Eine Sekunde später drang aus den Lautsprechern Zavalas sehnsüchtig erwartete Mitteilung: »Die Instrumente und die Kontrollen funktionieren wieder«, berichtete er.
Austin nahm den Arm von Karlas Schultern und ging zur Kontrolltafel, um ihre Funktionsfähigkeit zu überprüfen. Er machte sich Sorgen, dass die hohe statische Elektrizität, die eine derart dramatische Lightshow ausgelöst hatte, vielleicht den ein oder anderen Schalter verbrannt hatte. Zu seiner Erleichterung war jedoch alles in Ordnung.
Eine Veränderung des Lichts, das durch das Fenster hereindrang, veranlasste Karla, ihren Platz zu verlassen und nach der Ursache zu forschen. Sie presste die Nase gegen die Plexiglasscheibe und rief die anderen zu sich herüber. Austin blickte hinaus und stellte fest, dass sie die Wolkendecke durchstoßen hatten. Durch den dünnen Schleier niedrig hängender Wolkenfetzen war das blaue Meer zu erkennen. Ein grelles Flackern von oben erregte seine Aufmerksamkeit. Anstelle der Unterseite der Wolkendecke sah er eine Aurora aus wirbelnden weißen, blauen und roten Farbwolken, die einen leuchtenden Baldachin bildeten. Der ganze Himmel schien in Flammen zu stehen. Es war, als entluden sich hundert Gewitter in gleichzeitigen Blitzen.
Das Flugzeug hatte die elektrische Barriere in einem Stück überwunden, aber sie waren noch nicht aus dem Gröbsten heraus. Obgleich die elektrischen Attacken nachließen, wurde die Maschine, je tiefer sie unter die Wolkendecke sank, von heftigen Turbulenzen hin und her gestoßen. Aus allen Richtungen prügelten mächtige Windstöße auf die 747 ein. Trotz ihrer enormen Dimensionen tanzte und bockte die Maschine wie ein Drachen an seiner Schnur.
Die Windstöße sollten sie offenbar nur mürbe machen. Wie ein Boxer in den Seilen musste das Flugzeug eine Serie von wuchtigen frontalen Windschlägen hinnehmen. Der Frachtraum hallte von einem lauten Dröhnen wider, während die Winde die Maschine attackierten, so dass die Insassen sich vorkamen wie in einem Fahrzeug, das mit hoher Geschwindigkeit über eine von Schlaglöchern übersäte Piste raste. Als es schien, als würde der nächste Ansturm jede Niete in der Struktur des Flugzeugs sprengen, ließ die Heftigkeit der Schläge nach, und sie wurden deutlich seltener. Dann kamen die Turbulenzen vollständig zur Ruhe.
»Seid ihr da hinten okay?«, erkundigte Zavala sich.
»Uns geht es gut, aber du wirst einen ganzen Satz neuer Stoßdämpfer brauchen.«
»Ich brauche eher einen Satz neuer Zähne«, sagte Zavala.
»Bestell dem Piloten, das war eine Glanzleistung. Sind die Tragflächen noch dran?«
»Er bedankt sich und fragt, wer schon Tragflächen braucht.«
»Das ist beruhigend. Kannst du das Schiff sehen?«
»Noch nicht. Es sind immer noch ein paar Wolken dazwischen.« Eine kurze Pause trat ein, und als Zavala sich wieder meldete, konnte Austin deutlich die Erregung in seiner Stimme hören. »Sieh mal nach backbord, Kurt. Etwa bei neun Uhr.«
Austin beugte sich zum Fenster und erkannte unter sich den Passagierdampfer. Er kam ihm vor wie ein Spielzeugboot auf einem Ozean. Von einer Kiellinie oder einer Bugwelle war nichts zu sehen, was bestätigte, was Austin aus den Turbulenzen und der Lightshow schloss, die das Flugzeug soeben überstanden hatte. Das Schiff war vor Anker gegangen, und die elektromagnetische Attacke hatte begonnen.
Das Schiff war von einem Ring von Wellen umgeben, die sich von dem Schiff wegbewegten. Obgleich die Größe der Wellen schwer zu beurteilen war, verrieten ihre Schaumkämme, die aus ihrer Flughöhe deutlich zu erkennen waren, dass die Seen monströse Ausmaße haben mussten.
Austin wies den Piloten über Intercom an, in zehntausend Fuß Höhe zu bleiben, das Schiff zu umkreisen und mit jeder Runde um tausend Fuß tiefer zu gehen. Er gab Barrett, der an der Kontrolltafel stand, ein Zeichen und sagte ihm, er solle sich bereithalten. Der Wissenschaftler nickte und steigerte die Energiezufuhr zu den Dynamos. Ein elektrisches Summen wie von tausend Bienenstöcken erfüllte das Innere der Maschine.
Etwas brannte. Austin warf einen Blick in den Frachtraum und bemerkte eine Rauchwolke und einen Funkenregen bei einem der Dynamos. Er rief Barrett zu, die Energiezufuhr zu stoppen, und rannte, mit Karla im Schlepptau, durch den Frachtraum.
Barrett hatte längst die Anzeige entdeckt, die auf das Problem hinwies, und den entsprechenden Schalter sofort umgelegt. Austin stellte fest, dass die Funkenquelle eine Leitung zu einem der Dynamos war. Die Verbindung hatte sich gelockert, als das Flugzeug von den Windstößen hin und her geworfen wurde.
Er untersuchte die Verbindung auf irgendwelche Schäden, fand nichts dergleichen und schloss die Verbindung wieder. Dann winkte er Barrett zu, die Energiezufuhr erneut hochzufahren. Das Bienengesumm setzte wieder ein und steigerte sich zu einem Heulen, das sogar das Dröhnen der Jetturbinen übertönte. Karla stand mittlerweile neben Barrett vor der Kontrolltafel. Austin hielt sich währenddessen in der Nähe des Intercoms auf, um mit dem Cockpit in ständiger Verbindung bleiben zu können.
»Wie sieht es aus?«, wollte Austin wissen.
Barrett überflog die Kontrolltafel und grinste. »Alles im grünen Bereich.«
Austin stieß den Daumen nach oben und meldete sich bei Zavala. »Wie ist die Flughöhe?«
»Achttausend Fuß.«
»Gut. Bringt sie auf viertausend runter, und dann überfliegt das Schiff. Gib mir Bescheid, wenn wir uns dem Ziel nähern.«
»Aye, aye, Sir.«
Während das Flugzeug sank, musste der Pilot eine Reihe unerwarteter Turbulenzen abfangen. Er brachte mit einigen geschickten Manövern die Maschine wieder auf Kurs. Gleichzeitig meldete Zavala, dass das Schiff direkt voraus lag.
Austin rief Barrett zu, auf volle Leistung zu gehen. Er zögerte mit der Hand über dem Energieschalter, und für einen kurzen Moment glaubte Austin, er habe ihn nicht verstanden. Dann trat Barrett beiseite und legte Karlas Hand auf den Schalter.
»Dies zu Ehren Ihres Großvaters.«
Karla quittierte die Geste mit einem breiten Grinsen und legte den Schalter um. Strom floss in die Antenne, wo er in Impulse elektromagnetischer Energie umgewandelt wurde. Austin hatte keinerlei Richtwerte oder Erfahrungen, an denen er sich hätte orientieren können, daher erzeugte er einen Teppich aus Energiestößen in ähnlicher Weise, wie ein U-Boot-Jäger im Ozean ein Streufeuer aus Wasserbomben ausbringt.
Wenig später befanden sie sich über dem Schiff. Austin wies den Piloten an, das Manöver zu wiederholen und diesmal aus einem anderen Winkel anzufliegen. Die 747 war nicht für Tiefflugangriffe gebaut und schien eine halbe Ewigkeit zu brauchen, um eine weite Kurve zu fliegen und die nächste Serie von Impulsen abzufeuern.
Abermals meldete Zavala die Annäherung ans Ziel. Und abermals betätigte Karla den Energieschalter.
Ein weiterer Überflug, und eine weitere Serie elektromagnetischer Impulse deckte das Schiff und den Ozean in seiner direkten Umgebung ein.
»Wie lange müssen wir so verfahren?«, wollte Zavala wissen.
»Bis uns der Sprit ausgeht, und noch etwas länger«, erwiderte Austin mit einem Ausdruck stählerner Entschlossenheit in der Stimme.
Auf der Aussichtsplattform der Polar Adventure herrschte euphorische Stimmung.
Margrave und Gant blickten nach oben durch das Glasdach, und ihre Gesichter waren in das pulsierende, vielfarbige Licht der Aurora hoch über dem Schiff gebadet. Margraves seltsame Physiognomie hatte nie satanischer ausgesehen.
»Fantastisch!«, murmelte Gant in einem seltenen Gefühlsausbruch.
Margrave stand hinter der Steuerkonsole. Er hatte die Dynamos nach und nach auf volle Leistung beschleunigt, und die Konsole leuchtete und blinkte wie ein Flipperautomat.
»Die Aurora zeigt an, dass wir den kritischen Punkt erreicht haben«, erklärte er. »Die elektromagnetischen Wellen sind in den Meeresboden eingedrungen. Sie verändern den elektromagnetischen Fluss und verschieben den Pol. Achten Sie auf den Kompass und den entscheidenden Sprung.«