Das Summen wurde stetig lauter. Karla nahm die Glückwünsche, die folgten, dankbar entgegen, dann streckte sie sich auf einigen freien Sitzen aus und schlief auf der Stelle ein. Austin nahm Karla behutsam den Schraubenzieher aus der Hand und legte ihn auf den Sitz neben ihr.
»Danke«, sagte Barrett. »Und jetzt bitte ich Sie, mich zu entschuldigen.« Karlas Beispiel folgend, gähnte er ausgiebig und suchte sich eine freie Sitzreihe, auf der er sich ebenfalls langmachte und sofort einschlief.
Austin hielt Längen- und Breitengrad der Position auf seinem Computer fest, dann ging er nach vorne zum Cockpit, um dem Navigator der Maschine die Koordinaten zu geben. Er fragte, wie lange es dauern würde, bis sie am Ziel einträfen, und erhielt eine Zeitspanne von etwa zwei Stunden. Austin blickte aus dem Cockpitfenster auf eine Schicht watteartiger Wolken, die sich unter ihm erstreckte, so weit das Auge reichte.
Die Crew bestand ausschließlich aus Freiwilligen, die sich zweifelsfrei darüber im Klaren waren, dass sie an einer gefährlichen Mission teilnahmen. Während der Navigator einen Flugplan erstellte, kehrten Austin und Zavala in die Passagierkabine zurück.
»Nach dem, was du im Cockpit gesagt hast, kommen wir etwa zur gleichen Zeit am Ziel an wie das Schiff«, sagte Zavala.
»Es wird zeitlich sogar noch knapper. Wir befinden uns in derselben Gegend. Wenn wir dort eintreffen, müssen wir sofort mit einem Suchschema beginnen. Und ich weiß nicht, wie lange es dauern wird, bis wir das Transmitter-Schiff aufspüren.«
»Jede Verzögerung könnte sich als verhängnisvoll erweisen. Und die niedrige Wolkendecke ist auch keine Hilfe.«
»Darüber habe ich mir schon meine Gedanken gemacht. Die Trouts haben berichtet, dass sie in den Minuten, bevor ihr Boot in den Strudel gerissen wurde, am Himmel eine Menge elektrische Aktivität beobachtet haben.«
»Das stimmt. Und Al erzählte, es hätten die reinsten Himmelsfeuerwerke stattgefunden, als die Vereinigten Staaten und die Russen mit elektromagnetischen Waffen auf Basis der Kovacs-Theoreme herumgespielt haben.«
»Dann gibt es jeden Grund anzunehmen, dass wir das gleiche Phänomen beobachten werden, sobald Margrave und Gant ihren Zapper anwerfen. Ich glaube, wir sollten eher den Himmel beobachten als das Meer. Die Wolken könnten uns unter Umständen sogar helfen, das Schiff zu finden.«
»Hervorragend! Ich werde den Leuten im Cockpit sagen, dass sie nach einem Feuerwerk Ausschau halten sollen.«
Nur widerstrebend weckte Austin Karla und Barrett. Er ließ ihnen ein paar Minuten Zeit, um sich den Schlaf aus den Augen zu reiben. Während das Flugzeug der Südatlantischen Anomalie entgegenraste, brachte er sie auf den aktuellen Stand. Sie kamen überein, sich aufzuteilen, wenn es Zeit wurde, wobei Karla auf der einen Seite des Flugzeugs Posten beziehen würde und Barrett auf der anderen. Austin würde zwischen hinten und vorne hin und her pendeln und als Verbindungsmann zu Zavala fungieren, der im Cockpit sitzen und die Augen offen halten würde.
Zavalas Stimme drang aus den Lautsprechern. Er teilte ihnen mit, dass das Flugzeug die äußere Grenze des Suchgebiets in etwa einer Viertelstunde überfliegen werde. Austin konnte die wachsende Spannung in der Kabine fast körperlich spüren. Die Atmosphäre wurde noch dichter, noch bedrückender, als Zavala meldete, dass sie sich in der heißen Zone befanden. Sie nahmen ihre Positionen an den Fenstern des Jumbo-Jets ein. Zehn Minuten verstrichen, dann zwanzig. Austin ging in der geräumigen Kabine auf und ab und sprach den Leuten Mut zu. Es war nur schwer zu glauben, dass sich unter der dicken Wolkenschicht ein unendlicher Ozean erstreckte.
Austin hatte vorgeschlagen, dass das Flugzeug eine Reihe von parallel verlaufenden Bahnen über dem Suchgebiet abfliegen sollte. Es war das gleiche Rasenmähermuster, das Austin bei der Suche nach einem verschollenen Schiff benutzt hätte, und bot den Vorteil, innerhalb einer verhältnismäßig kurzen Zeit eine viele Quadratkilometer große Fläche abzudecken. Sie hatten eine Bahn hinter sich, dann eine zweite und befanden sich gerade auf der dritten, als Austin sich zu fragen begann, ob er einen Fehler gemacht hatte. Alle paar Sekunden schaute er auf seine Uhr.
Das Flugzeug hatte sich soeben in die Kurve gelegt, um die nächste Bahn zu beginnen, als Karla sich meldete. »Ich sehe etwas. Bei drei Uhr.«
Austin und Barrett eilten durch die Kabine auf die andere Seite des Flugzeugs und blickten durch die Fenster. Die Sonne stand tief am Himmel, und ihre Strahlen zauberten blaue Schatten auf die Wolkendecke. Aber auf der rechten Seite pulsierte am Himmel ein weißes Leuchten, das dem Lichtschimmer ähnelte, den ein Gewitter gewöhnlich zwischen den Wolken erzeugt. Austin ergriff das Mikrofon, das mit dem Cockpit verbunden war. Zavala bestätigte über die Lautsprecher, dass er ebenfalls das Leuchten in den Wolken beobachtet habe.
Das Flugzeug beschrieb eine enge Kurve und begann, ähnlich einer Motte, die von einer Flamme angelockt wird, den langen Sinkflug in Richtung des Lichts, das in der Ferne waberte wie ein riesiger Hexenkessel.
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Aufgrund der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit hatte man sich, was die Gestaltung und Installation der Kontrolltafel betraf, für größtmögliche Einfachheit entscheiden müssen. So kam es, dass die Konsole nicht mehr war als ein flaches Brett, das auf hüfthohen Stützen ruhte. Die Anordnung war bewusst unkompliziert gehalten worden und bestand im Grunde nur aus einem Hauptschalter, der den Energiefluss zu allen Dynamos kontrollierte. Verschiedene Einstellräder und Anzeigeinstrumente überwachten verschiedene andere Bereiche des Betriebssystems.
Zavalas Stimme drang aus den Lautsprechern. »Wir tauchen in die Wolken ein.«
Austin spürte ein Kribbeln auf seiner Kopfhaut, und seine Haare stellten sich auf, und zwar nicht aus Angst, sondern aufgrund der elektrischen Ladung, die plötzlich die Luft erfüllte. Karlas lange Locken standen von ihrem Kopf ab wie bei Frankensteins Braut. Sie versuchte, ihre Haare mit den Händen zu glätten, hatte damit aber nur begrenzten Erfolg. Mit seinem rasierten Schädel hatte Barrett keine derartigen Probleme, obgleich seine Spinnentätowierung plötzlich eine Gänsehaut aufwies.
Die elektrische Show begann jedoch erst. Jede Oberfläche im Frachtabteil begann, bläulich zu leuchten, ähnlich dem St-Elmo-Feuer, das Seeleute immer in der Takelage ihrer Segelschiffe hatten tanzen sehen. Die Innenbeleuchtung des Flugzeugs ging ständig an und aus, als ob ein Kind am Schalter herumspielte. Dann erlosch die Beleuchtung vollständig.
Stroboskopartige Blitze draußen erhellten die Fensterreihen und ließen die verwirrten Gesichter im Frachtraum erscheinen wie Tänzer in einer Diskothek. Das Flugzeug schien sich im Zentrum eines Blitzgewitters zu befinden. Aber es gab keinen Donner, sondern da war nur das gedämpfte Dröhnen der Jetmotoren. Die relative Stille steigerte das Unheimliche der Szene noch um einiges.
Das Intercom musste von einem separaten Stromkreis gespeist werden, denn Zavalas Stimme drang abermals krächzend aus den Lautsprechern. Seine Botschaft war kurz und unmissverständlich.
»Soeben haben sich die Cockpitinstrumente verabschiedet.«
Eine Sekunde später hatte er eine Meldung zu machen, die noch erschreckender war. »Verdammt, die Kontrollen sind ebenfalls ausgefallen.«
Austin wusste, dass ein Flugzeug von der Größe einer 747 sofort in den Sturzflug gehen würde, aber es war nicht dafür gebaut, um auf Aufwinden aufzusteigen und zu gleiten wie ein Segelflugzeug. Sobald ein Pilot feststellte, dass er auf sich allein gestellt war, würde er ins Trudeln verfallen, so dass die Tragflächen abrissen. Austin legte schützend einen Arm um Karlas Schultern.
Irgendetwas geschah im Frachtraum. Das elektrische Spektakel verlor an Leuchtkraft. Das kalte Feuer, das über die Wände und die Decke waberte, schien zu ersterben. Dunkle Flecken erschienen im matten Schimmern und dämpften das geisterhafte blaue Licht. Ein letztes helles Aufblühen. Dann ging die Innenbeleuchtung wieder an.