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»Lucifer? Dem Teufel?«

»Lucifer war eine Anarchistenzeitung, die im neunzehnten Jahrhundert in Kansas erschien. Damals nannten sie diese Leute ›Brandstifter‹. Es ist außerdem der Name einer kleinen Gruppe von Neo-Anarchisten, mit der Tris zu tun hat. Sie wollen die Leute stürzen, die sie die ›Eliten‹ nennen, nichtgewählte Persönlichkeiten, die den größten Teil des Reichtums und der Macht der Welt kontrollieren.«

»Wie passen Sie in dieses Bild?«

»Ich gehöre zu Lucifer. Das heißt, ich gehörte dazu.«

Austin betrachtete Barretts Kopftätowierung. »Sie kommen mir nicht gerade sehr konventionell vor, Spider, aber ist es nicht so, dass auch Sie und Ihr Partner einen beträchtlichen Anteil des Weltreichtums unter Kontrolle haben?«

»Absolut. Deshalb sind wir es, die diesen Kampf führen. Tris sagt, Männer von Reichtum und Bildung — also diejenigen, die am meisten zu verlieren hatten — starteten die amerikanische Revolution. Leute wie Hancock, Washington und Jefferson waren bekanntlich sehr wohlhabend.«

»Welche Rolle spielt Margrave bei Lucifer?«

»Tris bezeichnet sich selbst als die treibende Kraft Lucifers. Anarchisten haben wenig dafür übrig, einem Führer zu folgen. Es ist eine locker organisierte Gruppe von an die hundert gleichgesinnten Leuten, die mit einigen der aktiveren Neo-Anarchisten-Clubs sympathisieren. Einige Dutzend eher zur Gewalt neigende Typen nennen sich selbst ›Lucifer’s Legion‹. Ich hatte mehr mit der technischen als mit der politischen Seite des Projekts zu tun.«

»Was treibt Margrave an?«

»Tris ist brillant und skrupellos. Er fühlt sich schuldig wegen der Art und Weise, wie seine Familie ihr Vermögen mit Sklavenhandel und Alkoholschmuggel verdient hat, aber ich glaube, dass er im Wesentlichen von Macht besessen ist. Er hat mich in die Lucifer-Pläne eingeweiht.«

»Und wie sehen die aus?«

»Wir wollten die Machtgefüge der Eliten angreifen und erschüttern, damit sie unseren Wünschen nachgeben und auf einen Teil ihrer Macht verzichten.«

»Das ist aber ziemlich viel verlangt«, meinte Austin.

»Wem sagen Sie das? Wir gaben ihnen vor zwei Wochen in New York eine Kostprobe von dem, was ansonsten geschehen würde. Wir haben die Stadt für einen Zeitraum während einer großen Wirtschaftskonferenz lahmgelegt in der Hoffnung, sie zu Verhandlungen bewegen zu können, aber es war so ähnlich, als hätte eine Biene einen Elefanten gestochen.«

Austin hob eine Augenbraue. »Ich habe von dem Blackout gehört. Sie waren dafür verantwortlich?«

Barrett nickte. »Es war bloß eine kleine Demo, um ihnen zu beweisen, dass wir das totale Chaos auslösen können. Unsere langfristigen Pläne sehen vor, Kommunikation und Wirtschaft weltweit empfindlich zu stören.«

»Und wie wollen Sie das bewerkstelligen?«

»Indem wir eine Reihe von wissenschaftlichen Erkenntnissen benutzen, um ihre Kommunikations- und Transportsysteme zu stören und ein weltweites wirtschaftliches Chaos auszulösen.«

»Sie meinen wohl die Kovacs-Theoreme.«

Barrett starrte Austin an, als wäre ihm soeben ein zweiter Kopf gewachsen. »Sie haben wirklich Ihre Hausaufgaben gemacht. Was wissen Sie über die Theoreme?«

»Nicht viel. Ich weiß nur, dass Kovacs ein Genie war, das eine Möglichkeit gefunden hatte, mit niederfrequenten elektromagnetischen Impulsen die natürliche Ordnung durcheinanderzubringen. Er befürchtete, dass seine Theoreme, wenn sie in die falschen Hände geraten sollten, dazu benutzt werden könnten, das Wetter zu verändern und Erdbeben und andere Katastrophen auszulösen. Nach dem, was Sie mir über Ihre Lucifer-Freunde erzählt haben, scheinen sich seine Befürchtungen zu bewahrheiten.«

Barrett zuckte bei dem Begriff »Freunde« leicht zusammen, aber er nickte bestätigend. »Das ist insoweit richtig.«

»Wie weit geht es noch?«

»Wir haben versucht, eine polare Verschiebung auszulösen.«

»Sie meinen eine Verschiebung von Nord- und Südpol.«

»Der Magnetischen Pole. Wir wollten Kommunikationssatelliten ausschalten. Den weltweiten Handelsverkehr durcheinanderbringen und den Eliten einen Schuss vor den Bug geben. Absolut harmlose Dinge.«

Austins Miene verhärtete sich. »Seit wann werden Killerwellen, Schiffe verschlingende Strudel und der Verlust eines Frachtschiffs mitsamt Mannschaft als eher harmlos eingestuft?«

Barrett schien sich in sich selbst zu verkriechen. Austin befürchtete schon, dass sein heftiger Kommentar sein Gegenüber zum Schweigen gebracht haben könnte. Aber dann nickte Barrett bestätigend.

»Sie haben natürlich Recht. Wir haben nicht an die Konsequenzen gedacht, sondern uns nur mit den Mitteln dazu beschäftigt.«

»Und welche Mittel sind es?«

»Wir haben vier Schiffe gebaut und jedes mit einer Apparatur ausgerüstet, die auf den Kovacs-Theoremen beruht. Dann haben wir den Impuls in einem bestimmten Winkel auf einen besonders empfindlichen Punkt auf dem Meeresboden gelenkt. Die von jedem der Schiffe erzeugte Energie reicht aus, um eine Kleinstadt mit Strom zu versorgen, aber sie ist winzig klein im Vergleich mit der Erdmasse. An diesem Punkt greifen die Theoreme. Kovacs sagte, dass bei richtiger Frequenz die Impulse durch die Masse dessen verstärkt würden, in die sie eindringen sollen, so wie eine Tuba den Klang von Luft verstärkt, der durch einen Lippenspalt in sie hineingeblasen wird.«

»Ich habe den riesigen Strudel gesehen, den Sie erzeugt haben. Das war mehr als nur ein geschürztes Lippenpaar.«

»Einen Strudel?«

Austin lieferte ihm eine komprimierte, aber anschauliche Beschreibung des Mahlstroms und der Katastrophen, die er beinahe bewirkt hatte.

Barrett stieß einen Pfiff aus. »Ich weiß von den riesigen Wellen, die wir im Laufe eines unserer Tests erzeugt haben. Die Nebenwirkungen haben ein Frachtschiff und eines unserer Transmitter-Schiffe versenkt.«

»Manchmal gibt die See wieder heraus, was sie sich genommen hat. Der Strudel holte Ihr Transmitter-Schiff vom Meeresboden hoch. Ich konnte den Kahn untersuchen, ehe er endgültig versank.«

Barrett schien durch diese Enthüllung wie vor den Kopf geschlagen.

»Was geht da vor, Spider?«

Die Frage riss Barrett aus seiner kurzzeitigen Benommenheit.

»Wir hatten nicht mit den heftigen Meeresstörungen gerechnet, die durch die Veränderungen ausgelöst wurden, die wir am Magnetfeld der Erde vorgenommen haben. Nach dem, was Sie mir erzählen, dauerten die Störungen an, obgleich wir die Impulse gestoppt und die Schiffe ihre Positionen verlassen hatten. Offenbar hält die Bewegung des Magma unter der Erdkruste nach dem ersten Impuls an. Es ist ähnlich wie bei den Sekundärwellen auf einem Teich, nachdem man einen Stein ins Wasser geworfen hat. Das ist der gefährliche Teil der Theoreme. Und es ist das, was Kovacs große Sorgen gemacht hat. Nämlich die Unvorhersehbarkeit und Unberechenbarkeit des Ganzen.«

»Was taten Sie, als ich Sie im Puget Sound traf?«

»Nachdem die Southern Belle gesunken war, kehrte ich an den Zeichentisch zurück. Ich entwickelte einen Test, bei dem eine verkleinerte Version des Impulsgebers verwendet wurde.«

»Und hat das die Orcas zur Raserei gebracht?«

Er nickte.

»Was war das Problem?«

»Die Wellen spielten völlig verrückt. Wir hatten genaue Berechnungen angestellt, aber selbst wenn die Abweichung nur Nanosekunden ausmacht, können die Impulse wer weiß wohin gehen und alles Mögliche anrichten.«

»Also hat Kovacs sich geirrt?«

Barrett breitete die Arme aus. »Er hatte seine allgemeine Theorie als Warnung an die Welt veröffentlicht, jedoch die Information zurückgehalten, mit der sie funktioniert hätte. Sehen Sie, es ist wie mit der Atombombe. Sie finden Pläne für den Bau einer A-Bombe im Internet, und Sie können sogar Material und Teile beschaffen, um sie zu bauen. Aber solange Sie nicht wissen, wie die einzelnen Teile zusammenwirken, wird diese Bombe nicht funktionieren. Bestenfalls haben Sie am Ende eine schmutzige radioaktive Bombe. Und genau das haben wir hier: das elektromagnetische Äquivalent einer schmutzigen Bombe.«

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