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Als er den Wagen anließ, sah er Joan kommen. Er stieg aus. Sie kam rasch heran. »Wolltest du ohne mich nach Hause fahren?« fragte sie.

»Ich wollte eine Stunde durch die Berge fahren und zurückkommen.«

»Du lügst! Du wolltest nicht wiederkommen! Du wolltest mich hierlassen mit diesen Idioten!«

»Joan«, sagte Ravic. »Du wirst gleich behaupten, daß ich schuld bin, daß du mit diesen Idioten zusammen bist.«

»Das bist du auch! Ich bin doch nur aus Ärger ins Boot gegangen. Weshalb warst du nicht im Hotel, als ich zurückkam?«

»Du warst doch mit deinen Idioten zum Essen verabredet.« Sie stutzte eine Sekunde. »Das habe ich nur getan, weil du nicht da warst, als ich zurückkam.«

»Gut, Joan«, sagte Ravic. »Wir wollen nicht weiter darüber reden. Hast du Spaß gehabt?«

»Nein.«

Sie stand vor ihm, atmend, erregt, heftig, im blauen Dunkel der weichen Nacht; der Mond war in ihrem Haar, und ihre Lippen waren so dunkelrot in dem bleichen, kühnen Gesicht, als wären sie fast schwarz. Es war Februar 1939, und in Paris würde das Unabwendbare beginnen, langsam, kriechend, mit all den kleinen Lügen und Demütigungen und Zwisten; er wollte sie verlassen, bevor es kam, und noch waren sie hier, und es waren nicht mehr viele Tage.

»Wo willst du hinfahren?« fragte sie.

»Nirgendwohin. Nur so herum.«

»Ich fahre mit dir.«

»Was werden deine Idioten denken?«

»Nichts. Ich habe mich schon verabschiedet. Habe gesagt, daß du auf mich wartest.«

»Nicht schlecht«, sagte Ravic. »Du bist ein Kind mit Überlegung. Warte, bis ich das Verdeck zugemacht habe.«

»Laß es offen. Mein Mantel ist warm genug. Und laß uns langsam fahren. Vorbei an all den Cafés, in denen Leute sitzen, die nichts zu tun haben, als glücklich zu sein und keine Argumente zu haben.«

Sie glitt in den Sitz neben ihn und küßte ihn. »Ich bin zum erstenmal an der Riviera, Ravic«, sagte sie. »Habe Erbarmen! Ich bin zum erstenmal mit dir wirklich zusammen, und die Nächte sind nicht mehr kalt, und ich bin glücklich.«

Er fuhr den Wagen aus dem dichten Verkehr heraus, am Carlton Hotel vorbei und in die Richtung nach Juan les Pins. »Zum ersten Male«, wiederholte sie. »Zum ersten Male, Ravic. Und ich weiß alles, was du antworten könntest, und es hat nichts damit zu tun.« Sie lehnte sich an ihn und legte den Kopf an seine Schulter. »Vergiß, was heute war! Denk nicht einmal mehr darüber nach! Du fährst wunderbar Auto, weißt du das? Was du da eben gemacht hast, war großartig. Die Idioten haben es auch gesagt. Sie haben gestern gesehen, was du mit dem Wagen anstellen kannst. Du bist unheimlich. Du hast keine Vergangenheit. Man weiß nichts von dir. Ich weiß schon hundertmal mehr aus dem Leben der Idioten als aus deinem. Glaubst du, daß ich irgendwo einen Calvados bekommen kann? Nach all den Aufregungen heute nacht brauche ich einen. Es ist schwer, mit dir zu leben.«

Der Wagen fuhr die Straße entlang wie ein niedrig fliegender Vogel. »Ist das zu schnell?« fragte Ravic.

»Nein. Fahr schneller. So, daß es durch und durch geht wie der Wind durch einen Baum. Wie die Nacht saust. Ich bin durchlöchert von Liebe. Ich kann durch mich hindurchsehen vor Liebe. Ich liebe dich so, daß mein Herz sich ausbreitet wie eine Frau in einem Kornfeld vor einem Mann, der sie ansieht. Mein Herz will sich auf die Erde legen. Auf eine Wiese. Es will liegen und fliegen. Es ist verrückt. Es liebt dich, wenn du Auto fährst. Laß uns nie zurückgehen nach Paris. Laß uns einen Juwelenkoffer stehlen oder ein Bankdepot und diesen Wagen und nie wiederkommen.«

Ravic hielt vor einer kleinen Bar. Das Grollen des Motors schwieg, und weich und sehr weither kam plötzlich das tiefe Atemholen des Meeres. »Komm«, sagte er. »Hier gibt es deinen Calvados. Wieviel hast du schon gehabt?«

»Zuviel. Deinetwegen. Außerdem konnte ich auf einmal das Gerede der Idioten nicht mehr anhören.«

»Warum bist du dann nicht zu mir gekommen?«

»Ich bin zu dir gekommen.«

»Ja, als du dachtest, ich ginge fort. Hast du etwas zu essen gehabt?«

»Nicht viel. Ich bin hungrig. Hast du gewonnen?«

»Ja.«

»Dann laß uns ins teuerste Restaurant fahren und Kaviar essen und Champagner trinken und so sein wie unsere Eltern vor all diesen Kriegen, sorglos und sentimental und ohne Angst, hemmungslos und voll schlechten Geschmacks, mit Tränen, Mond, Oleander, Geigen, Meer und Liebe! Ich will glauben, daß wir Kinder haben werden und einen Park und ein Haus und du einen Paß und eine Zukunft, und ich habe eine große Karriere deinetwegen aufgegeben, und wir lieben uns noch nach zwanzig Jahren und sind eifersüchtig, und du findest immer noch, daß ich schön bin, und ich kann nicht schlafen, wenn du eine Nacht nicht im Hause bist und...«

Er sah die Tränen über ihr Gesicht strömen. Sie lächelte.

»Das gehört alles dazu, Liebster — alles zu dem schlechten Geschmack.«

»Komm«, sagte er. »Wir fahren zum Château Madrid. Das liegt in den Bergen, und da sind russische Zigeuner, und du sollst alles haben, was du willst.«

Es war früher Morgen. Das Meer tief unten war grau und ohne Wellen. Der Himmel hatte keine Wolken und keine Farbe. Am Horizont hob sich ein schmaler Silberstreifen aus dem Wasser. Es war so still, daß sie sich atmen hörten. Sie waren die letzten Gäste gewesen. Die Zigeuner waren vor ihnen in einem alten Ford die Serpentinen hinuntergefahren. Die Kellner in Citroëns. Der Koch zum Einkaufen in einem sechssitzigen Delahaye aus dem Jahre 1929.

»Das ist schon der Tag«, sagte Ravic. »Irgendwo auf der anderen Seite ist es jetzt immer noch Nacht. Einmal wird es Flugzeuge geben, mit denen man sie einholen kann. Sie werden so schnell sein, wie die Erde sich dreht. Wenn du mich dann um vier Uhr nachts liebst, können wir es für immer vier Uhr sein lassen; wir fliegen einfach mit der Zeit um die Erde, und die Stunde steht still.«

Joan lehnte sich an ihn. »Ich kann mir nicht helfen. Es ist schön! Es ist hinreißend schön. Du kannst lachen...«

»Es ist schön, Joan.«

Sie sah ihn an. »Wo ist das Flugzeug, von dem du sprachst? Wir werden alt sein, Liebster, wenn es erfunden wird. Und ich will nicht alt werden. Du?«

»Ja.«

»Wirklich?«

»So alt wie möglich.«

»Warum?«

»Ich will sehen, was aus diesem Planeten noch wird.«

»Ich will nicht alt werden.«

»Du wirst nicht alt werden. Das Leben wird über dein Gesicht hingehen, das wird alles sein, und es wird schöner werden. Alt ist man nur, wenn man nicht mehr fühlt.«

»Nein, wenn man nicht mehr liebt.«

Ravic antwortete nicht. Verlassen, dachte er. Dich verlassen! Was habe ich da vor ein paar Stunden in Cannes nur gedacht?

Sie rührte sich in seinem Arm. »Jetzt ist das Fest vorbei, und ich gehe nach Hause mit dir, und wir schlafen zusammen. Wie schön das alles ist! Wie schön ist es, wenn man ganz lebt und nicht nur mit einem Stück von sich. Wenn man voll ist bis zum Rande und still, weil es nichts mehr gibt, das hinein kann. Komm, laß uns nach Hause fahren, in unser geborgtes Zuhause, in dieses weiße Hotel, das aussieht wie ein Gartenhaus.«

Der Wagen glitt fast ohne Gas die Serpentinen hinunter. Es wurde langsam heller. Die Erde roch nach Tau. Ravic löschte die Scheinwerfer aus. Als sie Corniche passierten, kamen ihnen Wagen mit Blumen und Gemüse entgegen. Sie waren auf dem Wege nach Nizza. Später überholten sie eine Kompanie Spahis. Sie hörten die Pferde trappeln durch das Summen des Motors. Es klang hell und beinahe künstlich auf der Makadamstraße. Die Gesichter der Reiter waren dunkel unter den Burnussen.

Ravic sah Joan an. Sie lächelte ihm zu. Ihr Gesicht war blaß und verwacht und fragiler als sonst. Es schien ihm schöner als jemals vorher in seiner zärtlichen Müdigkeit, an diesem zauberhaften, dunkelstillen Morgen, vor dem das Gestern weit versunken war und der noch keine Stunde hatte; er schwebte und war noch ohne Zeit, voll Gelassenheit und ohne Furcht und Frage.

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