»Ich weiß. Aber auf Ivory Island war es auch gefährlich.«
Austin zögerte.
»Außerdem«, sagte Karla, »was könnte denn noch riskanter sein, als mit Ihnen zusammen in einem Stanley Steamer unterwegs zu sein?«
Austin hätte Karla wahrscheinlich fesseln müssen, um sie davon abzuhalten, ins Flugzeug zu steigen. Er lächelte und erwiderte: »Im Augenblick sieht es so aus, als würde keiner von uns irgendwohin fliegen, wenn wir nicht sofort an unsere Arbeit zurückkehren.«
Sie schlang ihm die Arme um den Hals und drückte einen warmen Kuss auf seine Lippen. Austin schwor sich, den angenehmen Seiten des Lebens mehr Zeit zuzubilligen, wenn dieser Job erst einmal erledigt wäre.
Während sie zum Flugzeug gingen, näherte sich ein Wagen und blieb unweit der Maschine stehen. Eine hochgewachsene Gestalt stieg aus und humpelte auf sie zu. Es war Schroeder.
»Was machst du denn hier?«, fragte Karla.
»Ich möchte viel lieber wissen, wie Sie durch das Tor hereingekommen sind«, sagte Austin.
»Mit der üblichen Methode. Einer Kombination aus Dreistigkeit und falscher Identifikation.«
»Eigentlich solltest du in einem Krankenhausbett liegen«, schimpfte Karla.
»Ein Krankenhaus ist nicht dasselbe wie ein Gefängnis«, entgegnete Schroeder. »Sie lassen einen gehen, wenn man ein Papier unterschreibt. Meinst du, ich könnte im Bett liegen bleiben, genau wissend, dass du dies hier tust?« Er betrachtete staunend das Flugzeug im Lichtschein der hellen Lampen. »Genial. Glaubt ihr wirklich, ihr könntet die Verschiebung aus der Luft stoppen oder gar rückgängig machen?«
»Wir werden es immerhin versuchen«, sagte Karla.
»Wir? Du nimmst doch nicht etwa an dieser Mission teil, oder? Es könnte gefährlich werden.«
»Du klingst schon genauso wie Kurt. Ich erwidere dir das Gleiche, das ich ihm erwidert habe. Meine Familie ist für dieses Durcheinander verantwortlich. Daher fühle ich mich verpflichtet, dabei mitzuhelfen, alles wieder in Ordnung zu bringen.«
Schroeder lachte. »Du bist wirklich Lazios Enkelin, ohne den geringsten Zweifel. Stur bis zum Letzten, genauso wie er.« Er wandte sich an Austin. »Geben Sie gut auf sie Acht.«
»Das verspreche ich Ihnen«, sagte Austin.
Schroeder betrachtete die geschäftige Aktivität in und um das Flugzeug herum. »Wann denken Sie, dass Sie starten können?«
»Morgen früh«, antwortete Austin.
»Sie sehen hier einen alten Dinosaurier, der weiß, wann es mit ihm nicht mehr weitergeht«, sagte Schroeder. »Ich warte im Krankenhaus auf Ihren Anruf. Viel Glück.« Er umarmte Karla, schüttelte Austin die Hand und humpelte zurück zu seinem Wagen. Sie schauten dem Wagen nach, bis seine Rücklichter nicht mehr zu sehen waren, dann wandte Austin sich zu Karla um.
»Wir haben noch eine Menge Arbeit vor uns.«
Sie nickte. Arm in Arm nahmen sie Kurs auf das riesige Flugzeug.
Während Austins NUMA-Truppe das Letzte aus sich herausholte, um das Unmögliche zu schaffen, plagten Tris Margrave nicht die geringsten Zweifel am unmittelbar bevorstehenden Erfolg seines Projekts. Zweifel war für ihn ein Fremdwort, und niemals hätte er einer solchen Empfindung Zugang zu seinem Bewusstsein gestattet.
Während die Polar Adventure durch den Südatlantik stampfte, saß er in seinem bequemen, ergonomisch geformten Sessel hinter einer Kontrolltafel auf der vorderen Aussichtsplattform. Seine langen Finger spielten mit den Schaltern und Einstellrädern wie ein Organist in einer Kathedrale. Er hatte die Dynamos gestartet, sobald das Schiff den Hafen hinter sich gelassen hatte. Jeder Generator wurde auf dem Computerbildschirm durch ein rotes Symbol und eine Zahl vertreten, die anzeigte, dass er mit niedriger Leistung in Betrieb war.
Rote Linien verliefen von den Dynamos zum Bild eines Kegels. Der Kegel war grün bis auf seine rote Spitze, womit angedeutet wurde, dass nur geringe Energie in die riesige Spule tief im Innern des Schiffs floss. Margrave stellte es sich als Äquivalent eines Automotors im Leerlauf vor.
Auf einem anderen Bildschirm lieferte die Konsole ein Schnittdiagramm der Erde, das ihre verschiedenen Schichten zeigte. Spezielle Sensoren im Rumpf des Schiffs wären in der Lage, die Tiefenwirkung der elektromagnetischen Strahlung und die Intensität des Wellen-Effekts zu messen.
Gant hatte einen Rundgang durch das Schiff unternommen und mit seinen Sicherheitsleuten gesprochen. Perfektionist, der er war, wollte Gant auf Nummer sicher gehen, dass Margrave, sobald er seinen Nutzen erfüllt hatte, auch schnellstens eliminiert würde. Während er die Aussichtsplattform betrat, lächelte Gant und fragte: »Dauert es noch lange?«
Margrave warf einen Blick auf sein GPS-Gerät. »Gegen Morgen sind wir am Ziel. Dann wird es noch etwa eine Stunde dauern, um das Schiff in Position zu bringen und die Spule abzusetzen. Die See ist ruhig, also dürfte das nicht allzu viel Zeit in Anspruch nehmen.«
Gant ging zur Bar und schenkte zwei schlanke Gläser mit Champagner voll. Ein Glas reichte er Margrave.
»Ein Toast wäre jetzt angemessen.«
»Auf die Vernichtung der Eliten«, sagte Margrave. »Und auf eine neue Welt.«
Gant hob sein Glas. »Auf eine neue Weltordnung.«
41
Zavala verließ das Cockpit der 747 und ging nach hinten in die verkürzte Passagierkabine, wo Austin mit einem Laptopcomputer saß und arbeitete. Zavala lächelte, als hätte er soeben einen guten Witz gehört.
»Piloten sind manchmal seltsame Menschen«, sagte Zavala und schüttelte amüsiert den Kopf. »Die Cockpit-Crew würde sich freuen, wenn du ihr verraten würdest, wohin sie das Flugzeug fliegen soll.«
»Ich habe bald eine genaue Position«, erwiderte Austin. »Einstweilen kannst du ihnen mitteilen, sie sollen Kurs auf den mittleren Südatlantik nehmen.«
»Das engt das Ziel erheblich ein«, sagte Zavala.
»Das ist die Region, die wir beobachten.« Austin deutete auf den Computerbildschirm. »Dies ist das NASA-Diagramm mit den Daten, die vom ROSAT-Satelliten gesammelt wurden. Der Fleck dort, der sich von Brasilien bis nach Südafrika erstreckt, ist unser Jagdrevier — die sogenannte Südatlantische Anomalie.« Er drückte auf einige Tasten seines Keyboards und holte eine Ansammlung von Rechtecken heran.
»In diesem Bereich befindet sich das ausgeprägteste Loch in der Magnetosphäre.«
»Was bedeutet, dass dies der logische Punkt ist, um einen Polsprung einzuleiten«, sagte Zavala.
»Ja und nein. Dort ist der Punkt, den wir meiner Meinung nach aufsuchen sollten.« Er tippte an einer anderen Stelle auf den Bildschirm. »Dort ist die Erdkruste dünner, so dass dort die Kovacs-Wellen am tiefsten eindringen können.«
Zavala blies seine Wangen auf. »Das ist immer noch eine ganz schöne Menge Ozean, die abgesucht werden muss. Mindestens fünfhundert Quadratkilometer.«
»Es ist ein Anfang«, sagte Austin.
Er spitzte die Ohren, als aus dem Laderaum ein elektrisches Summen ertönte. Kurz darauf kamen Karla und Barrett durch die Tür. Karlas blonde Haare waren strähnig, und sie hatte dunkle Ränder unter den Augen. Barretts Gesicht und Hände waren mit Schmiere bedeckt.
Austin dachte, dass Karla sogar in ihrem derangierten Zustand selbst das verhätscheltste Spitzenmannequin mit ihrer eleganten Schönheit beschämen würde. Sie hob den Schraubenzieher in ihrer Hand wie die Freiheitsstatue ihre Fackel.
»Ta-ta!«, rief sie. »Zeit für Fanfaren und einen Trommelwirbel. Wir sind fertig.«
»Die Dynamos sind allesamt justiert und in Betrieb«, meldete Barrett.
Barrett hatte das letzte Kabel weniger als eine Stunde zuvor eingeholt, und das Flugzeug war bereits wenige Minuten nach Schließen der Tür in der Luft. Al Hibbet hatte mit trauriger Miene verfolgt, wie das Flugzeug startete. Er hätte so gerne an der Mission teilgenommen, doch Austin meinte, sie brauchten am Boden jemanden, der über jedes Detail der Mission informiert war. Nur für alle Fälle.