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»Sehen Sie das, Veber?« fragte Ravic. »Hier — und hier — und hier...«

Veber beugte sich über die aufgeklammerte Wunde. »Ja...«

»Die kleinen Höcker hier — und da, das ist keine Geschwulst und keine Verwachsung...«

»Nein...«

Ravic richtete sich auf. »Krebs«, sagte er. »Klarer, einwandfreier Krebs! Das ist die verfluchteste Operation, die ich seit langem gemacht habe: Das Speculum zeigt nichts, die Pelvisuntersuchung nur eine leichte Weichheit an einer Seite, ein bißchen Schwellung, Möglichkeit einer Zyste oder eines Myoms, nichts Wichtiges, aber wir können nicht von unten arbeiten, müssen schneiden, und plötzlich finden wir Krebs.«

Veber sah ihn an. »Was wollen Sie machen?«

»Wir können einen Gefrierschnitt machen. Mikroskopischen Befund feststellen. Ist Boisson noch im Laboratorium?«

»Bestimmt.« Veber gab der Infirmiere den Auftrag, das Laboratorium anzurufen. Sie verschwand eilig, auf geräuschlosen Gummisohlen.

»Wir müssen weiterschneiden. Den Hysterektomieschnitt machen«, sagte Ravic. »Keinen Sinn, was anderes zu tun. Das verdammte ist nur, daß sie es nicht weiß. Wie ist der Puls?« fragte er die Narkoseschwester.

»Regelmäßig. Neunzig.«

»Blutdruck?«

»Hundertzwanzig.«

»Gut.« Ravic sah auf den Körper Kate Hegströms, der, den Kopf tief, in der Trendelenburg-Position auf dem Operationstisch lag. »Sie müßte es vorher wissen. Sie müßte einverstanden sein. Wir können nicht so einfach in ihr herumschneiden. — Oder können wir?«

»Nach dem Gesetz nicht. Sonst... wir haben ja schon angefangen.«

»Das mußten wir. Die Ausschabung war nicht von unten zu machen. Dies hier ist eine andere Operation. Eine Gebärmutter herausnehmen, ist etwas anderes als eine Auskratzung.«

»Ich glaube, sie vertraut Ihnen, Ravic.«

»Ich weiß es nicht. Vielleicht. Aber ob sie einverstanden wäre ...?« Er schob mit dem Ellbogen die Gummischürze über dem weißen Kittel zurecht. »Immerhin... ich kann zuerst einmal versuchen, weiterzufahren. Wir können dann immer noch entscheiden, ob wir die Hysterektomie machen müssen. Messer, Eugenie.«

Er machte den Schnitt bis zum Nabel und klammerte die kleineren Blutgefäße ab. Dann stoppte er die größeren mit Doppelknoten, nahm ein anderes Messer und durchschnitt die gelbliche Fascia. Die Muskeln darunter separierte er mit dem Messerrücken, hob dann das Peritoneum an, öffnete es und klammerte es auf.

»Den Spreizapparat!«

Die Hilfsschwester hatte ihn schon bereit. Sie warf die Kette mit dem Gewicht zwischen die Beine Kate Hegströms und hakte die Blasenplatte an. »Tücher.«

»Tücher!«

Er schob die feuchten, warmen Tücher ein, legte die Bauchhöhle frei und setzte behutsam die Greifzange an. Dann sah er auf. »Sehen Sie hier, Veber... und hier... das breite Ligament. Die dicke, harte Masse. Unmöglich, eine Kocherzange anzulegen. Es ist schon zu weit.«

Veber starrte auf die Stelle, die Ravic ihm wies. »Sehen Sie das hier«, sagte Ravic. »Wir können die Arterien nicht mehr abklammern. Brüchig. Da wuchert es auch schon. Hoffnungslos...«

Er löste vorsichtig ein schmales Stück los. »Ist Boisson im Laboratorium?«

»Ja«, sagte die Infirmiere. »Er wartet schon.«

»Gut. Schicken Sie es hinüber. Wir können auf den Befund warten. Wird nicht länger als zehn Minuten dauern.«

»Sagen Sie ihm, er soll telefonieren«, sagte Veber. »Sofort. Wir warten mit der Operation.«

Ravic richtete sich auf.

»Wie ist der Puls?«

»Fünfundneunzig.«

»Blutdruck?«

»Hundertfünfzehn.«

»Gut. Ich glaube, Veber, wir brauchen jetzt nicht mehr nachzudenken, ob wir ohne Zustimmung operieren sollen oder nicht. Hier ist nichts mehr zu tun.«

Veber nickte.

»Zunähen«, sagte Ravic. »Das Kind wegnehmen, das ist alles. Zunähen und nichts sagen.«

Er stand einen Moment und sah auf den offenen Körper unter den weißen Tüchern. Das grelle Licht machte die Tücher noch weißer, wie frischer Schnee, unter dem der rote Krater der klaffenden Wunde gähnte. Kate Hegström, vierunddreißig Jahre alt, kapriziös, schmal, braun, trainiert, voll von Willen zum Leben — zum Tode verurteilt durch den neblig unsichtbaren Griff, der ihre Zellen zerstört hatte.

Er beugte sich wieder über den Körper. »Wir müssen ja noch...«

Das Kind. In diesem zerfallenen Körper wuchs ja noch blind ein tappendes Leben heran.Verurteilt mit ihm. Noch fressend, saugend, gierig, nichts als Trieb zum Wachsen, irgend etwas, das einmal spielen wollte in Gärten, das irgend etwas werden wollte, Ingenieur, Priester, Soldat, Mörder, Mensch, etwas, das leben, leiden, glücklich sein wollte und zerbrechen... vorsichtig ging das Instrument die unsichtbare Wand entlang — fand den Widerstand, brach ihn behutsam, brachte ihn heraus — vorbei. Vorbei mit all dem unbewußten Kreisen, vorbei mit dem ungelebten Atem, Jubel, Klage, Wachsen, Werden. Nichts mehr als etwas totes, bleiches Fleisch und etwas gerinnendes Blut.

»Schon Nachricht von Boisson?«

»Noch nicht. Muß bald kommen.«

»Wir können noch ein paar Minuten warten.«

Ravic trat zurück. »Puls?«

Er sah hinter dem Bügel Kate Hegströms Augen. Sie blickte ihn an — nicht starr, sondern als ob sie ihn sähe und alles wüßte. Einen Augenblick glaubte er, sie sei erwacht. Er machte einen Schritt und stoppte dann. Unmöglich! Es war ein Zufall; das Licht. »Wie ist der Puls?«

»Hundert. Blutdruck hundertzwölf. Fällt.«

»Es wird Zeit«, sagte Ravic. »Boisson könnte jetzt fertig sein.«

Das Telefon klingelte gedämpft von unten.Veber blickte zur Tür. Ravic sah nicht hin. Er wartete. Er hörte die Tür. Die Schwester kam herein. »Ja«, sagte Veber.

»Krebs.«

Ravic nickte und begann weiterzuarbeiten. Er löste die Zangen, die Klammern. Er hob den Retraktor heraus; die Handtücher. Neben ihm zählte Eugenie die Instrumente.

Er begann zu nähen. Fein, methodisch, genau, völlig konzentriert und ohne jeden Gedanken. Das Grab schloß sich, die Häute legten sich aneinander, bis zur letzten, äußeren; er klammerte sie ab und richtete sich auf. »Fertig.«

Eugenie kurbelte mit dem Fuß den Tisch wieder horizontal und deckte Kate Hegström zu. Scheherazade, dachte Ravic, vorgestern, ein Kleid von Mainbocher, waren Sie einmal glücklich, oft, ich habe Angst, eine Routinesache; die Zigeuner spielen. — Er sah auf die Uhr über der Tür. Zwölf. Mittag. Draußen öffneten sich jetzt die Büros und Fabriken, und gesunde Leute strömten heraus. Die beiden Schwestern schoben den flachen Wagen aus dem Operationssaal heraus. Ravic riß die Gummihandschuhe von den Händen, ging in den Waschraum und begann sich zu waschen.

»Ihre Zigarette«, sagte Veber, der sich neben ihm an dem zweiten Becken wusch. »Sie verbrennen sich die Lippen.«

»Ja. Danke. Wer wird es ihr nur sagen, Veber?«

»Sie«, erklärte Veber ohne Zögern.

»Wir müssen ihr erklären, weshalb wir geschnitten haben. Sie hatte erwartet, wir würden es von innen machen. Wir können ihr nicht sagen, was es wirklich war.«

»Es wird Ihnen schon etwas einfallen«, sagte Veber zuversichtlich.

»Meinen Sie?«

»Natürlich. Sie haben ja bis heute abend Zeit.«

»Und Sie?«

»Mir würde sie nichts glauben. Sie weiß, daß Sie sie operiert haben, und wird es von Ihnen wissen wollen. Sie würde nur mißtrauisch werden, wenn ich käme.«

»Stimmt.«

»Ich verstehe nicht, wie es sich in so kurzer Zeit entwickeln konnte.«

»Es kann. Ich wollte, ich wüßte, was ich sagen soll.«

»Ihnen wird schon etwas einfallen, Ravic. Irgendeine Zyste oder ein Myom.«

»Ja«, sagte Ravic. »Irgendeine Zyste oder ein Myom.«

Nachts ging er noch einmal zur Klinik. Kate Hegström schlief. Sie war abends aufgewacht, hatte erbrochen, ungefähr eine Stunde unruhig gelegen und war dann wieder eingeschlafen.

»Hat sie irgend etwas gefragt?«

»Nein«, sagte die rotbackige Schwester. »Sie war noch benommen und hat nichts gefragt.«

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