»Was hast du gefunden?«, wollte sie wissen.
»Nichts. Und das finde ich hochinteressant. Ich würde vermuten, dass die anderen Schiffe ebenfalls ausgeräumt wurden.«
Sie zogen den Wächter aus dem Wagen und ließen ihn im Schatten liegen. Er hatte angefangen, sich gegen seine behelfsmäßigen Fesseln zu wehren. Mit ein wenig zusätzlicher Mühe würde er sich am Ende selbst befreien können. Etwa dreißig Meter vom Wachhaus entfernt warfen sie seine Waffen ins Hafenbecken. Es bestand nur eine geringe Gefahr, dass er Alarm schlagen würde, sobald er frei war. Seine Arbeitgeber wären ganz und gar nicht erfreut, wenn sie erführen, dass er in seinem Job versagt hatte. Er würde schon genug Probleme haben zu erklären, was mit seinen Waffen geschehen war.
Während der Rückfahrt zum Hotel beschrieb Trout seine Inspektion des Schiffs und die überraschenden Ergebnisse.
»Aber warum? Was haben sie mit dem gesamten Kram gemacht?«
Trout schüttelte den Kopf, holte sein Mobiltelefon aus der Tasche und tippte eine Nummer aus dem Telefonverzeichnis ein.
»Soll Kurt sich darüber den Kopf zerbrechen.«
40
Austin griff in seine Schreibtischschublade, fischte einen Wurfpfeil heraus, der zu einem Dartspiel gehörte, und holte gerade mit der Hand aus, um ihn auf eine Karte vom Atlantischen Ozean zu werfen, die an die Wand geheftet war, als das Telefon klingelte. Er nahm den Hörer ab. Es war Paul Trout, der aus Rio anrief.
»Ich störe dich doch nicht bei etwas Wichtigem, oder?«, fragte Trout.
»Ganz und gar nicht. Ich war nur gerade im Begriff, mit meinen vielfältigen wissenschaftlichen Kenntnissen einem vertrackten Puzzle zu Leibe zu rücken. Wie geht’s dem Girl from Ipanema?«
»Gamay ist okay. Aber mit den Transmitter-Schiffen ist irgendetwas Seltsames im Gange. Ich habe mich vor ein paar Minuten bei einem an Bord geschlichen. Sämtliche Turbinen und elektromagnetischen Antennen waren verschwunden. Ich vermute, dass jemand auch auf den anderen Schiffen so gründlich aufgeräumt hat.«
»Sie sind leer?« Austin ging in Gedanken rasend schnell sämtliche Möglichkeiten durch. »Sie müssen den Hausputz veranstaltet haben, als die Schiffe in Mississippi in der Werft waren.«
»Wir hätten eigentlich daraufkommen müssen, dass irgendetwas Merkwürdiges im Gange war. Die Schiffe liegen hier vertäut am Kai. Keinerlei Vorbereitungen werden getroffen. Nichts geschieht, das darauf hinweist, dass sie irgendwann in nächster Zukunft in See stechen wollen. Nur ein Schiff ist ausgelaufen, seit wir hier sind, und das war ein Passagierdampfer.«
Austin dachte angestrengt nach und hörte nur halb, was Trout zu berichten hatte. »Was war das gerade mit einem Passagierdampfer?«
»Die Polar Adventure. Sie lag neben den Transmitter-Schiffen, hat aber schon heute früh den Hafen verlassen. Ist das wichtig?«
»Vielleicht. Joe meint, ein Passagierdampfer habe die Werft in Mississippi etwa zur gleichen Zeit verlassen wie die Transmitter-Schiffe.«
»Donnerwetter! Denkst du, es war dasselbe Schiff, das wir hier gesehen haben?«
»Möglich wäre es«, sagte Austin. »Sie laden die Transmitter in den Dampfer. Und dann, während wir die Köder beobachten, schleicht sich der Dampfer mit der Ladung am helllichten Tag davon.«
»So viel zu den Plänen der Navy, die Schiffe mit einem U-Boot zu verfolgen.«
»Eine klassische Ablenkungs-und-Austausch-Operation. Verdammt clever.«
»Wie lange ist es her, seit der Dampfer ausgelaufen ist?«
»Heute Morgen, als wir aufstanden, war er weg.«
Austin rechnete kurz. »Dann könnten sie schon einige hundert Kilometer weit auf See sein. Das ist ein Riesenvorsprung.«
»Was sollen wir tun?«
»Bleibt einstweilen, wo ihr seid, und behaltet die Schiffe im Auge für den Fall, dass der Eigner noch irgendetwas anderes im Schilde führt.«
Austin trennte die Verbindung. Er war wütend auf sich selbst, nicht daran gedacht zu haben, dass jemand, der intelligent genug war, um einen Polsprung zu planen, alles Mögliche unternehmen würde, um potenzielle Verfolger abzuschütteln. Er wandte seine Aufmerksamkeit wieder der Karte an der Wand zu. Es war ein riesiger Ozean. Mit jeder Minute, die verstrich, erhöhten sich die Chancen des Dampfers, sich in Hunderten von Quadratkilometern offener See zu verlieren. Austin zog in Erwägung, das Pentagon anzurufen und Trouts Neuigkeiten weiterzugeben, aber er war jetzt nicht in der Stimmung, seinen Atem in fruchtlosen Diskussionen mit irgendeinem Ministerialdirektor des Verteidigungsministeriums zu vergeuden.
Sandecker hätte vielleicht mehr Erfolg, doch selbst er müsste sich mit der Pentagon-Bürokratie herumschlagen, und die Zeit hatten sie einfach nicht. Pfeif auf sie, dachte Austin. Wenn die Welt im Begriff war unterzugehen, trüge er die Verantwortung dafür lieber auf seinen eigenen Schultern, als sie irgendeinem anonymen Regierungsfunktionär mit Profilneurose zu überlassen. Dies war eine reine NUMA-Angelegenheit, und zwar durch und durch.
Zehn Minuten später saß er in einem NUMA-Fahrzeug und fuhr durch die stillen Straßen Washingtons. Er nahm den Highway zum Washington National Airport, wo der Wächter am Tor des Sperrbereichs seinen Ausweis überprüfte und ihn dann zu einem Hangar in einer weit entfernten Ecke des Flugfeldes dirigierte. Er konnte deutlich die Lichter sehen und hatte keine Schwierigkeiten, die Stelle zu finden, wo ein Boeing 747 Jumbo-Jet auf der Rollbahn parkte.
Flutlichter waren rings um die Maschine aufgestellt worden und machten die Nacht zum Tag. Das Flugzeug war umgeben von Trommeln mit Stromkabeln und Stapeln von Aluminium- und Stahlplatten. Arbeiter umschwärmten das Flugzeug wie ein Heer von Ameisen.
Zavala saß unter dem aufragenden Heck des Flugzeugs an einem Behelfstisch, der aus einer Sperrholzplatte und zwei Sägeböcken zusammengebaut worden war. Er studierte gemeinsam mit einem Mann in einem Overall einige Blaupausen. Er entschuldigte sich, als er Austin entdeckte, und kam herüber, um ihn zu begrüßen.
»Es ist nicht so schlimm, wie es aussieht«, sagte er. Er musste seine Stimme um einiges anheben, um über dem Lärm verstanden zu werden.
Austin schaute sich um und erkannte zu seiner Erleichterung die ersten Anzeichen von Ordnung in einem anscheinend totalen Chaos.
»Wie lange, bis der Vogel endlich fliegen kann?«, erkundigte Austin sich.
»Wir hatten ein paar geringfügigere Pannen, aber jetzt ist alles zur Stelle, was wir brauchen. Es geht vorwiegend darum, alles richtig zu ordnen und zusammenzufügen. In zweiundsiebzig Stunden müssten wir es eigentlich geschafft haben.«
»Wie wäre es mit morgen früh?«, fragte Austin.
Zavala lächelte. »Du solltest es mal als Komiker beim Fernsehen versuchen.«
»Unglücklicherweise ist an der Nachricht, die ich gerade von Paul erhalten habe, absolut nichts Komisches.« Austin berichtete Zavala von dem verschwundenen Passagierdampfer. »Kannst du nicht den Rest zusammenbauen lassen, während wir in der Luft sind?«
Zavala wand sich gequält. »Möglich wäre es, aber auf keinen Fall ratsam. Es wäre genauso, als versuchte man, eine Wurst im Laufen zu stopfen.«
»Und wenn es keine andere Möglichkeit gäbe, als es zu versuchen?«
Zavala ließ den Blick über das hektische Treiben gleiten und kratzte sich am Kopf. »Ich konnte einer leckeren Wurst eigentlich nie widerstehen. Komm mit, wenn ich meiner rechten Hand die Hiobsbotschaft überbringe.«
Bei dem Mann, mit dem Zavala die Blaupausen durchgegangen war, handelte es sich um Drew Wheeler, einen liebenswürdigen Virginier Mitte vierzig, der bei der NUMA als Logistikspezialist dafür verantwortlich war, große Lasten rund um die Welt zu schicken. Austin hatte mit Drew bei einigen Projekten zusammengearbeitet, bei denen schweres Gerät in kürzester Zeit an den jeweiligen Ort des Geschehens transportiert werden musste. Wheelers Angewohnheit, Dinge zu durchdenken, als kaute er im Geiste auf einem Stück Tabak, konnte Leute, die mit ihm zusammenarbeiteten, zur Raserei bringen. Aber sie stellten stets sehr bald fest, dass er ein besonderes Talent hatte, sich komplizierte Pläne in seinem Kopf zurechtzulegen, so dass sie störungsfrei ausgeführt werden konnten.