend wie der hellste Widerschein von glühendem Blut — was weißt du davon? Glaubst du, daß man darüber gleich reden kann? Daß eine eilfertige Zunge es sofort pressen kann in das Klischee der Worte und eben der Gefühle? Was weißt du davon, wenn sich Gräben öffnen und man steht in Furcht vor den vielen farblosen Nächten des Gestern — doch sie öffnen sich, und keine Gerippe bleiben mehr darin, nur Erde ist noch darin. Erde, fruchtbarer Keim und das erste Grün bereits. Was weißt du davon? Du liebst den Rausch, die Überwältigung, das fremde Du, das in dir untergehen will und nie untergehen wird, du liebst den stürmischen Betrug des Blutes, aber dein Herz wird leer bleiben — denn man behält nichts, als was selber in einem wächst. Und im Sturm wächst nichf viel. Die leeren Nächte der Einsamkeit sind es, in denen es wächst — wenn man nicht verzweifelt. Was weißt du davon?«

Er hatte langsam gesprochen, ohne Joan anzusehen, als hätte er sie vergessen. Nun sah er sie an. »Was rede ich da?« sagte er. »Alte, törichte Dinge. Zuviel getrunken heute. Komm, trink auch etwas und geh.«

Sie setzte sich zu ihm auf das Bett und nahm das Glas. »Ich habe es verstanden«, sagte sie. Ihr Gesicht hatte sich verändert. Wie ein Spiegel, dachte er. Immer wieder spiegelt es zurück, was man dagegen sprach. Es war jetzt gesammelt und schön. »Ich habe es verstanden«, sagte sie. »Und manchmal auch gefühlt. Aber, Ravic, über deiner Liebe zur Liebe und zum Leben hast du mich oft vergessen. Ich war ein Anlaß — und dann gingst du in deine silbernen Städte und wußtest nur noch wenig von mir.«

Er sah sie lange an. »Vielleicht«, sagte er.

»Du warst so sehr mit dir beschäftigt, du entdecktest so viel in dir, daß ich irgendwie am Rande deines Lebens stehenblieb.«

»Vielleicht. Aber du bist nichts, um etwas darauf zu bauen, Joan. Das weißt du auch.«

»Wolltest du das?«

»Nein«, sagte Ravic nach einigem Nachdenken. Dann lächelte er. »Wenn man ein Refugié ist von allem, was fest war, gerät man manchmal in sonderbare Situationen. Und man tut sonderbare Dinge. Natürlich wollte ich das nicht. Aber wer nur ein einziges Lamm hat, will manchmal so viele Dinge damit tun.«

Die Nacht war plötzlich voll Frieden. Sie war wieder wie eine der Nächte, eine Ewigkeit her, wenn Joan neben ihm gelegen hatte. Die Stadt war weit, fern, nur noch ein sanftes Summen am Horizont, die Kette der Stunden war losgehakt, und die Zeit war so lautlos, als stände sie still. Das Einfachste und Unfaßbarste der Welt war wieder da: zwei Menschen, die miteinander sprachen, jeder für sich — und Laute, Worte genannt, formten trotzdem gleiche Bilder und Gefühle in der zuckenden Masse hinter den Knochen der Schädel — und aus sinnlosen Stimmbandvibrationen und den unerklärlichen Reaktionen darauf und den schmieriggrauen Windungen wuchsen plötzlich wieder Himmel, in denen sich Wolken, Bäche, Vergangenheit, Blühen, Welken und gefaßtes Wissen spiegelten.

»Du liebst mich, Ravic...«, sagte Joan, und es war nur halb eine Frage.

»Ja. Aber ich tue alles, um von dir loszukommen.«

Er sagte es ruhig, wie etwas, was beide wenig anging. Sie beachtete es nicht. »Ich kann mir nicht denken, daß wir jemals nicht mehr zusammen sind. Für eine Zeit, ja. Aber nicht für immer. Nie für immer«, wiederholte sie, und ein Schauer lief über ihre Haut. »Nie ist ein entsetzliches Wort, Ravic. Ich kann es mir nicht denken, daß wir nie mehr zusammen sind.«

Ravic antwortete nicht. »Laß mich hierbleiben«, sagte sie. »Ich will nie wieder zurückgehen. Nie.«

»Du würdest morgen zurückgehen. Du weißt das.«

»Ich kann mir nicht denken, wenn ich hier bin, daß ich nicht hierbleibe.«

»Das ist dasselbe. Du weißt das auch.«

Der Hohlraum inmitten der Zeit. Die kleine, erleuchtete Kabine des Zimmers wieder, dieselbe wie früher — und da war auch der Mensch wieder, den man liebte, und er war es auf eine sonderbare Weise schon nicht mehr, man konnte ihn greifen, wenn man nur die Arme ausstreckte, und man konnte ihn doch wieder nicht erreichen.

Ravic setzte das Glas nieder. »Du weißt, du würdest wieder gehen — morgen, übermorgen, irgendwann...«, sagte er.

Joan senkte den Kopf. »Ja.«

»Und wenn du wiederkämest — du weißt, du würdest immer wieder gehen?«

»Ja.«

Sie hob ihr Gesicht. Es war überströmt von Tränen.

»Was ist das nur, Ravic. Was ist es?«

»Ich weiß es auch nicht.« Er lächelte flüchtig. »Liebe ist nicht sehr fröhlich manchmal, wie?«

»Nein.« Sie sah ihn an. »Was ist das nur mit uns, Ravic?«

Er hob die Schultern. »Ich weiß es auch nicht, Joan. Vielleicht weil wir nichts anderes mehr haben, um uns festzuhalten. Früher hatte man vieles — Sicherheit, Hintergrund, Glauben, Ziele —, alles freundliche Geländer, an denen man sich halten konnte, wenn die Liebe einen schüttelte. Heute hat man nichts — höchstens ein bißchen Verzweiflung, ein bißchen Mut und sonst Fremde innen und außen. Wenn die Liebe dahinfliegt — das ist wie eine Fackel in trockenes Stroh. Man hat nichts als sie, das macht sie anders — wilder, wichtiger und zerstörender.« Er goß sein Glas voll. »Man soll nicht zuviel darüber nachdenken. Wir sind nicht in einer Situation, um viel nachzudenken. Es macht nur kaputt. Und wir wollen doch nicht kaputtgehen, wie?«

Joan schüttelte den Kopf. »Nein. Was war das für eine Frau, Ravic?«

»Eine Patientin. Ich war schon einmal mit ihr da. Damals, als du noch sangst. Hundert Jahre her. Tust du jetzt irgend etwas?«

»Kleine Rollen. Ich glaube, ich bin nicht gut. Aber ich verdiene genug, um unabhängig zu sein. Ich will jeden Augenblick weggehen können. Ich habe keine Ambitionen.«

Ihre Augen waren trocken. Sie trank das Glas Calvados aus und stand auf. Sie wirkte müde. »Warum ist das alles so in einem, Ravic? Warum? Es muß doch einen Grund haben. Wir würden doch sonst nicht fragen?«

Er lächelte trübe.

»Das ist die älteste Frage der Menschheit, Joan. Warum — die Frage, an der alle Logik, alle Philosophie, alle Wissenschaft bis jetzt zerbrochen sind.« Sie ging. Sie ging. Sie war an der Tür. Etwas schnellte in Ravic hoch. Sie ging. Sie ging. Er richtete sich auf. Es war plötzlich unmöglich, alles war unmöglich, nur eine Nacht noch, eine Nacht, einmal noch das schlafende Gesicht an der Schulter, morgen konnte man kämpfen, einmal noch diesen Atem neben sich, einmal noch in dem Fallen die sanfte Illusion, den süßen Betrug. Geh nicht, geh nicht, wir sterben in Schmerzen und leben in Schmerzen, geh nicht, geh nicht, was habe ich denn? Was ist mir mein kahler Mut? Wohin treiben wir? Nur du bist wirklich!

Hellster Traum! Ach, die Asphodelenwiesen des Vergessens! Einmal nur noch! Einmal den Funken Ewigkeit! Für wen bewahre ich mich denn? Für welches trostlose Etwas? Für welches finstere Unbestimmt? Begraben, verloren, zwölf Tage hat mein Leben nur noch, zwölf Tage, und dahinter ist nichts, zwölf Tage und diese Nacht, schimmernde Haut, warum kamst du gerade in dieser Nacht, die losgerissen von den Sternen schwimmt, verwölkt von alten Träumen, warum durchbrachst du die Forts und Verhaue in dieser Nacht, in der niemand mehr lebt als wir? Hob sich nicht die Welle? Warf sie sich nicht... »Joan«, sagte er.

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