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»Ravic«, sagte Joan aus dem Dunkel. »Der Calvados steht auf dem Tisch am Fenster.«

Er blieb stehen. Er merkte, daß er in einer Spannung gewesen war. Er hätte vieles nicht ertragen können, was sie gesagt hätte. Dieses war richtig. Die Spannung löste sich zu loser, leiser Sicherheit. »Hast du die Flasche gefunden?« fragte er.

»Das war einfach. Sie stand ja da. Aber ich habe sie geöffnet. Ich habe einen Korkenzieher entdeckt, irgendwo unter deinen Sachen. Gib mir noch ein Glas.«

Er schenkte zwei Gläser ein und brachte ihr eines »Hier...« Es war gut, den klaren Apfelgeist zu spüren. Es war gut, daß Joan das richtige Wort gefunden hatte.

Sie lehnte den Kopf zurück und trank. Das Haar fiel auf die Schultern, und sie schien nichts zu sein als Trinken in diesem Augenblick. Ravic hatte das schon vorher an ihr bemerkt. Sie gab sich ganz hin an das, was sie gerade tat. Es streifte ihn vage, daß darin nicht nur ein Reiz, sondern auch eine Gefahr lag. Sie war nichts als Trinken, wenn sie trank; nichts als Liebe, wenn sie liebte; nichts als Verzweiflung, wenn sie verzweifelte; und nichts als Vergessen, wenn sie vergaß.

Joan setzte das Glas ab und lachte plötzlich. »Ravic«, sagte sie. »Ich weiß, was du gedacht hast.«

»Wirklich?«

»Ja. Du fühltest dich schon halb verheiratet vorhin. Ich mich auch. Vor der Tür verlassen zu werden, ist kein besonderes Erlebnis. Noch dazu mit Rosen im Arm. Gottlob war der Calvados da. Sei nicht so vorsichtig mit der Flasche.«

Ravic goß ein. »Du bist eine großartige Person«, sagte er. »Es ist wahr. Drüben im Badezimmer konnte ich dich nicht besonders ausstehen. Jetzt finde ich dich wunderbar. Salute!«

»Salute!«

Er trank seinen Calvados aus. »Es ist die zweite Nacht«, sagte er. »Sie ist gefährlich. Der Reiz des Unbekannten ist vorbei, und der Reiz des Vertrauens ist noch nicht da. Wir werden sie überstehen.«

Joan setzte ihr Glas nieder. »Du scheinst ja eine ganze Menge darüber zu wissen.«

»Ich weiß gar nichts. Ich rede nur. Man weiß nie etwas. Alles ist immer anders. Jetzt auch. Es ist nie die zweite Nacht. Es ist immer die erste. Die zweite wäre das Ende.«

»Gottlob! Wohin käme man sonst. In irgend etwas wie Arithmetik. Und nun komm. Ich will noch nicht schlafen. Ich will mit dir trinken. Die Sterne stehen nackt da oben in der Kälte. Wie leicht man friert, wenn man allein ist! Auch wenn es heiß ist. Zu zweien nie.«

»Zu zweien kann man sogar erfrieren.«

»Wir nicht.«

»Natürlich nicht«, sagte Ravic, und sie sah im Dunkeln den Ausdruck nicht, der über sein Gesicht flog. »Wir nicht.«

10

»Was war los mit mir, Ravic?« fragte Kate Hegström.

Sie lag in ihrem Bett, etwas hochgeschoben, mit zwei Kissen unter dem Kopf. Das Zimmer roch nach Eau de Sante und Parfüm. Das obere Fenster war einen Spalt geöffnet. Die klare, etwas frostige Luft von draußen kam herein und mischte sich mit der Zimmerwärme, als wäre es nicht Januar, sondern schon April.

»Sie haben Fieber gehabt, Kate. Ein paar Tage. Dann haben Sie geschlafen. Fast vierundzwanzig Stunden. Jetzt ist das Fieber vorbei, und alles ist in Ordnung. Wie fühlen Sie sich?«

»Müde. Immer noch. Aber anders als vorher. Nicht so verkrampft. Ich habe kaum Schmerzen.«

»Sie werden noch welche haben. Nicht sehr viel, und wir werden schon dafür sorgen, daß Sie es aushalten können. Aber ganz so wie jetzt wird es nicht bleiben. Das wissen Sie ja selbst...«

Sie nickte. »Ihr habt mich aufgeschnitten, Ravic...«

»Ja, Kate.«

»War es nötig?«

»Ja.«

Ravic wartete. Es war besser, sie fragen zu lassen. »Wie lange werde ich liegen müssen?«

»Ein paar Wochen.«

Sie schwieg eine Weile. »Ich glaube, es wird gut für mich sein. Ich kann Ruhe gebrauchen. Ich hatte genug. Ich merke es jetzt. Ich war müde. Ich wollte es nicht wahrhaben. Hatte es etwas mit dieser Sache zu tun?«

»Sicher, ganz sicher.«

»Auch das, daß ich ab und zu geblutet habe? Zwischen den Monaten?«

»Das auch, Kate.«

»Dann ist es gut, daß ich jetzt Zeit habe. Vielleicht war es nötig. Jetzt aufstehen müssen und all dem wieder gegenüberstehen — ich glaube, ich könnte das nicht.«

»Sie brauchen es nicht. Vergessen Sie es. Denken Sie nur an das Allernächste. Ihr Frühstück zum Beispiel.«

»Gut.« Sie lächelte schwach. »Dann geben Sie mir einmal den Spiegel herüber.«

Er gab ihr den Handspiegel vom Nachttisch. Sie sah sich aufmerksam darin an. »Sind die Blumen drüben von Ihnen, Ravic?«

»Nein. Von der Klinik.«

Sie legte den Spiegel auf das Bett. »Kliniken schicken im Januar keinen Flieder. Kliniken schicken Astern oder so etwas. Kliniken wissen auch nicht, daß Flieder meine Lieblingsblumen sind.«

»Hier schon. Hier sind Sie ja ein Veteran, Kate.« Ravic stand auf. »Ich muß jetzt gehen. Ich komme so gegen sechs noch einmal vorbei, um nach Ihnen zu sehen.«

»Ravic...«

»Ja...«

Er wandte sich um. Jetzt kommt es, dachte er. Jetzt wird sie fragen.

Sie streckte die Hand aus. »Danke«, sagte sie. »Danke für die Blumen. Und danke, daß Sie auf mich aufgepaßt haben. Ich fühle mich immer so sicher bei Ihnen.«

»Gut, Kate, gut. Da war weiter nichts aufzupassen. Und nun schlafen Sie noch, wenn Sie können. Wenn Sie Schmerzen haben, klingeln Sie der Schwester. Ich werde dafür sorgen, daß sie ein Mittel da hat. Nachmittags komme ich noch einmal.«

»Veber, wo ist der Schnaps?«

»War es so schlimm? Hier ist die Flasche. Eugenie, geben Sie einmal ein Glas heraus.«

Eugenie holte widerwillig ein Glas. »Das ist ein Fingerhut«, protestierte Veber. »Holen Sie ein vernünftiges Glas. Oder warten Sie, Sie könnten sich die Hand dabei brechen. Ich mache es selbst.«

»Ich weiß nicht, Herr Doktor Veber«, erklärte Eugenie spitz. »Immer, wenn Herr Ravic hereinkommt, werden Sie...«

»Gut, gut«, unterbrach Veber sie. Er schenkte ein Glas Kognak ein. »Hier, Ravic. Was glaubt sie?«

»Sie fragt gar nicht. Sie glaubt, ohne zu fragen.«

Veber blickte auf. »Sehen Sie«, erwiderte er triumphierend. »Ich habe es ja gleich gesagt.«

Ravic trank sein Glas aus. »Hat sich schon einmal ein Patient bei Ihnen dafür bedankt, daß Sie nichts für ihn tun konnten?« »Oft .«

»Und Ihnen alles geglaubt?«

»Selbstverständlich.«

»Und wie haben Sie sich gefühlt?«

»Erleichtert«, sagte Veber erstaunt. »Sehr erleichtert.«

»Ich fühle mich zum Kotzen. Wie ein Schwindler.«

Veber lachte. Er stellte die Flasche wieder weg. »Zum Kotzen«, wiederholte Ravic.

»Das ist das erstemal, daß ich eine menschliche Regung bei Ihnen entdecke«, sagte Eugenie. »Abgesehen natürlich von der Art, wie Sie sich ausdrücken.«

»Sie sind keine Entdeckerin, Sie sind eine Pflegerin, Eugenie, das vergessen Sie oft«, erklärte Veber. »Die Sache ist also in Ordnung, Ravic?«

»Ja, vorläufig.«

»Gut. Sie hat heute morgen zu der Schwester gesagt, wenn sie das Hospital verließe, wolle sie nach Italien fahren. Dann sind wir aus allem ’raus.« Veber rieb sich die Hände. »Dann können die Ärzte drüben sich damit beschäftigen. Ich habe nicht gern, wenn jemand hier stirbt. Schadet immer dem Ruf.«

Ravic klingelte an der Tür der Hebamme, die bei Lucienne den Eingriff gemacht hatte. Ein schwärzlich aussehender Mann öffnete nach langer Zeit. Er behielt die Tür in der Hand, als er Ravic sah. »Was wollen Sie?« knurrte er.

»Ich will mit Madame Boucher sprechen.«

»Sie hat keine Zeit.«

»Das macht nichts. Ich werde solange warten.«

Der Mann wollte die Tür schließen. »Wenn ich nicht warten kann, werde ich in einer Viertelstunde wiederkommen«, sagte Ravic. »Aber nicht allein. Mit jemand, für den sie auf jeden Fall zu sprechen sein wird.«

Der Mann starrte ihn an. »Was soll das? Was wollen Sie?«

»Ich sagte es Ihnen schon. Ich will mit Madame Boucher sprechen.«

30
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