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Die Vegetation begann sich zu bewegen.

Schroeders vom Alter müde Augen hatten Schwierigkeiten, in dem Zwielicht etwas zu erkennen, aber die Bewegung entging ihm nicht. Das jahrelange Training meldete sich. Ihm war beigebracht worden, dass die beste Versicherung, wenn man sich einer möglichen Gefahr gegenübersieht, immer ein Bleivorhang ist. Er trat vor Karla und brachte die Maschinenpistole in der Hüfte in Anschlag. Sein Finger spannte sich um den Abzug, während er sich innerlich darauf vorbereitete, den Platz mit einem Bleiregen einzudecken.

»Nein!«, schrie Karla.

Sie legte eine Hand auf seine Brust.

Der Platz geriet in Wallung, und aus der sich bewegenden Masse drang ein Schnauben und ein Ächzen und das Geraschel schwerer Körper, die anfingen, sich zu bewegen. Was ausgesehen hatte wie Vegetation, löste sich auf und wurde durch große pelzige Klumpen von den Ausmaßen großer Schweine ersetzt.

Schroeder starrte die Kreaturen an, die sich auf dem Platz drängten. Sie hatten kurze Rüssel und aufwärtsgerichtete Stoßzähne, und ihre Körper waren mit Pelz bedeckt. Die Bedeutung dessen, was er sah, dämmerte ihm nur langsam.

»Elefantenbabys!«

»Nein«, sagte Karla, die trotz ihrer namenlosen Aufregung erstaunlich ruhig war. »Es sind Zwergmammuts.«

»Das kann nicht sein. Mammuts sind ausgestorben.«

»Ich weiß, aber sieh genau hin.« Sie richtete die Taschenlampe auf die Tiere. Ein paar blickten zum Licht und zeigten ihre glänzenden runden Augen, die bernsteinfarben schimmerten. »Elefanten haben keinen solchen Pelz.«

»Das ist unmöglich«, sagte Schroeder, als hätte er Schwierigkeiten, sich selbst zu überzeugen.

»Nicht ganz. Spuren von Zwergmammuts, die auf der Wrangelinsel gefunden wurden, ließen sich bis 2000 vor Christus zurückdatieren. Das ist nur ein winziger Moment in der langen Erdgeschichte. Aber du hast Recht, wenn du sagst, es sei unglaublich. Näher als bis an die versteinerten Knochen ihrer Vorfahren bin ich an diese Tiere noch nie herangekommen.«

Schroeder schüttelte entgeistert den Kopf. »Weshalb rennen sie nicht weg?«

Die Mammuts schienen geschlafen zu haben, als sie von den menschlichen Eindringlingen gestört worden waren, aber sie hatten keine Angst. Sie trotteten einzeln, zu zweit oder in kleinen Gruppen auf dem Platz herum und zeigten nur wenig oder keinerlei Neugier an den Fremden.

»Sie erwarten nicht, dass wir ihnen irgendeinen Schaden zufügen«, sagte Karla. »Wahrscheinlich haben sie noch nie Menschen gesehen. Ich vermute, dass sie aus den ausge­wachsenen Tieren hervorgingen, die wir auf den Wandgemälden gesehen haben. Im Laufe der Generationen haben sie sich an den Mangel an Sonnenlicht und Nahrung angepasst.«

Schroeder betrachtete die Herde Zwergmammuts und fragte: »Karla, wie leben sie?«

»Es gibt genug Luft. Vielleicht dringt sie durch die Decke oder durch Risse, von denen wir keine Ahnung haben. Vielleicht haben sie auch gelernt, Winterschlaf zu halten, um Nahrung zu sparen.«

»Ja, ja, aber was fressen sie?«

Sie schaute sich um. »Irgendwo muss es eine Nahrungsquelle geben. Vielleicht gehen sie hinaus ins Freie. Moment mal! Vielleicht ist dies dem sogenannten Baby zugestoßen, das die Expedition gefunden hat. Es war auf Nahrungssuche!«

»Wir müssen in Erfahrung bringen, wohin sie gehen«, sagte Schroeder. Er ging in Richtung Pyramide, mit Karla im Schlepptau. Die Mammuts wichen aus und machten Platz. Einige ließen sich Zeit dabei, den Weg freizumachen, und streiften die Menschen, die sich einen Pfad zwischen riesigen Dunghaufen hindurch suchen mussten. Sie erreichten die Pyramide und begannen, ihre Stufen zu erklettern. Das war Gift für Schroeders Fußknöchel, und er musste auf Händen und Knien klettern, doch er schaffte es schließlich bis auf die flache Spitze des Bauwerks.

Von dort aus hatten sie einen freien Blick auf den gesamten Platz. Die Tiere liefen immer noch unkontrolliert und ohne Sinn und Verstand herum.

Karla zählte die Tiere und rechnete sich aus, dass es an die zweihundert waren. Schroeder hatte das Durcheinander aus ganz anderen Gründen beobachtet und fand nach einigen Minuten, wonach er Ausschau hielt.

»Sieh mal«, sagte er. »Die Mammuts bilden da drüben an der Ecke des Platzes eine Schlange.«

Karla schaute in die Richtung, in die Schroeder deutete. Die Tiere hatten sich in eine Straße gedrängt, als hätten sie plötzlich ein gemeinsames Ziel. Andere Mammuts folgten ihnen, und schon bald drängte die ganze Gruppe sich zum selben Teil des Platzes. Mit Karlas Hilfe stieg Schroeder von der Pyramide herab und folgte der abziehenden Herde.

Als sie zur Ecke kamen, war die gesamte Herde vom Platz verschwunden und zog nun durch eine enge Straße, die zum Hauptboulevard zurückführte. Sie gaben sich alle Mühe, die Tiere nicht zu erschrecken, obgleich diese Gefahr offenbar überhaupt nicht bestand. Die Mammuts schienen die Fremden als neue Mitglieder der Herde akzeptiert zu haben.

Nach etwa zehn Minuten beobachteten sie, wie die Stadt sich zu verändern begann. Einige der Häuser auf beiden Seiten waren beschädigt. Ihre Mauern waren eingestürzt, als wären sie von Planierraupen gerammt worden. Schließlich gelangten sie in eine Region, die aussah, als sei sie mit Bomben eingedeckt worden. Es gab keine frei stehenden Gebäude mehr, nur noch leuchtende Schutthaufen, die sich mit riesigen Brocken abwechselten, die aus einem anderen, nicht leuchtenden Mineral bestanden.

Der Anblick weckte bei Schroeder unliebsame Erinnerungen. Er blieb stehen, um seinen Knöchel zu schonen, und betrachtete die zerstörte Landschaft. »Das erinnert mich an Berlin am Ende des Zweiten Weltkriegs. Komm. Wir müssen uns beeilen, sonst verlieren wir sie.«

Karla wich einem weiteren Dunghaufen aus. »Ich glaube, bei der Spur, die sie hinterlassen, brauchen wir uns darum keine Sorgen zu machen.«

Schroeders tiefes Lachen hallte von Schuttwänden wider, die nun auf beiden Straßenseiten aufragten. Karla stimmte trotz ihrer Erschöpfung und Ängste mit ein, aber sie legten nun mehr Eile an den Tag, und zwar eher aus dem Bestreben heraus, einen Ausweg aus dieser Lage zu finden, und nicht so sehr, um die Herde nicht zu verlieren.

Mehr Steine bestanden aus dem nicht leuchtenden Material. Dann war von den leuchtenden Felsen gar nichts mehr zu sehen, und der Weg vor ihnen verdunkelte sich. Karla knipste ihre Taschenlampe an, und ihr matter Strahl beleuchtete die Schwänze der Mammuts. Die Lebewesen hatten keine Schwierigkeiten, in der Dunkelheit ihren Weg zu finden, Karla vermutete, dass ihre Augen sich an den Lichtmangel ebenso angepasst hatten wie ihre zusammengeschrumpften Körper an den beschränkten Nahrungsvorrat.

Dann erlosch die Taschenlampe. Sie folgten der Herde, indem sie sich am Schlurfen und Scharren der zahlreichen Füße und dem Chor der Grunzlaute und des Schnaubens orientierten. Die totale Finsternis nahm einen bläulichen Schimmer an und färbte sich langsam dunkelgrau. Sie konnten die pelzigen Leiber etwa zwanzig Meter vor sich erkennen. Die Tiere schienen jetzt schneller unterwegs zu sein. Aus Grau wurde Weiß. Der Weg machte einen Schwenk nach rechts, dann nach links, und plötzlich waren sie draußen im Freien und blinzelten geblendet im Sonnenschein.

Die Mammuts zogen weiter, doch die beiden Menschen blieben stehen und überschatteten ihre Augen mit den Händen. Während sich ihre Pupillen an die ungewohnte Helligkeit anpassten, betrachteten sie ihre Umgebung durch zusammengekniffene Lider. Sie waren durch einen Spalt in einem niedrigen Felsvorbau ins Freie gelangt und standen nun am Rand einer natürlichen Schüssel, die einen Durchmesser von einigen hundert Metern hatte. Hungrig weideten die Mammuts den kümmerlichen Grasbewuchs ab, der den Boden der Schüssel bedeckte.

»Das ist geradezu unglaublich«, sagte Karla. »Diese Wesen haben sich an zwei Welten angepasst: an eine Welt der Dunkelheit und an eine Welt des Lichts. Sie sind ein wahres Wunder an Anpassungsfähigkeit und zugleich ein totaler Anachronismus.«

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