Литмир - Электронная Библиотека
Содержание  
A
A

»Ich auch nicht.«

Sie saßen eine Zeitlang. »Wollen wir eine Partie Schach spielen?« fragte Morosow.

»Ja. Aber ich sehe kein freies Brett.«

»Drüben der Professor hört auf. Hat mit Levy gespielt. Gewonnen wie immer.«

Ravic ging, das Brett und die Figuren holen. »Sie haben lange gespielt, Professor, den ganzen Nachmittag.«

Der alte Mann nickte. »Es lenkt ab. Schach ist vollkommener als Kartenspielen. Kartenspielen ist Glück und Pech. Das lenkt nicht genug ab. Schach ist eine Welt für sich. Solange man spielt, tritt sie an die Stelle der anderen da draußen.« Er hob seine entzündeten Augen. »Die ist nicht so vollkommen.«

Levy, sein Partner, meckerte plötzlich auf. Dann schwieg er, sah sich erschrocken um und folgte dem Professor.

Sie machten zwei Spiele. Dann stand Morosow auf. »Ich muß gehen, Türen öffnen für die Blüte der Menschheit. Warum schaust du eigentlich nie mehr bei uns herein?«

»Ich weiß nicht. Zufall.«

»Wie ist es mit morgen abend?«

»Morgen abend kann ich nicht. Da gehe ich essen. Ins Maxime.«

Morosow grinste. »Für einen illegalen Flüchtling treibst du dich eigentlich ziemlich frech in den elegantesten Lokalen von Paris herum.«

»Das sind die einzigen, in denen man völlig sicher ist, Boris. Wer sich benimmt wie ein Refugié, wird bald erwischt. Das solltest selbst du noch wissen, du Nansenpaßbesitzer.«

»Stimmt. Mit wem gehst du denn? Mit dem deutschen Gesandten als Protektion?«

»Mit Kate Hegström.«

Morosow tat einen Pfiff. »Kate Hegström«, sagte er. »Ist sie zurück?«

»Sie kommt morgen früh. Von Wien.«

»Gut. Dann sehe ich dich also doch später bei uns.«

»Vielleicht auch nicht.«

Morosow winkte ab. »Unmöglich! Die Scheherazade ist Kate Hegströms Hauptquartier, wenn sie in Paris ist.« »Diesmal ist es anders. Sie kommt, um in die Klinik zu gehen. Wird in den nächsten Tagen operiert.«

»Dann wird sie gerade kommen. Du verstehst nichts von Frauen.« Morosow kniff die Augen zusammen. »Oder willst du nicht, daß sie kommt?«

»Warum nicht?«

»Mir fällt gerade ein, daß du nicht bei uns warst, seit du mir damals die Frau geschickt hast. Joan Madou. Scheint mir doch kein reiner Zufall zu sein.«

»Unsinn. Ich weiß nicht einmal, daß sie noch bei euch ist. Konntet ihr sie gebrauchen?« »Ja. Sie war zuerst im Chor. Jetzt hat sie eine kleine Solonummer. Zwei oder drei Lieder.« »Hat sie sich inzwischen einigermaßen gewöhnt?« »Natürlich. Warum nicht?« »Sie war verdammt verzweifelt. Ein armer Teufel.« »Was?« fragte Morosow. »Ein armer Teufel, sagte ich.« Morosow lächelte. »Ravic«, erwiderte er väterlich mit einem Gesicht, in dem plötzlich Steppen, Weite, Wiesen und alle Erfahrung der Welt waren. »Rede keinen Unsinn. Das ist ein ziemlich großes Luder.«

»Was?« sagte Ravic.

»Ein Luder. Keine Hure. Ein Luder. Wenn du ein Russe wärest, würdest du das verstehen.«

Ravic lachte. »Dann muß sie sich sehr geändert haben. Servus, Boris! Gott segne deine Augen.«

7

»Wann muß ich in der Klinik sein, Ravic?« fragte Kate Hegström.

»Wann Sie wollen. Morgen, übermorgen, irgendwann. Es kommt auf einen Tag nicht an.«

Sie stand vor ihm, schmal, knabenhaft , selbstsicher, hübsch und nicht mehr ganz jung.

Ravic hatte ihr vor zwei Jahren den Blinddarm herausgenommen. Es war seine erste Operation in Paris gewesen. Sie hatte ihm Glück gebracht. Er hatte seitdem gearbeitet und keine Schwierigkeiten mit der Polizei gehabt. Sie war für ihn eine Art Maskottchen.

»Diesmal habe ich Angst«, sagte sie. »Ich weiß nicht, warum. Aber ich habe Angst.«

»Das brauchen Sie nicht. Es ist eine Routinesache.«

Sie ging zum Fenster und sah hinaus. Draußen lag der Hof des Hotels Lancaster. Eine mächtige alte Kastanie reckte ihre alten Arme aufwärts zum nassen Himmel. »Dieser Regen«, sagte sie. »Ich bin in Wien weggefahren, und es regnete. Ich bin in Zürich aufgewacht, und es regnete. Und jetzt hier...« Sie schob die Vorhänge zurück. »Ich weiß nicht, was mit mir los ist. Ich glaube, ich werde alt.«

»Das glaubt man immer, wenn man es nicht ist.«

»Ich sollte anders sein. Ich bin vor zwei Wochen geschieden worden. Ich sollte froh sein. Aber ich bin müde. Alles wiederholt sich, Ravic. Warum?«

»Nichts wiederholt sich. Wir wiederholen uns, das ist alles.«

Sie lächelte und setzte sich in ein Sofa, das neben dem künstlichen Kamin stand. »Es ist gut, daß ich zurück bin«, sagte sie. »Wien ist eine Kaserne geworden. Trostlos. Die Deutschen haben es zertrampelt. Und mit ihnen die Österreicher. Die Österreicher auch, Ravic. Ich dachte, es sei ein Widerspruch der Natur; ein österreichischer Nazi. Aber ich habe sie gesehen.«

»Das ist nicht überraschend. Macht ist die ansteckendste Krankheit, die es gibt.«

»Ja, und die am meisten deformierende. Deshalb bin ich geschieden worden. Der scharmante Nichtstuer, den ich vor zwei Jahren geheiratet hatte, wurde plötzlich ein brüllender Sturmführer, der den alten Professor Bernstein Straßen waschen ließ und dabeistand und lachte. Bernstein, der ihn ein Jahr vorher von einer Nierenentzündung geheilt hatte. Angeblich, weil das Honorar zu hoch gewesen war.« Kate Hegström verzog die Lippen. »Das Honorar, das ich bezahlt hatte, nicht er.«

»Seien Sie froh, daß Sie ihn los sind.«

»Er verlangte zweihundertfünfzigtausend Schilling für die Scheidung.«

»Billig«, sagte Ravic. »Alles, was man mit Geld abmachen kann, ist billig.«

»Er hat nichts bekommen.« Kate Hegström hob das schmale Gesicht, das fehlerfrei wie eine Gemme geschnitten war. »Ich habe ihm gesagt, was ich über ihn, seine Partei und seinen Führer denke — und daß ich das von nun an öffentlich tun würde. Er drohte mir mit Gestapo und Konzentrationslager. Ich habe ihn ausgelacht. Ich sei immer noch Amerikanerin und unter dem Schutz der Gesandtschaft. Mir würde nichts geschehen, aber ihm, weil er mit mir verheiratet sei.«

Sie lachte. »Daran hatte er nicht gedacht. Er machte von da an keine Schwierigkeiten mehr.«

Gesandtschaft, Schutz, Protektion, dachte Ravic. Das war wie von einem anderen Planeten. »Mich wundert, daß Bernstein noch praktizieren darf«, sagte er.

»Er darf nicht mehr. Er hat mich heimlich untersucht, als ich die erste Blutung hatte. Gottlob, daß ich kein Kind bekommen darf. Ein Kind von einem Nazi...«

Sie schüttelte sich.

Ravic stand auf. »Ich muß jetzt gehen. Veber wird Sie nachmittags noch einmal untersuchen. Nur der Form wegen.«

»Ich weiß. Trotzdem — ich habe Angst diesmal.«

»Aber Kate — es ist doch nicht das erstemal. Einfacher als der Blinddarm, den ich Ihnen vor zwei Jahren herausgenommen habe.« Ravic nahm sie leicht um die Schultern. »Sie waren meine erste Operation, als ich nach Paris kam. Das ist etwas wie eine erste Liebe. Ich werde schon aufpassen. Außerdem sind Sie mein Maskottchen. Sie haben mir Glück gebracht. Das sollen Sie auch weiter.«

»Ja«, sagte sie und sah ihn an.

»Gut. Adieu, Kate. Ich hole Sie abends um acht Uhr ab.«

»Adieu, Ravic. Ich gehe jetzt, mir ein Abendkleid bei Mainbocher kaufen. Ich muß diese Müdigkeit loswerden. Und das Gefühl, in einem Spinngewebe zu sitzen. Dieses Wien«, sagte sie mit einem bitteren Lächeln, »die Stadt der Träume...«

Ravic fuhr mit dem Aufzug herunter und ging an der Bar vorbei durch die Halle. Ein paar Amerikaner saßen herum. In der Mitte stand auf einem Tisch ein riesiger Strauß roter Gladiolen. Sie hatten in dem grauen, zerstreuten Licht die Farbe von altem Blut, und erst als er nahe herankam, sah er, daß sie ganz frisch waren. Es war nur das Licht von draußen, das sie so machte.

Im zweiten Stock des »International« war großer Betrieb. Eine Anzahl Zimmer stand offen, das Mädchen und der Valet rannten hin und her und die Proprietaire dirigierte alles vom Korridor her. Ravic kam die Treppe herauf. »Was ist los?« fragte er.

20
{"b":"125277","o":1}