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»Hm, ja, sehr interessant«, sagte Schroeder mit desinteressierter Stimme. Er war nicht unhöflich, sondern er dachte nur praktisch. Ihm war klar, dass sie alles andere als sicher waren. Ihre Verfolger konnten ihnen dicht auf den Fersen sein. Er ließ den Blick über die Wand aus wuchtigen, geschwärzten Felsklötzen gleiten, die das natürliche Becken umrahmten, und schlug vor, den Rand des Beckens aufzusuchen und nach einem Weg hinaus Ausschau zu halten.

Karla trennte sich nur ungern von der Mammutherde, doch sie kletterte mit Schroeder auf einen Hügel am Rand des Feldes mit den mächtigen Felsbrocken. Teils waren sie so groß wie Autos, teils so groß wie Häuser. Stellenweise türmten sie sich zu fast dreißig Meter hohen Haufen auf. Einige der Felsbrocken waren so dicht zusammengefügt, dass man nicht einmal eine Messerklinge hätte dazwischenschieben können.

Es gab Öffnungen in der Felsmauer, doch die waren nur wenige Meter tief. Während sie an der undurchdringlich erscheinenden Mauer entlangwanderten, verließ Karla der Mut. Sie waren dem Feuer entkommen, nur um in einer riesigen Bratpfanne zu enden. Schroeder hingegen schien durch die frische Luft regelrecht wiederbelebt zu werden. Er ignorierte die Schmerzen in seinem Knöchel und suchte stattdessen mit aufmerksamen Blicken die Gesteinsmauer ab. Er verschwand in einem Spalt und stieß nach wenigen Minuten einen Freudenschrei aus.

Schroeder tauchte in der Spaltöffnung auf und verkündete, dass er einen Weg durch die Barriere gefunden hatte. Er ergriff Karlas Hand, als müsste er ein kleines Kind führen, und sie drangen ein in das Gewirr von Monolithen. Sie waren nur ein paar Schritte weit gekommen, als hinter einem alleinstehenden Felsklotz ein Mann hervortrat. Es war Grisha, der Anführer der mörderischen Elfenbeinjäger.

31

Austin blickte in die gähnende Caldera, während der Paraglider wie ein Kondor durch eine Lücke im Kraterrand rauschte. Der Weg, dem sie den Hang des Vulkans hinauf gefolgt waren, verlief durch den Einschnitt und senkte sich bis zur Mitte der Caldera ab, wo er vor einer nicht allzu hohen Klippe endete. Auf der gegenüberliegenden Seite des Kraters stürzte der Rand fast senkrecht zu einem Gesteinsfeld auf dem Grund der Schüssel ab. Eine nahezu kreisrunde Grünfläche war zwischen dem unteren Ende des Abhangs und dem Irrgarten aus geschwärzten Felsklötzen eingeklemmt.

Austin lenkte den Paraglider in einer gemütlichen Spirale in den Krater hinein und hielt dann Ausschau nach einem geeigneten Landeplatz.

»Was ist das denn da unten?« Zavala deutete auf den Fuß des Abhangs, wo der Weg endete. »Sieht aus wie eine Herde Kühe.«

Austin blinzelte durch die Gläser seiner Schutzbrille. »Viel zu pelzig für Kühe. Vielleicht sind es Yaks.«

»Nach allem, was wir durchgemacht haben, gibt’s noch nicht mal anständige Rindersteaks.«

Austin krümmte sich innerlich bei diesem Kalauer, aber seine Qualen waren nicht von langer Dauer. Zavala lenkte seine Aufmerksamkeit auf einen anderen Bereich der Grünfläche.

»Mich laust der Affe«, sagte Austin. »Menschen!«

Die Gruppe stand am Rand des Gesteinsfeldes. Während der Paraglider in den Sinkflug ging, beobachtete Austin, wie jemand eine andere Person zu Boden schlug. Eine dritte Gestalt wollte dem Gefallenen zu Hilfe eilen, wurde jedoch zurückgerissen. Der Paraglider war mittlerweile weit genug gesunken, so dass Austin hellblonde Haare erkennen konnte.

»Ich glaube, wir haben Karla Janos soeben gefunden«, sagte Austin.

Grishas Lippen waren zu einem Grinsen verzogen, das seine schlechten Zähne entblößte. Er sagte etwas auf Russisch, und seine mordlustigen Komplizen tauchten hinter den Felsen auf, hinter denen sie sich versteckt hatten.

Schroeder versuchte sofort, die Situation einzuschätzen. Während er und Karla auf einem Zickzack-Kurs die Stadt durchquert hatten, konnten Grisha und seine Männer auf dem Hauptboulevard geblieben sein und diesen Weg nach draußen durch Zufall gefunden haben.

Grisha gab seinen Gefangenen ein Zeichen, dass sie auf dem Weg zurückgehen sollten, auf dem sie hergekommen waren. Als die Russen und ihre Gefangenen das Felslabyrinth verließen, erblickte Grisha die Wollhaarmammuts.

»Was sind das denn?«, fragte er. »Schafe?«

»Nein«, erwiderte Schroeder. »Schmetterlinge.«

Er war auf Grishas brutale Reaktion nicht vorbereitet. Der Russe mochte es gar nicht, vor seinen Männern lächerlich gemacht zu werden. Er stieß ein raubtierhaftes Knurren aus, hob sein Gewehr wie einen Knüppel und schlug Schroeder den Lauf ins Gesicht. Während Schroeder zusammenbrach, war das Letzte, was er hörte, Karlas Schrei.

Zavala hatte das Drama unter ihnen genau verfolgt. »Es sieht so aus, als sei sie in schlechter Gesellschaft. Wie willst du die Sache angehen? Habicht auf Maus oder OK Corral?«

Zavala wollte von Austin wissen, ob sie sich möglichst unbemerkt anschleichen oder mit rauchenden Colts am Ort des Geschehens erscheinen sollten.

»Wie wäre es mit Butch Cassidy and the Sundance Kid?«

»Das ist mal was Neues, aber mir soll alles recht sein.«

»Dann reich mir deine Kanone und übernimm die Steuerung. Wir kommen von hinten. So scheint ihnen die Sonne in die Augen.«

»Wyatt Earp hätte einen dieser Apparate gegen die Clantons gut gebrauchen können.«

»Soweit ich mich erinnere, ist er auch ohne ganz gut zurechtgekommen.«

Zavala angelte die Heckler &Koch aus seinem Halfter, gab sie an Austin weiter und legte die Hände auf die Steuerung. Sie kamen schnell herunter. Austin nahm dabei mit einer Waffe in jeder Hand eine Pose wie ein Revolverheld ein.

Grisha hatte einen Arm um Karlas Hals gelegt und seine Hand in ihren Haaren vergraben. Seine andere Hand drückte auf ihr Gesicht, so dass sie kaum atmen konnte. Mit einer einzigen Drehung hätte er ihr das Genick brechen können. Er war wütend genug, sie zu töten, aber seine Habgier war stärker als sein Hang zur Gewalt. Sie war lebendig mehr wert als tot.

Das bedeutete aber nicht, dass er und seine Männer sich mit dieser schönen jungen Frau nicht noch ein wenig vergnügen könnten. Er nahm die Hand von ihrem Gesicht und zog den Reißverschluss ihrer Jacke auf. Enttäuscht über die verschiedenen Schichten warmer Kleidung darunter fluchte er und stieß sie zu Boden. Einer seiner Männer rief ihn.

Grisha bemerkte einen Schatten, der über den Erdboden huschte, und blickte hoch.

Sein Mund klappte vor Staunen auf.

Ein Mann mit zwei Köpfen stürzte sich vom Himmel herab auf ihn.

Als die Entfernung bis auf siebzig Meter geschrumpft war, begann Austin, aus beiden Pistolen zu feuern. Dabei zielte er zur Seite, damit er Karla nicht traf. Ihre Entführer rannten um ihr Leben.

Da Karla nun nicht mehr im Weg war, konnte Austin seine fliehenden Ziele anvisieren, allerdings war es nicht einfach, einen gezielten Schuss anzubringen, während er sich noch in der Luft befand. Zavala brüllte Austin zu, er solle sich schon mal auf die Landung vorbereiten. Daraufhin verstaute dieser eine Pistole in einem Halfter, die andere schob er sich in den Hosenbund.

Sie versuchten, auf den Füßen zu landen, aber sie waren zu schnell hereingekommen. Sie prallten auf dem Erdboden auf und rutschten ein Stück auf Händen und Knien. Glücklicher­weise federte die Vegetation den Aufprall ab. Schnell befreiten sie sich von dem Motor. Während Zavala die Leine zum Segel einrollte, ging Austin hinüber zu der blonden Frau, die neben einem älteren Mann kniete.

»Miss Janos?«, fragte Austin.

Sie schaute Austin mit ihren ausdrucksvollen grauen Augen an. »Wer sind Sie?«

»Kurt Austin. Mein Freund Joe und ich suchen schon länger nach Ihnen. Sind Sie okay?«

»Ja, ich schon«, antwortete sie. »Mein Onkel braucht Hilfe.«

Austin holte den Erste-Hilfe-Kasten aus seinem Rucksack. Der Mann war immer noch bei Bewusstsein. Er lag auf dem Rücken und hatte die Augen geöffnet. Er konnte zwischen fünfund­sechzig und fünfundsiebzig Jahre alt sein, aber es war schwer zu entscheiden, weil sein markantes Gesicht mit Blut bedeckt war, das aus Verletzungen der Stirn und der Wangen sickerte.

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