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»Geben Sie mir noch einen. Und dann lassen Sie uns wieder hinunterfahren, und ich werde mich umziehen und Sie auch, und wir wollen in die Scheherazade gehen, und ich will in eine Orgie von Sentimentalität fallen und mir leid tun und Abschied nehmen von all den herrlichen Oberflächlichkeiten des Lebens, und von morgen an will ich dann Philosophen lesen, Testamente machen und mich meines Zustandes würdig benehmen.«

Auf der Treppe des Hotels traf Ravic die Wirtin. Sie hielt ihn an. »Haben Sie einen Moment Zeit?«

»Natürlich.«

Sie führte ihn in den zweiten Stock und öffnete mit einem Paßschlüssel ein Zimmer. Ravic sah, daß es noch bewohnt war.

»Was soll das?« fragte er. »Wozu brechen Sie hier ein?«

»Rosenfeld wohnt hier«, sagte sie. »Er will ausziehen.«

»Ich will meine Bude nicht wechseln.«

»Er will ausziehen und hat die letzten drei Monate nicht bezahlt.«

»Er hat ja noch seine Sachen hier. Die können Sie ja festhalten.«

Die Wirtin stieß verächtlich gegen einen Koffer, der offen und schäbig neben dem Bett stand. »Was ist da schon dran? Nichts wert. Vulkan-Fieber. Hemden ausgefranst. Den Anzug, das sehen Sie ja von hier schon. Er hat nur zwei. Keine hundert Frank kriegt man für das Ganze.«

Ravic zuckte die Achseln. »Hat er gesagt, daß er ausziehen will?«

»Nein. Aber man sieht so was. Ich habe es ihm heute auf den Kopf zugesagt. Er hat es auch zugegeben. Ich habe ihm erklärt, daß er bis morgen zahlen muß. Ich kann mir das nicht dauernd leisten, Mieter, die nicht zahlen.«

»Gut. Was habe ich dabei zu tun?«

»Die Bilder. Die gehören ihm auch. Er hat gesagt, sie wären wertvoll. Er behauptet, er könne viel mehr als die Miete damit bezahlen. Nun sehen Sie sich das doch mal an!«

Ravic hatte auf die Wände nicht achtgegeben. Er blickte auf. Vor ihm, über dem Bett, hing eine Arles-Landschaft von Van Gogh aus der besten Zeit. Er trat einen Schritt näher. Es war kein Zweifel, das Bild war echt. »Schauderhaft, was?« fragte die Wirtin. »Das sollen Bäume sein, diese krummen Dinger da! Und nun sehen Sie sich nur das an!«

Das da hing über dem Waschtisch und war ein Gauguin. Ein nacktes Südseemädchen vor einer tropischen Landschaft. »Die Beine!« sagte die Wirtin. »Knöchel wie ein Elefant. Und das dämliche Gesicht. Sehen Sie nur, wie sie dasteht! Und da hat er noch eins, das ist nicht einmal zu Ende gemalt.«

Nicht mal zu Ende gemalt war ein Bild der Frau Cezanne von Cezanne. »Der Mund! Schief, und auf der Backe fehlt Farbe. Damit will er mich nun anschmieren! Sie haben meine Bilder gesehen — das sind doch Bilder! Nach der Natur und echt und richtig. Die Schneelandschaft mit den Hirschen im Salle à manger. Aber dieser Schund — der sieht aus, als wenn er ihn selbst gemacht hätte. Meinen Sie nicht.«

»Ungefähr so.«

»Das wollte ich nur wissen. Sie sind doch ein gebildeter Mensch und verstehen etwas davon. Nicht mal Rahmen sind dran.«

Die drei Bilder hingen ohne Rahmen. Sie leuchteten auf den schmutzigen Tapeten wie Fenster in eine andere Welt. »Wenn wenigstens noch gute Goldrahmen drum wären! Dann könnte man die abnehmen. Aber so! Ich sehe schon, daß ich diesen Dreck behalten muß und wieder einmal ’reingefallen bin. Das hat man von seiner Güte!«

»Ich glaube nicht, daß Sie die Bilder zu nehmen brauchen«, sagte Ravic.

»Was sonst?«

»Rosenfeld wird das Geld für Sie schon bekommen.«

»Wieso?« Sie sah ihn rasch an. Ihr Gesicht veränderte sich. »Sind die Sachen das wert? Manchmal sind ja gerade solche Dinge was wert!« Man sah die Gedanken hinter ihrer gelben Stirn springen. »Ich könnte ja ohne weiteres eins beschlagnahmen, schon für den letzten Monat! Welches meinen Sie? Das große über dem Bett?«

»Gar keins. Warten Sie, bis Rosenfeld zurückkommt. Ich bin sicher, daß er mit Geld zurückkommt.«

»Ich nicht. Ich bin Hotelbesitzerin.«

»Warum haben Sie denn so lange gewartet? Das tun Sie doch sonst nicht?«

»Reden! Was der mir alles vorgeredet hat! Sie wissen doch, wie das hier ist.«

Rosenfeld stand plötzlich in der Tür. Schweigend, klein und ruhig. Bevor die Wirtin etwas sagen konnte, zog er Geld aus der Tasche. »Hier — und hier ist meine Rechnung. Wollen Sie mir das bitte quittieren?«

Die Wirtin sah erstaunt auf die Banknoten. Dann sah sie auf die Bilder. Dann zurück auf das Geld. Sie wollte eine Menge sagen — aber es kam nicht heraus. »Sie kriegen noch was zurück«, erklärte sie schließlich.

»Das weiß ich. Können Sie es mir jetzt geben?«

»Ja, gut. Ich habe es nicht hier. Die Kasse ist unten. Ich werde es wechseln.«

Sie ging, als sei sie schwer beleidigt worden. Rosenfeld blickte auf Ravic.

»Entschuldigen Sie«, sagte Ravic. »Die Alte hat mich hierher geschleppt. Ich hatte keine Ahnung, was sie vorhatte. Sie wollte hören, was die Bilder wert seien.«

»Haben Sie es ihr gesagt?«

»Nein.«

»Gut.« Rosenfeld sah Ravic mit einem sonderbaren Lächeln an.

»Wie können Sie solche Bilder hier hängen haben?« fragte Ravic. »Sind sie versichert?«

»Nein. Aber Bilder werden nicht gestohlen. Höchstens einmal alle zwanzig Jahre aus einem Museum.«

»Die Bude hier kann abbrennen.«

Rosenfeld zuckte die Achseln. »Ein Risiko muß man nehmen. Versichern ist zu teuer für mich.«

Ravic betrachtete den Van Gogh. Er war mindestens eine Million Frank wert. Rosenfeld folgte seinem Blick.

»Ich weiß, was Sie denken. Wer das hat, sollte auch Geld haben, es zu versichern. Aber ich habe es nicht. Ich lebe von meinen Bildern. Ich verkaufe sie langsam, und ich verkaufe sie nicht gern.«

Unter dem Cezanne stand ein Spirituskocher auf dem Tisch. Eine Büchse mit Kaffee, ein Brot, ein Topf Butter und ein paar Tüten daneben. Das Zimmer war ärmlich und klein. Aber von den Wänden leuchtete die Herrlichkeit der Welt.

»Das verstehe ich«, sagte Ravic.

»Ich dachte, ich würde es schaffen«, sagte Rosenfeld. »Ich habe alles bezahlen können. Die Eisenbahn, die Überfahrt, alles, nur nicht diese drei Monate Miete. Ich habe kaum gegessen, aber ich konnte es nicht schaffen. Das Visum dauerte zu lange. Ich mußte heute abend einen Monet verkaufen. Eine Vétheuil-Landschaft. — Dachte, ich könnte sie noch mitnehmen.«

»Hätten Sie sie anderswo nicht auch verkaufen müssen?«

»Ja. Aber in Dollars. Sie hätten das Doppelte gebracht.«

»Gehen Sie nach Amerika?«

Rosenfeld nickte. »Es ist Zeit, hier wegzugehen.«

Ravic sah ihn an. »Der Totenvogel geht«, sagte Rosenfeld.

»Was für ein Totenvogel?«

»Ach so — Markus Meyer. Wir nennen ihn den Totenvogel. Er riecht, wenn man fliehen muß.«

»Meyer?« sagte Ravic. »Ist das der kleine Kahlkopf, der ab und zu in der Katakombe Klavier spielt?«

»Ja. Er heißt der Totenvogel — seit Prag.«

»Guter Name.«

»Er hat es immer gerochen. Zwei Monate vor Hitler ging er’ aus Deutschland heraus. Drei Monate vor den Nazis aus Wien. Sechs Wochen vor dem Einmarsch aus Prag. Ich habe mich an ihn gehalten. Immer. Er riecht es. Dadurch habe ich die Bilder gerettet. Geld konnte man aus Deutschland ja nicht mehr mitnehmen. Sperrmark. Hatte anderthalb Millionen angelegt. Versuchte, sie flüssig zu machen. Dann kamen die Nazis, und es war zu spät. Meyer war klüger. Schmuggelte einen Teil ’raus. Ich hatte nicht die Nerven. Und jetzt geht er nach Amerika. Ich auch. Schade um den Monet.«

»Sie können doch den Rest des Geldes, das Sie dafür bekommen haben, mitnehmen. Hier gibt es noch keine Sperrfrank.«

»Ja. Aber wenn ich es drüben verkauft hätte, hätte ich länger davon leben können. So aber muß ich wahrscheinlich bald den Gauguin opfern.«

Rosenfeld fummelte an seinem Spirituskocher herum. »Es sind die letzten«, sagte er. »Nur noch diese drei. Ich muß davon leben. Arbeit — damit rechne ich nicht. Das wäre ein Wunder. Nur noch drei. Eines weniger ist ein Stück Leben weniger.«

Er stand dürftig vor seinem Koffer. »In Wien — fünf Jahre; es war noch nicht teuer, ich konnte billig leben; aber es hat mich zwei Renoirs und ein Degas-Pastell gekostet. In Prag habe ich einen Sisley und fünf Zeichnungen verwohnt und aufgegessen. Kein Mensch wollte etwas für Zeichnungen geben — es waren zwei Degas, eine Kreide von Renoir und zwei Sepias von Delacroix. In Amerika hätte ich ein Jahr länger davon leben können. Sehen Sie«, sagte er ziemlich trostlos, »jetzt habe ich nur noch diese drei Bilder. Gestern waren es noch vier. Dieses Visum kostet mich zwei Jahre Leben mindestens. Wenn nicht drei!«

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