Er biss die Zähne zusammen. Eiserne Entschlossenheit trieb ihn an.
Egal was es kostete, er wusste, dass er sie aufsuchen musste, ehe sie es taten.
6
Der Eindringling glitt durch das dunkle Wasser und erzeugte eine Wolke von Luftblasen, die Fischschwärme durcheinander wirbelte wie Herbstlaub. Während das ein Meter fünfzig lange Torpedo durch die See flog, schleuderte der Wandler, der unter seiner stählernen Haut pulsierte, mit Höchstgeschwindigkeit Energiestöße zum Meeresgrund. Ein elektronisches Ohr fing die zurückgeworfenen Echos auf, und die vom sonaren Treidelfisch aufgesammelten Daten rasten mit Lichtgeschwindigkeit durch ein einige hundert Meter langes, abgeschirmtes faseroptisches Kabel. Das dicke Kabel schlängelte sich auf das Deck eines Schiffs mit türkisfarbenem Rumpf, das knapp vierhundert Kilometer östlich der Atlantikküste der Vereinigten Staaten eine schäumende Kiellinie in den Ozean pflügte.
Das Kabel endete im Beobachtungskontrollzentrum auf dem Hauptdeck des Schiffs. Austin saß vor einem matt leuchtenden Monitorschirm und analysierte die vom Sidescan-Sonar produzierten Bilder. Als revolutionäres Unterwasserforschungswerkzeug, erfunden von dem mittlerweile verstorbenen Dr. Harold Edgerton, gestattete das Sidescan-Sonar eine schnelle Abtastung weiter Flächen Meeresboden.
Ein dunkle vertikale Linie vom oberen zum unteren Rand des Monitorschirms zeigte den Weg des Forschungsschiffs. Breite farbige Streifen auf beiden Seiten der Linie symbolisierten die Bereiche an Backbord und Steuerbord, die von dem Sidescan-Sonar erfasst wurden. Auf der rechten Bildschirmseite waren die Uhrzeit und die aktuellen Navigationsangaben abzulesen.
Austin betrachtete konzentriert den Bildschirm, das Gesicht vom Widerschein seines Lichts bernsteinfarben schimmernd, achtete auf jede visuelle Nuance. Es war ein ermüdender Job, und er übte ihn bereits seit zwei Stunden aus. Er hatte für einen kurzen Moment den Blick vom Bildschirm gelöst und rieb sich die Augen, als Zavala und Adler hereinkamen. Zavala trug eine Thermoskanne und drei Tassen, die er aus der Messe geholt hatte, in der Hand.
»Kaffeepause«, verkündete er. Er füllte die Tassen und reichte sie herum.
Austin verbrannte sich an dem Kaffee die Lippen, doch er beklagte sich nicht und war stattdessen dankbar, dass der Schmerz ihn wieder hellwach werden ließ. »Danke für dieses Koffein-Doping«, sagte er. »Mir fielen schon langsam die Augen zu.«
»Ich kann gerne die nächste Schicht übernehmen«, bot Zavala sich an.
»Danke. Ich schalte den Scan einstweilen auf Autopilot und zeige dir und dem Professor, was wir getan haben.«
Austin justierte den Sonarmonitor, damit er sich sofort durch ein Summen bemerkbar machte, sobald er ein Objekt aufspürte, das länger war als zwanzig Meter, dann versammelten sich die drei Männer um einen Kartentisch.
»Wir veranstalten eine Suche auf mittlerer Distanz, um so viel Meeresboden wie möglich zu überprüfen, ohne zu ungenauen oder verfälschten Ergebnissen zu gelangen«, erklärte Austin. »Die Meerestiefe beträgt hier ungefähr hundertachtzig Meter. Wir haben zwanzig Kilometer große Quadrate entlang der wahrscheinlichen Route des vermissten Schiffs markiert.« Er fuhr mit dem Finger an der Begrenzungslinie eines Rechtecks entlang, das mit Fettstift auf ein transparentes Deckblatt gezeichnet worden war. »Das Suchschiff folgt in jedem Quadrat imaginären parallelen Linien wie jemand, der einen Rasen mäht. Wir haben dieses Quadrat zur Hälfte abgesucht. Wenn wir das Schiff nicht in diesem Sektor finden, setzen wir unsere Suche in einer Reihe einander überlappender Quadrate fort.«
»Seid ihr auf irgendetwas Interessantes gestoßen?«, fragte Zavala.
Austin verzog das Gesicht. »Keine Meerjungfrauen, wenn du das meinst. Jede Menge Schlamm mit harten Sedimentanteilen dazwischen, Gesteinsbrocken, kleine Vertiefungen, großräumige Senken, Fischschwärme und alles Mögliche, was man auf dem Meeresboden so finden kann. Allerdings keine Spur von unserem Schiff — oder von irgendeinem Schiff, was das betrifft.«
Adler schüttelte frustriert den Kopf. »Man sollte doch annehmen, dass es mit all diesen elektronischen Spielereien nicht allzu schwierig sein dürfte, ein Schiff aufzuspüren, das länger ist als zwei aneinandergelegte Fußballfelder.«
»Der Ozean ist riesengroß. Aber wenn überhaupt irgendein Schiff die Belle finden kann, dann ist es die Throckmorton«, versicherte Austin.
»Kurt hat Recht. Die Instrumente auf diesem Schiff können einem die Farbe der Augen eines Röhrenwurms in tausend Faden Tiefe verraten«, fügte Zavala hinzu.
Adler lachte verhalten. »Tiefseebiologie ist nicht gerade meine Disziplin, aber ich hatte nicht die geringste Ahnung, dass diese bemerkenswerten Lebewesen überhaupt Augen besitzen.«
»Joe übertreibt, aber nur ganz wenig«, erklärte Austin lächelnd. »Die Technik, die uns auf der Throckmorton zur Verfügung steht, kann als Bestätigung für all jene angesehen werden, die behaupten, dass Menschen den Grund des Ozeans unter die Lupe nehmen können, ohne sich auch nur nasse Füße zu holen. Anstatt eingezwängt in einem Tauchboot zu hocken, sitzen wir hier gemütlich bei einer Tasse Kaffee, während der Sidescan-Torpedo uns die Arbeit abnimmt.«
»Und was denken Sie, Kurt?«
Austin überlegte kurz. »Es steht außer Zweifel, dass jemand wie Joe einen Unterwasserroboter bauen kann, der darauf programmiert werden kann, alles auszuführen, außer einem die Tageszeitung und die Hausschuhe zu bringen.«
Als brillanter Mechaniker und Ingenieur hatte Zavala zahlreiche Unterwasserfahrzeuge, bemannte wie unbemannte, für die NUMA konstruiert und gebaut.
»Interessant, dass du ausgerechnet darauf zu sprechen kommst«, sagte Joe, »aber wie es der Zufall will, arbeite ich soeben an einem Modell, das genau das perfekt beherrscht und außerdem noch einen teuflisch guten Margarita mixt.«
»Womit Joe meine Behauptung nur bestätigt.« Austin deutete auf die Bildschirme, die die Wände der Beobachtungszentrale bildeten. »Aber was in der komfortablen Umgebung dieses Raums fehlt, ist der Hunger nach jenem Element, das die menschliche Rasse davor bewahrt, zu verkümmern wie eine unnütze Gliedmaße. Ich meine das Abenteuer.«
Adler lächelte. Er freute sich darüber, genau die richtige Entscheidung getroffen zu haben, als er sich mit der Bitte um Unterstützung an die NUMA gewandt hatte. Austin und Zavala waren offensichtlich hochintelligente Wissenschaftler, die über erhebliches Wissen auf den exotischsten Gebieten der Meeresforschung verfügten. Aber mit ihrer athletischen Erscheinung, ihrem skurrilen Humor und ihren gutgemeinten gegenseitigen Frotzeleien wirkten die beiden NUMA-Männer irgendwie anachronistisch. Sie kamen ihm eher wie unternehmungslustige Haudegen aus dem achtzehnten Jahrhundert vor und hatten mit den Meeresforschung betreibenden, verschroben pedantischen und eher wortkargen Akademikern, an die er gewöhnt war, herzlich wenig zu tun. Er hob seine Kaffeetasse zu einem Toast.
»Auf das Abenteuer«, sagte er.
Die anderen hoben ebenfalls ihre Tassen. »Vielleicht wird es Zeit, dass wir einen Wellenexperten ins Spezialteam holen«, sagte Austin.
Ein aufgeregtes Summen aus dem Lautsprecher des Sonarmonitors beendete Adlers belustigtes Lachen ziemlich abrupt.
Austin stellte seine Kaffeetasse beiseite und ging zum Sonarschirm. Er betrachtete ihn einige Sekunden lang. Dann verzog sein Mund sich zu einem breiten Grinsen, und er wandte sich an den Professor. »Sie sagten vorhin, dass Sie sich zuerst die Schäden auf der Southern Belle anschauen wollten, ehe Sie mit Ihren Theorien herausrücken.«
»Ja, das stimmt«, entgegnete Adler. »Ich hoffe doch sehr, dass ich irgendwie erfahre, weshalb genau die Belle untergegangen ist.«
Austin drehte den Schirm herum, so dass der Professor das Bild eines Schiffs erkennen konnte, das knapp dreihundert Meter unter ihnen auf dem Meeresgrund lag.