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»Los, Baby, du schaffst es …!«, brüllte Trout.

Gamay schickte ihm einen kurzen Blick, lächelte sogar über diese ungewöhnliche Demonstration aktiver Anteilnahme, ehe auch sie in die Anfeuerungsrufe einstimmte.

Das glatte Wasser hinter dem Schiff brodelte, als kochte es auf stärkster Flamme. Die Maschinen entfalteten ihre volle Kraft. Die Schrauben fraßen sich in die steile Innenwand des Trichters, das Schiff schob sich mühsam zum Rand hinauf, sackte zurück, schoss ein kurzes Stück hoch, wurde mit Gischt überschüttet, machte dann einen regelrechten Satz, der es schließlich über die Kante trug.

Diesmal verschwand das Schiff vollends. Die Trouts jubelten, doch ihre Freude wurde durch ihr eigenes Gefühl der Einsamkeit und Ohnmacht gegenüber den unaufhaltsamen Mächten der Natur gedämpft.

»Hast du irgendeine Idee, wie wir hier herauskommen sollen?«, rief Gamay.

»Vielleicht verläuft der Strudel sich von selbst.«

Gamay blickte nach unten. Während der paar Minuten, in denen sie den Kampf des Schiffs verfolgt hatten, war das Boot mindestens sieben weitere Meter abgesunken.

»Das glaube ich nicht.«

Das Wasser hatte seine Tintenfarbe verloren, und die glatten schwarzen Innenflächen des Trichters zeigten jetzt eine bräunliche Tönung, die dem Schlamm zu verdanken war, der vom Meeresgrund hochgespült wurde. Hunderte von toten und verendenden Fischen wirbelten auf einer riesigen Kreisbahn herum wie Konfetti in einem heftigen Sturm. Die feuchte Luft war durchsetzt mit dem Geruch von Salzwasser, Fischen und Meeresschlamm.

»Sieh doch den ganzen Abfall«, sagte Paul. »Er steigt vom Grund hoch.«

Trümmer wurden vom Meeresgrund auf ähnliche Art und Weise hochgesogen, wie ein Tornado Gegenstände erfasst und sie durch die Luft schleudert. Zu sehen waren zersplitterte Holzkisten, Sperrholztrümmer, Lukendeckel, Teile von Ventilatoren, sogar ein beschädigtes Rettungsboot. Vieles von dem Material sank gleich wieder zurück in den Wirbel, wo es genauso ausgespien und zerstört wurde, als befände es sich am Ende der Niagarafälle.

Gamay bemerkte, dass einige Stücke, und zwar vorwiegend kleine, zum Rand aufstiegen. »Wie wäre es, wenn wir ins Wasser springen würden?«, fragte sie. »Vielleicht sind wir leicht genug, genauso wie dieses Zeug nach oben zu steigen.«

»Darauf können wir uns nicht verlassen. Höchstwahrscheinlich werden wir tiefer in den Strudel gezogen, um ganz unten zu Hackfleisch verarbeitet zu werden. Vergiss nicht die wichtigste Regel aller Seefahrer: Bleibe stets bei deinem Boot — wenn irgend möglich.«

»Das ist vielleicht keine so gute Idee. Wir sind nämlich weiter gesunken.«

Es stimmte. Das Boot war tiefer in den Strudel gerutscht.

Ein zylindrisches Objekt wanderte langsam an der Innenwand des Strudels aufwärts. Dann folgten weitere.

»Was ist das?«, fragte Trout.

Gamay wischte sich die Gischt aus den Augen und schaute genauer hin. Dabei peilte sie einen Punkt etwa sieben Meter in Richtung des Bugs und etwas unterhalb des Bootes an. Ehe sie auf Meeresbiologie umgestiegen war, hatte sie als Unterwasserarchäologin gearbeitet. Daher erkannte sie sofort die spitz zulaufenden keramischen Gefäße mit ihrer graugrünen Oberfläche.

»Das sind Amphoren«, stellte sie fest. »Und sie wandern tatsächlich nach oben.«

Trout las die Gedanken seiner Frau. »Wir haben nur die Chance, es zu versuchen.«

»Unser Gewicht könnte sich auf den Auftrieb auswirken, aber wir haben nur eine einzige Chance.«

»Haben wir eine Wahl?«

Die drei antiken Weingefäße waren aufreizend nahe. Trout kroch zur Lenksäule und betätigte den Starterknopf. Der Motor sprang an. Das Boot bewegte sich in seiner grotesken Schieflage vorwärts, und er musste seine Neigung, seitlich auszubrechen, durch behutsame Lenkbewegungen kompensieren. Er wollte das Zodiac über die Amphoren bugsieren, um ihnen den Weg abzuschneiden.

Die erste Amphore begann, am Bug vorbeizutreiben. Noch eine Sekunde, und sie wäre außer Reichweite. Trout gab Gas, und das Boot erreichte eine Position oberhalb des Tongefäßes.

»Mach dich bereit!«, brüllte Trout. Der Sprung musste zeitlich und räumlich genau bemessen sein. »Das Ding ist sicherlich glitschig und wird sich drehen. Also sieh zu, dass du seine Henkel erwischst und dich mit Armen und Beinen daran festklammerst.«

Gamay nickte und kletterte in den Bug. »Was ist mit dir?«, fragte sie.

»Ich schnappe mir die nächste.«

»Es wird schwierig, das Boot in Position zu halten.« Sie wusste, dass ohne jemanden, der das Boot lenkte, Trouts Sprung um einiges gefährlicher wäre.

»Ich überleg mir was.«

»Den Teufel wirst du. Ich riskiere es nicht.«

Verdammt, war die Frau stur. »Das ist deine einzige Möglichkeit. Jemand muss sich zu Hause ums Tapezieren kümmern. Bitte!«

Gamay sah ihn beschwörend an, dann schüttelte sie den Kopf und kroch auf den Bugwulst. Sie zog die Beine an und machte sich bereit zum Sprung.

Sie wandte sich um und funkelte ihn wütend an. »Sag endlich, was du willst!«

Trout hatte etwas gesehen, das Gamay entgangen war. Die glatte Wasserwand des Strudels war über ihnen frei von jeglichem Müll. Die Wrackteile, die von dem Strudel aufgewirbelt worden waren, schienen eine unsichtbare Barriere erreicht zu haben, die sie auf ihrem Weg nach oben offenbar nicht überwinden konnten. Die Trümmer rutschten wieder genauso schnell in den Wirbel zurück, wie sie darin aufgestiegen waren.

»Sieh doch«, rief er, »das Treibgut wird wieder nach unten gezogen.«

In Sekundenschnelle erkannte Gamay, dass er Recht hatte. Die Amphore befand sich mit ihnen auf gleicher Höhe und stieg nicht weiter. Trout streckte die Hände aus und zog seine Frau zurück ins Boot. Sie hielten sich an den Sicherheitsleinen fest und konnten nicht mehr tun, als hilflos zuzuschauen, wie ihr Boot unaufhaltsam tiefer in den Abgrund glitt.

9

Das halbwegs runde Gebilde auf dem Computerbildschirm erinnerte Austin an die Membrane, das Zytoplasma und den Kern einer bösartigen Zelle.

Er wandte sich zu Adler um. »Mit was genau haben wir es hier zu tun, Professor?«

Der Wissenschaftler kratzte sich seinen zottigen Kopf.

»Fragen Sie mich was Leichteres, Kurt. Diese Erscheinung wächst stetig und bewegt sich mit dreißig Knoten im Kreis. Etwas annähernd Ähnliches, was Größe und Geschwindigkeit betrifft, habe ich noch nie gesehen.«

»Ich auch nicht«, sagte Austin. »Ich bin schon auf heftige Strudel gestoßen, die mir richtig Angst eingejagt haben. Aber sie waren vergleichsweise klein und kurzlebig. Dies hier scheint jedoch der Fantasie Edgar Allan Poes oder Jules Vernes entsprungen zu sein.«

»Die Wirbel in Ein Sturz in den Mahlstrom und Zwanzigtausend Meilen unter dem Meer sind größtenteils literarische Erfindungen. Poe und Verne wurden dabei vom Moskstraumen-Mahlstrom in der Nähe der Lofoten inspiriert. Der griechische Historiker Pytheas schrieb vor mehr als zweitausend Jahren darüber, er verschlinge ganze Schiffe und spucke sie wieder aus. Der schwedische Bischof Olaus Magnus berichtete um 1500, dass der Strudel stärker sei als die Charybdis in der Odyssee und dass der Mahlstrom Schiffe auf den Grund der See schleudere und Wale in sich hineinsauge.«

»Das alles ist doch reine Fiktion. Wie sieht die Realität aus?«

»Weitaus weniger beängstigend. Der norwegische Strudel wurde wissenschaftlich untersucht, und er kommt mit seinen Daten dem mächtigen Wirbel aus der Literatur in keiner Weise nahe. Drei andere bedeutende Strudel, der Corryvreckan in Schottland, der Saltstraumen ebenfalls vor Norwegen und der Naruto bei Japan sind weniger stark.« Er schüttelte den Kopf. »Schon seltsam, einem Strudel auf offenem Meer zu begegnen.«

»Warum?«

»Strudel oder Wirbel kommen gewöhnlich in engen Meeresarmen oder Durchlässen vor, wo man Wassermassen beobachten kann, die sich auffällig schnell bewegen. Durch das Zusammenwirken von Gezeiten und Strömungen sowie der jeweiligen Beschaffenheit des Meeresbodens können Störungen entstehen, die bis zur Wasseroberfläche hinaufreichen.«

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