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Ravic zahlte sofort. »Du hast mich in all das hineingebracht...«, sagte sie dann herausfordernd. »Ich weiß...« Er sah einen Augenblick Haakes Hand über dem Tisch, weiß, fleischig, nach Zucker greifend.

»Du! Niemand als du! Du hast mich nie geliebt und mit mir herumgespielt, und du hast gesehen, daß ich dich geliebt habe, und du hast dir nichts daraus gemacht.«

»Das ist wahr.«

»Was?«

»Es ist wahr«, sagte Ravic, ohne sie anzusehen. »Später war es anders.« »Ja später! Später! Da war alles durcheinander. Da war es zu spät. Du bist schuld.« »Ich weiß.« »Sprich nicht so mit mir!« Ihr Gesicht war weiß und zornig. »Du hörst nicht einmal zu.« »Doch!« Er sah sie an. Reden, irgend etwas reden, ganz gleich, was. »Hast du Krach gehabt mit deinem Schauspieler?« »Ja.« »Das wird vorbeigehen.« Blauer Rauch aus der Ecke. Der Kellner schenkte wieder Kaffee ein. Haake schien sich Zeit zu lassen. »Ich hätte nein sagen können«, sagte Joan. »Ich könnte sagen, ich wäre zufällig vorbeigekommen. Ich bin es nicht. Ich habe dich gesucht. Ich will weg von ihm.«

»Das will man immer. Das gehört dazu.«

»Ich habe Angst vor ihm. Er droht mir. Er will mich erschießen.«

»Was?« Ravic sah plötzlich auf. »Was war das?«

»Er sagt, er will mich erschießen.«

»Wer?« Er hatte nur halb zugehört. Dann verstand er. »Ach so! Du glaubst das doch nicht?«

»Er ist furchtbar jähzornig.«

»Unsinn! Wer so etwas sagt, tut es nicht. Ein Schauspieler schon gar nicht.«

Was rede ich da? dachte er. Was ist das alles? Was will ich hier? Irgendeine Stimme, irgendein Gesicht über dem Rauschen in den Ohren. Was geht das mich an? »Wozu erzählst du mir das alles?« fragte er.

»Ich will weg von ihm. Ich will zurück zu dir.«

Wenn er ein Taxi nimmt, wird es mindestens ein paar Sekunden dauern, bis ich eines anhalte, dachte Ravic. Bis es anfährt, kann es dann zu spät sein. Er stand auf. »Warte hier. Ich bin sofort zurück.«

»Was willst du...«

Er antwortete nicht. Rasch kreuzte er den Bürgersteig und hielt ein Taxi an. »Hier sind zehn Frank. Können Sie ein paar Minuten auf mich warten? Ich habe drinnen noch zu tun.«

Der Chauffeur sah den Geldschein an. Dann Ravic. Ravic zwinkerte. Der Chauffeur zwinkerte zurück. Er bewegte den Schein langsam hin und her. »Das ist extra«, sagte Ravic. »Sie verstehen schon, weshalb...«

»Verstehe.« Der Chauffeur grinste. »Gut, ich werde hier warten.«

»Parken Sie so, daß Sie gleich herausfahren können.«

»Schön, Chef.«

Ravic drängte sich eilig durch das Menschengewühl zurück. Seine Kehle verengte sich jäh. Er sah Haake unter der Tür stehen. Er hörte nicht, was Joan sagte. »Warte!« sagte er. »Warte! Gleich! Eine Sekunde!«

»Nein!«

Sie stand auf.

»Du wirst es bereuen!« Sie schluchzte fast.

Er zwang sich zu einem Lächeln. Er hielt ihre Hand fest. Haake stand noch immer da. »Setz dich«, sagte Ravic. »Eine Sekunde!«

»Nein!«

Ihre Hand zerrte unter seinem Griff. Er ließ sie los. Er wollte kein Aufsehen. Sie ging rasch davon, zwischen den Tischen durch, dicht an der Tür vorbei. Haake sah ihr nach. Dann blickte er langsam zurück, zu Ravic hinüber, dann wieder in die Richtung, in die Joan gegangen war. Ravic setzte sich. Das Blut donnerte plötzlich in seinen Schläfen. Er zog seine Brieftasche und tat, als suche er etwas. Er bemerkte, daß Haake zwischen den Tischen entlangschlenderte. Gleichgültig blickte er in die entgegengesetzte Richtung. Haake mußte dort seinen Blick kreuzen.

Er wartete. Es schien endlos lange zu dauern. Plötzlich packte ihn eine rasende Angst. Wie, wenn Haake umgekehrt war? Er wendete rasch den Kopf. Haake war nicht mehr da. Alles drehte sich einen Moment. »Erlauben Sie?« fragte jemand neben ihm.

Ravic hörte es nicht. Er sah zur Tür. Haake war nicht ins Restaurant zurückgegangen. Aufspringen, dachte er. Nachlaufen, versuchen, ihn noch zu erwischen. Hinter ihm war die Stimme wieder. Er drehte sich um und starrte. Haake war hinter seinem Rücken herumgekommen und stand jetzt neben ihm. Er deutete auf den Stuhl, auf dem Joan gesessen hatte. »Erlauben Sie? Es ist sonst kein Tisch mehr frei.«

Ravic nickte. Er war unfähig, etwas zu sagen. Sein Blut strömte zurück. Strömte, strömte, als flösse es unter den Stuhl und ließ den Körper zurück wie einen leeren Sack. Er preßte den Rücken fest gegen die Lehne. Da stand noch das Glas. Die milchige Flüssigkeit. Er hob es und trank. Es war schwer. Er blickte auf das Glas. Es war ruhig in seiner Hand. Das Zittern war in seinen Adern.

Haake bestellte einen Fine Champagne. Einen alten Fine Champagne. Er sprach französisch mit schwerem deutschem Akzent. Ravic winkte einem Zeitungsjungen. »Paris Soir.«

Der Zeitungsjunge blickte nach dem Eingang. Er wußte, dort stand die alte Zeitungsfrau. Er reichte Ravic die Zeitung, gefaltet, wie zufällig, griff nach der Münze und verschwand rasch.

Er muß mich erkannt haben, dachte Ravic. Weshalb ist er sonst gekommen? Er hatte nicht damit gerechnet. Jetzt konnte er nur bleiben und sehen, was Haake wollte, und danach handeln.

Er griff nach der Zeitung, las die Überschriften und legte sie wieder auf den Tisch. Haake sah ihn an. »Schöner Abend«, sagte er auf deutsch.

Ravic nickte.

Haake lächelte. »Gutes Auge, wie?«

»Scheinbar.«

»Ich sah Sie bereits drinnen.«

Ravic nickte aufmerksam und gleichgültig. Er war aufs äußerste gespannt. Er konnte sich nicht denken, was Haake vorhatte. Daß Ravic illegal in Frankreich war, konnte er nicht wissen. Aber vielleicht wußte die Gestapo auch das. Doch dafür war noch Zeit.

»Habe Sie gleich erkannt«, sagte Haake.

Ravic sah ihn an. »Der Schmiß«, sagte Haake und deutete auf Ravics Stirn. »Korpsstudent. Sie mußten also Deutscher sein. Oder in Deutschland studiert haben.«

Er lachte. Ravic sah ihn noch immer an. Das war unmöglich! Es war zu lächerlich! Er atmete tief auf in plötzlicher Entspannung. Haake hatte keine Ahnung, wer er war.

Seine Narbe an der Stirn hatte er für eine Mensurnarbe gehalten. Ravic lachte.

Er lachte zusammen mit Haake. Er mußte sich die Nägel in die Handballen krallen, um aufhören zu lachen.

»Stimmt?« fragte Haake mit einem gemütlichen Stolz.

»Ja, genau.«

Die Narbe an seiner Stirn. Sie war ihm vor den Augen Haakes im Gestapokeller geschlagen worden. Das Blut war ihm in die Augen und in den Mund geflossen. Und Haake saß da und hielt sie für eine Mensurnarbe und war stolz auf sich deshalb.

Der Kellner brachte Haakes Fine. Haake schnupperte genießerisch daran herum. »Das haben sie hier«, erklärte er. »Guten Kognak! Sonst...« Er blinzelte zu Ravic hinüber. »Alles faul. Ein Volk von Rentnern. Wollen nichts als Sicherheit und gutes Leben. Verloren gegen uns.«

Ravic dachte, er könne nicht sprechen. Er glaubte, wenn er sprechen würde, würde er sein Glas hochreißen, es gegen den Tisch kippen, daß es am Rande brach, und die spitzen Scherben Haake in die Augen schlagen. Er nahm vorsichtig und mit Mühe das Glas, trank es aus und stellte es ruhig wieder nieder.

»Was ist das?« fragte Haake.

»Pernod. Ersatz für Absinth.«

»Ah, Absinth. Das Zeug, das die Franzosen impotent macht, was?« Haake schmunzelte. »Entschuldigen Sie! War nicht persönlich gemeint.«

»Absinth ist verboten«, sagte Ravic. »Dies hier ist harmloser Ersatz. Absinth soll steril machen, nicht impotent. Deshalb ist er verboten. Das hier ist Anis. Schmeckt wie Lakritzenwasser.«

Es ging, dachte er. Es ging, ohne viel Erregung sogar. Er konnte antworten, leicht und glatt. Da war ein Wirbel, tief in ihm, sausend und schwarz — aber die Oberfläche war ruhig. »Leben Sie hier?« fragte Haake.

»Ja.«

»Lange?«

»Immer.«

»Verstehe«, sagte Haake. »Auslandsdeutscher. Hier geboren, wie?« Ravic nickte.

Haake trank seinen Fine. »Einige unserer Besten sind Auslandsdeutsche. Der Vertreter des Führers — in Ägypten geboren. Rosenberg in Rußland. Darre aus Argentinien. Die Gesinnung macht es, wie?«

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