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Joan stand jetzt in der Mitte des Zimmers. »Hast du es deshalb getan, Ravic?«

»Nein. Ich sagte dir doch, es war ein anderer Mann. Ich habe geschlafen, als du kamst.«

»Ja, du hast geschlafen! Du kannst schlafen!«

Ravic stützte sich auf. »Ich habe einen andern Mann gekannt, der auch seine Frau verloren hatte. Er legte sich zu Bett und schlief zwei Tage durch. Die Mutter seiner Frau war außer sich darüber. Sie verstand nicht, daß man viele widersprechende Dinge tun und gleichzeitig völlig trostlos sein kann. Es ist merkwürdig, was für eine Etikette sich gerade für das Unglück herausgebildet hat! Hättest du mich sinnlos betrunken gefunden, wäre alles stilgemäß gewesen. Daß ich Schach gespielt und geschlafen habe, ist kein Beweis, daß ich roh und gefühllos bin. Einfach, was?«

Es krachte und splitterte. Joan hatte eine Vase ergriffen und sie zu Boden geschleudert. »Gut«, sagte Ravic. »Ich konnte das Ding ohnehin nicht leiden. Paß nur auf, daß du dir keine Scherben in den Fuß trittst.«

Sie stieß die Scherben beiseite. »Ravic«, sagte sie. »Warum tust du das?«

»Ja«, erwiderte er. »Warum? Ich mache mir selbst Mut. Merkst du das nicht, Joan?«

Sie wandte ihm rasch ihr Gesicht zu. »Es sieht so aus. Aber bei dir weiß man nie, was los ist.«

Sie trat vorsichtig über die umhergestreuten Scherben hinweg und setzte sich auf das Bett. Er konnte ihr Gesicht jetzt deutlich in der frühen Dämmerung sehen. Er war überrascht, daß es nicht müde war. Es war jung und klar gespannt. Sie trug einen leichten Mantel, den er nicht kannte, und ein anderes Kleid, als sie in der Cloche d’Or getragen hatte.

»Ich dachte, du kämest nie wieder, Ravic«, sagte sie.

»Es hat lange gedauert. Ich konnte nicht früher kommen.«

»Warum hast du nie geschrieben?«

»Hätte es etwas genützt?«

Sie sah zur Seite. »Es wäre besser gewesen.«

»Es wäre besser gewesen, ich wäre nie zurückgekommen. Aber es gibt kein anderes Land und keine andere Stadt mehr für mich. Die Schweiz ist zu klein; überall sonst sind Faschisten.«

»Aber hier... die Polizei...«

»Die Polizei hat hier ebensoviel und ebensowenig Chance, mich zu erwischen, wie vorher. Das damals war ein unglücklicher Zufall. Man braucht darüber nicht mehr nachzudenken.«

Er griff nach einem Pack Zigaretten. Sie lagen auf dem Tisch neben dem Bett. Es war ein bequemer, mittelgroßer Tisch mit Büchern, Zigaretten und ein paar Sachen. Ravic haßte das, was als Nachttisch und Konsole mit falschem Marmor gewöhnlich neben Betten stand.

»Gib mir auch eine Zigarette«, sagte Joan.

»Willst du etwas trinken?« fragte er.

»Ja. Bleib liegen. Ich hole es schon.«

Sie holte die Flasche und füllte zwei Gläser. Sie gab ihm eines, nahm das andere und trank es aus. Während sie trank, fiel ihr der Mantel von den Schultern. Ravic erkannte in der heller werdenden Dämmerung jetzt das Kleid, das sie trug. Es war das, das er ihr für Antibes geschenkt hatte. Weshalb hatte sie es angezogen? Es war das einzige Kleid, das er ihr je gegeben hatte. Er hatte nie an so etwas gedacht. Er wollte auch nie an so etwas denken.

»Als ich dich sah, Ravic — plötzlich...«, sagte sie, »ich konnte nichts denken. Nichts. Und als du weggingst... ich dachte, ich würde dich nie wiedersehen. Ich dachte es nicht gleich. Ich wartete erst, daß du in die Cloche d’Or zurückkommen würdest. Ich glaubte, du müßtest zurück kommen. Warum bist du nicht zurückgekommen ?«

»Warum sollte ich zurückkommen?«

»Ich wäre mit dir gegangen.«

Er wußte, daß es nicht wahr war. Aber er wollte nicht darüber nachdenken. Er wollte plötzlich über nichts mehr nachdenken. Er hatte nicht geglaubt, daß es genug sein würde. Er wußte nicht, weshalb sie gekommen war und was sie wirklich wollte — aber es war auf eine sonderbare und tiefe und beruhigende Weise plötzlich genug, daß sie da war. Was ist das? dachte er. Ist es da schon? Jenseits der Kontrolle? Da, wo die Dunkelheit, der Aufruhr des Blutes, der Zwang der Phantasie und die Drohung beginnen?

»Ich dachte, du wolltest mich verlassen«, sagte Joan. »Du wolltest es auch! Sag die Wahrheit!«

Ravic antwortete nicht.

Sie sah ihn an. »Ich wußte es! Ich wußte es!« wiederholte sie mit tiefer Überzeugung.

»Gib mir noch einen Calvados.«

»Ist es Calvados?«

»Ja. Hast du es nicht gemerkt?«

»Nein.« Sie goß ein. Sie legte dabei einen Arm gegen seine Brust, während sie die Flasche hielt. Er spürte es bis in die Rippen. Sie nahm ihr Glas und trank. »Ja, es war Calvados.« Dann sah sie ihn wieder an. »Gut, daß ich gekommen bin. Ich wußte es. Gut, daß ich gekommen bin.«

Es wurde heller. Die Fensterläden beganen leise zu knarren. Der Morgenwind kam auf. »Ist es gut, daß ich gekommen bin?« fragte sie.

»Ich weiß es nicht, Joan.«

Sie beugte sich über ihn.

»Du weißt es, du mußt es wissen.«

Ihr Gesicht war so dicht über ihm, daß ihr Haar über seine Schultern fiel. Er blickte es an. Es war eine Landschaft, die er kannte, sehr fremd und sehr vertraut, immer dieselbe und nie gleich. Er sah, daß die Haut auf ihrer Stirn sich schälte. Er sah, daß das Rot des Lippenstift es bröcklig auf der Oberlippe lag, er sah, daß sie nicht ganz ordentlich geschminkt war — er sah das alles in dem Gesicht, das jetzt so dicht über dem seinen war, daß es die ganze übrige Welt für ihn verdeckte — er sah es und wußte, daß nur seine Phantasie es war, die es trotzdem geheimnisvoll machte; er wußte, daß es schönere Gesichter gab, klügere, reinere — aber er wußte auch, daß dieses eine Gesicht eine Gewalt über ihn besaß wie kein anderes. Und diese Gewalt hatte er ihm selbst gegeben.

»Ja«, sagte er. »Es ist gut. So oder so.«

»Ich hätte es nicht ertragen, Ravic.«

»Was?«

»Daß du fort gewesen wärest. Ganz fort.«

»Du sagtest doch, du hättest geglaubt, ich käme nie wieder?« »Das ist nicht dasselbe.Wenn du in einem andern Land gelebt hättest, das wäre anders gewesen. Wir wären nur getrennt gewesen. Ich hätte zu dir kommen können. Aber hier, in derselben Stadt... verstehst du das nicht?«

»Doch.«

Sie richtete sich auf und strich ihr Haar zurück. »Du kannst mich nicht allein lassen. Du bist verantwortlich für mich.«

»Bist du allein?«

»Du bist verantwortlich für mich«, sagte sie und lächelte.

Er haßte sie eine Sekunde — für das Lächeln und dafür, wie sie es sagte. »Rede keinen Unsinn, Joan.«

»Doch, du bist es. Von damals her. Ohne dich...«

»Schön. Ich bin auch verantwortlich für die Besetzung der Tschechoslowakei. Und nun hör auf damit. Es wird hell. Du mußt bald gehen.«

»Was?« Sie starrte ihn an. »Du willst nicht, daß ich hierbleibe?«

»Nein.«

»So...«, sagte sie leise und plötzlich sehr böse. »So ist das also! Du liebst mich nicht mehr!«

»Großer Gott«, sagte Ravic. »Auch das noch. Mit was für Idioten bist du in den letzten Monaten zusammen gewesen?«

»Das waren keine Idioten. Was sollte ich denn tun? Im Hotel Milan sitzen und die Wände anstarren und verrückt werden?«

Ravic richtete sich halb auf. »Nur keine Bekenntnisse«, sagte er. »Ich wollte keine Bekenntnisse. Ich hatte nur die Absicht, das Gesprächsniveau etwas zu heben.«

Sie starrte ihn an. Ihr Mund und ihre Augen waren flach. »Warum kritisierst du mich immer? Andere Menschen kritisieren mich nicht. Bei dir wird immer gleich alles zu einem Problem!«

»Richtig.« Ravic nahm einen Schluck Calvados und legte sich zurück.

»Es ist wahr«, sagte sie. »Man weiß nie, woran man mit dir ist. Du machst einen Dinge sagen, die man nicht sagen will. Und dann fällst du über einen her.«

Ravic holte tief Atem. Was hatte er da vorher nur gedacht? Dunkelheit der Liebe, Gewalt der Phantasie, wie rasch sich das korrigieren konnte! Sie taten es selbst, unaufhörlich selbst. Sie waren die eifrigsten Zerstörer der Träume. Aber was konnten sie schon dafür? Was konnten sie wirklich schon dafür — schöne, verlorene Getriebene — ein Riesenmagnet, irgendwo, tief unter der Erde — und darüber die bunten Figuren, die glaubten, einen eigenen Willen und ein eigenes Schicksal zu haben — was konnten sie schon dafür? War er selbst nicht einer davon? Mißtrauisch noch, sich festhaltend an einem bißchen mühsamer Vorsicht und etwas billigem Sarkasmus — und im Grunde schon wissend, was unvermeidlich geschehen würde?

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