»Der Verlust Ihres Schiffs dürfte das Projekt gestoppt haben«, sagte Austin.
»Sein Fortgang wurde nur verzögert. Wir hatten ein Schiff in Reserve. Es wird soeben für den großen Knall in Position gebracht.«
»Und wo wird der stattfinden?«
»Das hat Tris mir nicht verraten. Es gab eine ganze Reihe möglicher Orte. Die letzte Entscheidung trifft er alleine.«
»Wie sind Sie nur in diesen ganzen Wahnsinn hineingeraten?«
»Auf ziemlich unspektakuläre Weise, wie man eben in so etwas hineingerät. Es begann damit, dass ich Tris auf die Kovacs-Theoreme aufmerksam machte. Ich dachte, wir könnten daraus einen Vorteil für unsere Firma ziehen, aber er sah darin sofort eine Möglichkeit, seinem anarchistischen Anliegen Nachdruck zu verleihen. Er bat mich, ein System zu entwickeln, mit dem sich eine vorübergehende magnetische Verschiebung erzielen ließe. Ich betrachtete das Ganze als rein technische Herausforderung. Indem ich Kovacs’ Arbeiten als Grundlage benutzte, füllte ich die offenen Lücken.«
»Erzählen Sie mal von dem Anschlag auf Sie.«
Barrett betastete behutsam die Seite seines Kopfes. »Ich besuchte Tris auf seiner Insel in Maine. Mickey Doyle, der Tris’ Privatmaschine lenkt, hat versucht, mich umzubringen. Er täuschte einen Motorschaden vor und landete auf einem See. Seine Kugel streifte meinen Kopf, ich verlor eine Menge Blut. Gerettet wurde ich von zwei Anglern aus Boston. Einer von ihnen war zufälligerweise Arzt. Ich nannte ihm einen falschen Namen und haute ab, sobald sich die Gelegenheit ergab. Deshalb diese Rasta-Nummer. Ich will nicht, dass irgendjemand erfährt, dass ich noch am Leben bin, sonst bin ich nämlich wirklich tot.«
»Meinen Sie, dass Doyle auf Befehl Margraves handelte?«
»Ich glaube nicht, dass Tris dahintersteckte. Er wurde mir immer unheimlicher. Er ist größenwahnsinnig geworden. Er hat mittlerweile seine eigene Armee angeheuert, Typen, von denen er behauptet, sie seien nur für seine Sicherheit zuständig. Aber als ich Tris nach dem Untergang der Belle und nach dem Vorfall mit den Orcas mitteilte, ich wolle aus dem Projekt aussteigen, sagte er, er werde das Ganze auf Eis legen, bis ich Gelegenheit gehabt hätte, einiges neues Material zu sichten, auf das er gestoßen sei. Kurz bevor er auf mich schoss, fragte ich Mickey, ob Tris ihm den Auftrag gegeben hätte. Er antwortete, er arbeite für jemand anderen. Ich glaube nicht, dass er gelogen hat.«
»Daraus ergibt sich eine zwingende Frage. Wer könnte den Wunsch haben, Sie auszuschalten?«
»Mickey versuchte, mich davor zu warnen, mit meinem Wissen an die Öffentlichkeit zu gehen. Als ich mich weigerte, wollte er mich töten. Wer immer es war oder ist, für den er arbeitet, will nicht, dass das Projekt gestoppt wird.«
»Würde das Projekt denn nicht sowieso scheitern, wenn Sie tot sind?«
»Jetzt nicht mehr«, meinte Barrett mit einem traurigen Lächeln. »So wie ich die Sache vorbereitet habe, kann Tris mit einem Minimum an Personal und technischer Ausrüstung die Schiffe in Position bringen und ihre Energie freisetzen.«
»Wer sonst hätte ein Interesse daran, dass der Plan Erfolg hat?«
»Es gibt eigentlich nur einen, von dem ich weiß, dass er über alles informiert ist. Jordan Gant. Er leitet Global Interests Network, kurz GIN. Es ist eine Stiftung in Washington, die in etwa die gleichen Interessen wie Lucifer verfolgt, nämlich den Kampf gegen den Missbrauch von industrieller Macht. Gegen Zollvereinbarungen, die der Umwelt schaden. Gegen Waffenverkäufe an unterentwickelte Länder. Tris sagt, Gants Stiftung gleiche der Sinn Fein, dem politischen Flügel der Irish Republican Party. Sie halten sich im Hintergrund und machen sich die Hände nicht schmutzig, mehr oder weniger, während die IRA die Geheimorganisation ist, die Gewalt einsetzt.«
»Demnach wäre eine Bedrohung von Tris’ Projekt auch eine Gefährdung der Ziele Gants.«
»Das wäre eine logische Schlussfolgerung.«
»Woher kommt Gant?«
»Er ist eine Art Renegat der Wirtschaftswelt. Er hat für die gleichen Gruppen gearbeitet, denen wir den Kampf erklärt haben, ehe er erleuchtet wurde. Er ist im Wesentlichen nur ein Aushängeschild. Redet wie gedruckt. Hat einen schmierigen Charme. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass er hinter einem Mordplan steckt, aber man weiß ja nie.«
»Es ist eine Spur, die zu verfolgen sich auf jeden Fall lohnt. Sie sagten vorhin, Margrave habe Ihnen Material übergeben, von dem er hofft, dass es Sie umstimmt.«
»Er sagte, dass Kovacs eine Möglichkeit entdeckt habe, die Polumkehr zu stoppen, selbst wenn der Prozess schon begonnen hätte. Ich sagte, ich würde nicht aussteigen, wenn er mir einen funktionierenden Alarmplan vorlegen könne.«
»Wo würde er so etwas suchen?«
»Es gibt Hinweise, dass Kovacs den Krieg überlebt hat und in die USA ausgewandert ist, wo er erneut heiratete. Ich glaube, seine Enkelin weiß etwas darüber, wie man die Polumkehr aufhält, wenn nicht gar rückgängig macht. Sie heißt Karla Janos.«
»Weiß Gant das?«
»Das wird er wohl, wenn wir bei Doyle richtig liegen.«
Austin überlegte, welche Folgerungen sich daraus ergeben könnten. »Ms. Janos könnte zur wandelnden Zielscheibe werden. Sie sollte erfahren, dass man es auf sie abgesehen hat. Wissen Sie, wo sie wohnt?«
»In Alaska. Sie arbeitet an der Universität von Alaska in Fairbanks. Aber Tris meinte, sie befände sich auf einer Expedition in Sibirien. Dort friert sie vielleicht, aber sie dürfte einigermaßen sicher sein.«
»Nach dem, was Sie mir erzählten, haben Margrave und Gant einen langen Arm.«
»Das stimmt. Was sollen wir tun?«
»Wir müssen sie warnen. Für Sie dürfte es am sichersten sein, wenn Sie ›tot‹ bleiben. Wissen Sie, wo Sie sich verkriechen können? Haben Sie eine Bleibe, von der Margrave und Gant nichts wissen?«
»Ich habe einen Schlafsack auf meiner Harley und die Taschen voller Bargeld, so dass ich keine Kreditkarte benutzen muss, die man zurückverfolgen könnte. Meine Anrufe per Mobiltelefon laufen über mehrere Stationen, so dass es praktisch unmöglich ist, mir auf die Spur zu kommen.« Er holte den kleinen Kasten wieder aus der Tasche. »Ich habe dieses Ding zum Spaß gebaut. Damit kann ich Telefonanrufe bis zum Mond umleiten, wenn ich will.«
»Ich empfehle Ihnen, ständig in Bewegung zu bleiben. Rufen Sie mich morgen um diese Uhrzeit an, und wir werden bis dahin einen Plan haben.«
Sie schüttelten sich die Hände und kehrten anschließend zu ihren Booten zurück. Austin winkte zum Abschied und ging dann bei seinem Haus an Land, während Barrett sein Skiff zur Bootsvermietung zurückruderte, die sich knapp einen Kilometer entfernt am Fluss befand. Austin verstaute sein Boot im Bootshaus. In den wenigen Sekunden, die er brauchte, um über die Treppe in sein Wohnzimmer zu gelangen, legte er sich einen Plan zurecht.
21
Zehntausend Jahre, nachdem die letzten Wollhaarmammuts die Erde unter ihrem Gewicht erbeben ließen, liefern ihre Knochen und Zähne den Treibstoff für einen blühenden internationalen Handel. Das Zentrum für diesen Handel ist die Stadt Jakutsk in Ostsibirien, mit dem Flugzeug von Moskau aus in sechs Stunden erreichbar.
Es ist eine alte Stadt, im fünfzehnten Jahrhundert von einer Bande Kosaken gegründet, und wurde lange von Forschern als letzter Vorposten der Zivilisation betrachtet. Sie war später berühmt, oder berüchtigt, als eine der Inseln im Gulag-System, wo Feinde des sowjetischen Staates als Sklavenarbeiter in den Gold- und Diamantminen mehr als ausreichend zu tun fanden. Seit dem neunzehnten Jahrhundert ist sie die Weltmetropole für den Handel mit Mammutelfenbein.
Die Elfenbein Kooperative ist einer der bedeutendsten Großhändler im Elfenbeinhandel. Die Kooperative befindet sich in einem düsteren und staubigen Lagerhaus, umgeben von verfallenden Mietshäusern, die noch aus der Zeit Chrustschovs stammen. Hinter den nichtssagenden Betonmauern und der Stahltür liegt tonnenweise Mammutelfenbein im Wert von Millionen Dollar, das darauf wartet, nach China oder Birma transportiert zu werden, wo es zu allem möglichen Nippes für die blühende asiatische Fremdenverkehrsindustrie verarbeitet wird. Der weiße Schatz wird in Kisten aufbewahrt, die in Regalen stehen, die sich von einem Ende des Lagerhauses bis zum anderen erstrecken.